Manchmal fasst ein Satz einen langen Prozesstag treffend zusammen. Im Falle eines Verfahrens vor dem Konstanzer Landgericht gegen vier junge Männer, denen die Staatsanwaltschaft besonders schweren Raub und andere Delikte vorwirft, kam dieser Satz von Strafverteidiger Matthias Biskupek. „Es ging am Hallenbad um eine Mütze und 100 Euro – und deswegen sitzen wir jetzt vor der großen Strafkammer?“, fragte er nach den Schilderungen des ersten Angeklagten rhetorisch in den Saal.
Natürlich beschäftigt sich eine große Strafkammer eines Landgerichts nicht mit einer Mütze und 100 Euro Bargeld, die weggekommen sein sollen. Aber sie beschäftigt sich mit Ereignissen, die daraus entstanden sein sollen. Und die hatten es in sich. Es folgten nämlich laut der Anklage der Staatsanwaltschaft heftige Auseinandersetzungen zwischen zwei Personengruppen, ein Mensch wurde demnach schwer verletzt und Gegenstände im Wert von etwa 1500 Euro wurden gestohlen.

Zugetragen hat sich das alles am Abend des Donnerstag, 12. Oktober 2023. Öffentlich bekannt war bislang, dass gegen 21.45 Uhr zwei Personengruppen auf dem Parkplatz eines Supermarkts in der Holzeckstraße aneinandergeraten sind. Ein damals 22 Jahre alter Mann lief von dieser Auseinandersetzung weg, wurde aber eingeholt, verprügelt und ausgeraubt, wie die Polizei damals berichtete. Der Geschädigte musste demnach im Krankenhaus behandelt werden.
Bei dem Angriff habe er Platzwunden und Blutergüsse erlitten, im Krankenhaus sei auch noch ein Nasenbeinbruch festgestellt worden, auch einen Jochbeinbruch habe er gehabt, erzählte der Geschädigte nun im Zeugenstand vor Gericht – Schilderungen, die vor Gericht durch Fotos belegt wurden. Monatelang habe er Schmerzmittel nehmen müssen, so der Zeuge, längere Zeit sei er auch krankgeschrieben gewesen und, so vermutete er es, deswegen habe er am Ende wohl auch seine Arbeitsstelle verloren. Auch von psychischen Folgen berichtete er, etwa dass er kaum noch vor die Tür gehe.
Und der Zeuge erinnerte sich daran, von mehreren Menschen Schläge mit Stuhlbeinen bekommen zu haben. Die Benutzung von Stuhlbeinen als Schlagwerkzeuge begründet letztlich, dass besonders schwerer Raub angeklagt ist, denn Stuhlbeine zählen im Sinne der Strafverfolgung als „gefährliches Werkzeug“. Den Tätern droht deshalb eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Kürzere Zeiten sind nur dann möglich, wenn das Gericht auf einen minder schweren Fall erkennt.
Angeklagte verwickeln sich in Widersprüche
Und dafür muss es erst einmal eine ordentliche Beweisaufnahme geben, wie der Vorsitzende Richter Joachim Dospil gleich zu Beginn des ersten Verhandlungstages betonte. Gehört werden sollen daher bei vier Prozessterminen zwölf Zeugen, auch die vier Angeklagten berichteten über ihre Sicht auf die Vorfälle. Erkennbar war dabei die Tendenz, die jeweils eigene Beteiligung an der Tat kleinzureden, was zwischenzeitlich auch Staatsanwaltschaft und Richter auf die Palme brachte. Denn die Angeklagten verwickelten sich auch in Widersprüche zu Dingen, die sie früher bei polizeilichen Vernehmungen oder in anderen Gerichtsverfahren gesagt haben.
Erkennbar war ebenfalls eine Tendenz der drei aus Syrien stammenden Angeklagten, die Verantwortung für die Schlägerei in Richtung des aus Gaza stammenden Angeklagten zu schieben – der selbst wiederum nur gehandelt haben wollte, weil er einen Angriff der anderen Gruppe befürchtete.
Unstrittig war vor Gericht, dass der aus Gaza stammende Angeklagte, Ahmad A., einen Stuhl zerschlagen haben soll, der für eine Sperrmüllsammlung am Straßenrand lag. Die Stuhlbeine hätten die Angeklagten dann in der Auseinandersetzung mit der anderen Gruppe genutzt. Wer aber genau wie viele Stuhlbeine in die Hand nahm und was er damit tat, wurde am ersten Verhandlungstag nicht hundertprozentig klar. Klar wurde aber, dass der junge Mann, der am Ende verprügelt wurde, mit der Angelegenheit recht wenig zu tun hatte. Er war gewissermaßen zur falschen Zeit am falschen Ort.
Schon am Hallenbad hat es gekracht
Und die Mütze samt 100 Euro Bargeld? Um die ging es bei einer Auseinandersetzung früher am selben Tag auf dem Parkplatz des Singener Hallenbades, auch das wurde vor Gericht klar. Im Hintergrund dazu stand eine goldene Halskette, um die es Streit mit einem weiteren jungen Mann gab. Um diesen Streit zu klären, habe er sich mit diesem jungen Mann am Hallenbad verabredet, sagte der Angeklagte Omran A. Statt eines klärenden Gesprächs habe es aber schon da eine Prügelei gegeben, mehrere andere seien ihm gegenübergestanden, sagte A., weshalb er nach Bekannten gerufen habe, von denen er gewusst habe, dass sie in der Nähe sind. Einem dieser Bekannten, Omer A., seien dann 100 Euro abhandengekommen, ihm selbst die Mütze, sagte Omran A. Um die Sachen wiederzubekommen, sei man später zum Supermarktparkplatz gegangen.
Auch wenn die Nachnamen der vier Angeklagten alle mit demselben Buchstaben beginnen, tragen sie jeweils unterschiedliche Familiennamen. Zwei von ihnen, nämlich Omran A. und Omer A., kennen sich allerdings seit ihrer Zeit in Mohassan in Syrien – dem Ort, aus dem auch die beiden Großfamilien stammen, die Ende 2020 in eine Messerstecherei in Singen verwickelt waren. Zumindest auf den ersten Blick ist allerdings nicht erkennbar, dass einer der Angeklagten mit einer dieser beiden Familien verwandt ist. Mit auf der Anklagebank sitzt auch ein dritter Mann aus Syrien, Mohammad A., der bei der Auseinandersetzung am Hallenbad allerdings schon Schläge kassiert haben will und deswegen nach seiner Aussage bei der späteren Prügelei nicht mehr mit den anderen mitgerannt sei. Bei allen vier Angeklagten spielen neben ihrer Migrationsgeschichte auch Drogen eine Rolle.
Der junge Mann, mit dem Omran A. über die Kette verhandeln wollte, sagte ebenfalls als Zeuge aus. Dass er kein unbeschriebenes Blatt ist, zeigte die Tatsache, dass er in Handschellen in den Saal geführt wurde. Er sitzt derzeit in anderer Sache in Untersuchungshaft und es werde zur Anklage kommen, wie vor Gericht deutlich wurde. Wie viele Menschen bei der Auseinandersetzung vor dem Hallenbad auf welcher Seite dabei waren und welche Gruppe nun zuerst auf die andere losging, blieb vor Gericht unklar. Der Zeuge verweigerte dazu die Auskunft, was erlaubt ist, wenn man sich durch einen Aussage selbst belasten würde. Die Angeklagten behaupteten, dass etwa zehn Menschen auf der anderen Seite dabei waren. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Das Verfahren wird am Mittwoch, 6. November, um 9 Uhr vor dem Landgericht Konstanz fortgesetzt.