Vergewaltigung ist ein besonders schwieriger Straftatbestand. Das machte der Vorsitzende Richter Arno Hornstein am Konstanzer Landgericht deutlich, als es an die Urteilsverkündung in einem Verfahren ging, in dem eine etwa fünf Jahre zurückliegende Tat beurteilt werden musste. Dabei bleibe in einer Strafkammer immer ein ungutes Gefühl, so Hornstein. Im Grunde gehe es immer um eine Aussage-gegen-Aussage-Situation: „Es geht um Glaubwürdigkeit und die bewertet das Gericht.“

Und das Gericht hat die Geschädigte, die zum Tatzeitpunkt erst 21 Jahre alt war, als sehr glaubwürdig eingeschätzt. Sie lüge nicht und habe auch kein Motiv gezeigt, dem angeklagten Mann, heute 33 Jahre alt, eine reinzuwürgen, wie es Hornstein ausdrückte. Auch dass sie erst nach längerer Zeit Anzeige erstattet hat, wertete das Gericht als Zeichen von Glaubwürdigkeit. Erst im Mai 2021 erkundigte sie sich bei der Polizei nach dem Verfahrensablauf, also erst 22 Monate nach der Tat, für die eigentliche Anzeige sei sie erst im August 2022 bereit gewesen, informiert die Pressestelle des Gerichts im Nachgang. Erst nach dieser Anzeige konnte die Kriminalpolizei die Ermittlungen starten.

Viel Aufwand, um Glaubwürdigkeit einzuschätzen

Für das Gericht ist diese Vorgehensweise Teil eines „langen steinigen Therapieweges“ der Geschädigten, wie es Richter Hornstein ausdrückte. Zur Anzeige habe sie sich in der Hoffnung auf einen Erfolg ihrer Psychotherapie entschlossen, schilderte Hornstein. Auch eine aussagepsychologische Sachverständige hat das Gericht hinzugezogen.

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Was die Staatsanwaltschaft anklagte, ist dabei rasch erzählt. Bei einer Feier im Juli 2019 im Hegau habe eine Freundesgruppe rund um die Geschädigte gegrillt. Der Angeklagte sei dazu nicht eingeladen gewesen, nach Absprache mit der Geschädigten aber später dazugekommen. Beide hatten zwei Jahre zuvor eine Liaison, wobei vor Gericht umstritten war, ob es sich um eine einmalige Sache oder Liebschaft über mehrere Wochen hinweg handelte.

Es war reichlich Alkohol im Spiel

Bei der Feier floss reichlich Alkohol und im Laufe des Abends kam es zum Trinkspiel Wahrheit oder Pflicht. Dabei hätten die damals 21-Jährige und der Angeklagte einen Zungenkuss ausgetauscht, der intensiver gewesen sei, als es das Spiel erfordert hätte, wie Hornstein in der Urteilsbegründung formulierte.

Am Ende landeten beide in einem Bett. Sie habe seine Annäherungsversuche abgelehnt, er sei dennoch mit dem Finger eingedrungen, sagte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer. Dass er dabei auch ihren After penetrierte, habe sie als besonders erniedrigend empfunden. Für die Staatsanwaltschaft war damit der Tatbestand der Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall erfüllt, sie forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten.

Das Leben zerfällt in Vorher und Nachher

Ein Strafmaß, dem sich die Anwältin der Geschädigten, Nicole Ferrari, anschloss. Die Geschädigte trat als Nebenklägerin im Verfahren auf, war allerdings nicht persönlich im Gerichtssaal anwesend, sondern sagte per Videoschalte aus. Die junge Frau habe durch den Vorfall mit massiven Folgen zu kämpfen, sagte Ferrari in ihrem Plädoyer. Ihr Leben zerfalle in ein Vorher und ein Nachher.

Vor der Tat habe ihre Mandantin feiern und ihr Leben genießen können, so Ferrari. Sie sei auch als jemand beschrieben worden, der einer kurzen Affäre nicht abgeneigt gewesen sei. Nach der Tat sei ihr Leben von Selbstzweifeln geprägt, sexuelle Kontakte könne sie nicht mehr genießen. „Für mich ist das ein treffendes Beispiel, dass sexuelle Selbstbestimmung nicht nur ein Wort ist, sondern ein Lebensgefühl“, so Ferrari.

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Verteidiger Bernd Rudolph setzte hingegen auf die Zweifel-Karte. Hat sein Mandant wirklich gewusst, dass er nun nicht weitergehen dürfe? Könnte es sein, dass die Geschädigte verdrängte frühere Erlebnisse in der eigenen Familie auf die Begegnung mit dem nun angeklagten Mann übertragen hat? Das habe die Sachverständige zumindest nicht ausgeschlossen, zumal der Vater der Geschädigten wegen eines sexuellen Übergriffes auf eine Halbschwester der jungen Frau im Gefängnis saß, wie vor Gericht ebenfalls deutlich wurde. Auch dass alle Beteiligten betrunken waren, wertete er als Faktor für Zweifel und beantragte Freispruch.

Urteil bleibt unter der Forderung der Anklage

Dem entgegnete der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung, dass Zweifel an der Schuld des Angeklagten, wonach es zu einem Freispruch kommen müsste, begründet sein müssen. Es reiche eben nicht, dass es anders gewesen sein könnte, es müsse auch etwas dafür sprechen, dass es anders war. Dies war in den Augen des Gerichts nicht der Fall.

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Dennoch blieb die vierte Strafkammer bei ihrem Urteil unter dem Strafmaß, das Staatsanwaltschaft und Nebenklage gefordert hatten. Das Urteil lautete auf ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden. Außerdem muss der Angeklagte 8000 Euro Schmerzensgeld zuzüglich Zins an die Geschädigte zahlen sowie künftige materielle Schäden ersetzen, die als Folge der verhandelten Tat entstehen.

Dass das Gericht trotz der klaren Einstufung der Tat als Vergewaltigung nicht von einem besonders schweren Fall ausging, begründete Hornstein damit, dass der Angeklagte sich nach dem Abend Hoffnung hätte machen können, „dass eventuell noch mehr laufen könnte“, wie der Richter formulierte. Der Kuss, eine anfangs noch kokettierende Stimmung, die frühere Liaison und der reichliche Alkoholkonsum flossen in das Urteil ein.

Angeklagter kann das Urteil nicht fassen

Der Angeklagte äußerte sich nach der Urteilsverkündung dennoch aufgebracht: „Sie haben gerade ein Leben zerstört“, sagte er in Richtung der Richterbank, was ihm einen Tadel von Hornstein einbrachte. Schon zuvor sagte der Angeklagte, er könne nicht fassen, dass er das Verfahren über sich ergehen lassen muss. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Revision ist möglich. Ob sie Rechtsmittel einlegen, darüber wollte zunächst keine der Parteien Auskunft geben.