In Deutschland passiert es täglich: Ein Mann versucht, seine Frau zu töten. Und an jedem dritten Tag gelingt ihm dies auch. In den vergangenen zehn Jahren starben bundesweit jährlich zwischen 110 und 155 Frauen, in Baden-Württemberg waren es im Jahr 2022 insgesamt 25 Femizide. Ein besserer Opferschutz und mehr Einrichtungen für die Arbeit mit Tätern sind daher dringend erforderlich, findet der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg.
Gemeinsam mit Vertreterinnen des Vereins Frauen- und Kinderschutz Singen, einem Vertreter der Polizei sowie Bürgermeisterin Ute Seifried machte der Verband anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November deutlich, was getan wird, um Frauen zu schützen. Dabei wurde auch deutlich, was nicht optimal läuft.
Es gibt zu wenig Plätze in Frauenhäusern
„Eine Frau, die Schutz sucht, muss viel dafür tun und dann ist es trotzdem eine fragile Geschichte“, sagte Katrin Lehmann, Referentin für Frauen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. So war es auch bei einer Frau, die Ende 2022 vom Singener Frauenhaus in eine Einrichtung in Norddeutschland verlegt worden war. Die Frau war dann von ihrem Ehemann ausfindig gemacht und vor den Augen des Sohns erschossen worden. Trotz der guten Zusammenarbeit mit der Polizei und der umfassenden Schutzmaßnahmen war es nicht möglich gewesen, diese Tat zu verhindern.
Es gebe zwar 74 Frauenhäuser mit insgesamt 360 Plätzen im Land, doch das sei zu wenig und die Finanzierung sei unzureichend, sagte Lehmann. Bürgermeisterin Ute Seifried pflichtete ihr bei. „In punkto Finanzierung der Frauenhäuser geht nichts vorwärts, da ist das Land rückständig“, sagt sie. Das Singener Frauenhaus, das seit über 30 Jahren besteht, hat Platz für zehn Frauen mit ihren Kindern. Im Jahr 2022 wurden 26 Frauen mit insgesamt 39 Kindern dort betreut.
Platzverweis hilft, aber Festsetzen wäre besser
Wenigstens gebe es seit fast 25 Jahren die sogenannten Platzverweisverfahren, mit deren Hilfe der gewalttätige Mann für eine bestimmte Zeit aus der Wohnung verwiesen werden kann, so Lehmann. „Damit hat die Frau etwas Zeit, sich Unterstützung zu holen“, sagt sie. Unterstützung bekommen Frauen in Singen zum Beispiel in der Beratungsstelle des Vereins Frauen und Kinderschutz. „Im Jahr 2022 haben wir 212 Beratungen durchgeführt“, sagt Claudia Zwiebel, Leiterin der Beratungsstelle.
„Wir fordern, dass Täter festgesetzt werden, damit wir Zeit gewinnen, um die Frau sicher unterzubringen“, sagt die Geschäftsführerin des Frauenhauses, Vanessa Wind. „Bei erneuten Drohungen muss das Festsetzen des Täters möglich sein und auch bei Sorgerechtsentscheidungen muss das Aussetzen von Umgangskontakten möglich werden“, so Wind.
Christoph Isselstein, erster Kriminalhauptkommissar beim Polizeipräsidium Konstanz, arbeitet beim Führungs- und Einsatzstab der Koordinierungsstelle häusliche Gewalt. „Die Koordinierungsstelle wurde vor zweieinhalb Jahren für jede der 13 Polizeidirektionen im Land eingerichtet. So ist gewährleistet, dass kein Fall durchs Netz fällt.“ Es gebe also klare Ansprechpartner für Opfer und wenn nötig, werden Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft an Bord geholt.
Breites Netzwerk hilft Frauen zu schützen
Wichtig sei aber auch ein breites Netzwerk von Privatpersonen, Beratungsstellen und Behörden. Der gelebten Zivilcourage von Bürgern komme ebenfalls eine hohe Bedeutung zu. „Es geht zunächst darum, den Aufenthaltsort des Opfers sicher zu halten“, sagt der Kriminalhauptkommissar. Fallkonferenzen finden nur innerhalb der Behörden statt. „Hier wäre es sicher sinnvoll, auch andere Organisationen, wie Beratungsstellen, mit ins Boot zu holen“, räumt Isselstein ein. Dies sei nur in Baden-Württemberg so geregelt, wusste Katrin Lehmann.
Nachgebessert werden müsse auf jeden Fall bei der Arbeit mit den Tätern. Auch hier müsse ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, so Vanessa Wind. Im Land gebe es bislang nur acht Täter- beziehungsweise Männerberatungsstellen, sagte Katrin Lehmann. Der Täterkreis kommt aus allen Milieus, oft aus der Altersklasse der 20- bis 40-Jährigen – also dann, wenn viele Paare in der Familienphase sind. Kommen Arbeitslosigkeit oder psychische Erkrankungen hinzu, sei die Gefahr einer Eskalation besonders bei patriarchalisch denkenden Männern groß, so Lehmann.
Die Stadt Singen macht seit vielen Jahren Präventionsarbeit, die schon in der Kita beginnt. „In den letzten Jahren haben wir den Fokus auch auf die Arbeit mit Eltern gelegt. Doch was nützt dies, wenn Kinder zuhause lernen, dass derjenige, der zuschlägt, im Recht ist“, fragt Seifried.