Es sieht ganz danach aus, als würde der Mann gleich platzen. Kurz vor der Verhandlung hat er an einer Sitzgruppe im parkähnlichen Garten des Singener Amtsgerichts noch hastig eine Zigarette geraucht und sich mit seiner Schwester besprochen, aber beruhigt hat ihn das kaum. Nun sitzt er als Angeklagter vor Amtsgerichtsdirektor Johannes Daun und soll sich zum Vorwurf äußern, dass er den Ex-Ehemann seiner Schwester im Spätsommer vergangenen Jahres wüst beschimpft und per Faustschlag verletzt habe.
Wenn man dem Angeklagten glaubt, handelt es sich um Lügen. Einzig richtig sei, dass sein Ex-Schwager an jenem Tag seinen aus der Ehe mit der Schwester hervorgegangenen Sohn abholen wollte und deshalb beim Haus seiner Ex-Frau vorgefahren sei. Auch würde es der Wahrheit entsprechen, so der Angeklagte, dass er auf den Kläger zugegangen und es zu einem Streit gekommen sei. Der war seiner Schilderung zufolge kurz und knapp, aber die Wortwahl und der Faustschlag seien vom Kläger frei erfunden. "Wenn ich zugeschlagen hätte", sagt der Angeklagte, "hätte man's gesehen."
Das macht das Verhältnis klar. Die Vorgeschichte des Familienzwists ist dabei lang, sehr lang. 2010 wurde das Paar geschieden, doch damit war die Beziehung nicht zuende. Da ist zum einen das gemeinsame Kind, aber es gibt auch sonst ein stetiges Hin und Her von Streit und Annäherung. "Man schlägt sich, man verträgt sich", fasst der Anwalt des Angeklagten die Situation des Paares zusammen und das meint er in keinem übertragenen Sinne. Wie er und der Angeklagte sagen, prügelt der Ex-Mann seine Frau immer wieder, sie wird psychisch unter Druck gesetzt, muss für Monate in stationäre Behandlung.
Nicht nur deshalb schwant dem Richter und der Staatsanwältin, dass etwas nicht ganz koscher sein könnte an der Version des Klägers. Dieser will den Faustschlag seines Ex-Schwagers durch das auf der Beifahrerseite heruntergelassene Autofenster erhalten haben, aber daran gibt es Zweifel. Denn der Angeklagte hätte sich dazu weit ins Innere des Kleinwagens lehnen müssen, was angesichts der Statur des Mannes allein in der Vorstellung ein bizarr-komisches Bild abgibt. Außerdem verzichtete der angeblich Verletzte auf einen Arztbesuch und reichte die Klage erst etliche Tage später auf Anraten einer Mitarbeiterin des Jugendamtes ein. An der Glaubwürdigkeit der Angaben gibt es aber auch deshalb Zweifel, weil er auf die Frage des Anwalts, ob es in der Beziehung zur Ex-Frau zu Gewalttätigkeiten seinerseits gekommen sei, ausweichend antwortet. Wenn es so gewesen wäre, so argumentiert er, warum habe denn dann seine Ex nicht ihrerseits beizeiten ein Gerichtsverfahren angestrengt? Erst als der Anwalt wiederholt insistiert behauptet der Kläger, seine Frau während der Ehejahre nicht geschlagen zu haben.
Eine Klärungsannäherung in dem Fall sehen die drei Juristen im Prinzip nur in der Befragung der einzigen möglichen Zeugin. Es ist die Ex-Frau des Klägers und Schwester des Angeklagten, die die nur ein paar Sekunden währende Auseinandersetzung vom Fenster aus gesehen haben könnte. Aber wie glaubwürdig wäre sie angesichts der offensichtlichen Loyalitätskonflikte? Und welcher Belastung würde man der labilen, aber nach Angaben des Bruders herzenslieben Frau aussetzen? Also einigt man sich auf die Einstellung des Verfahrens.
Kompromiss
Der Angeklagte drohte seinerseits mit einer Klage gegen seinen Ex-Schwager, wenn er bei der Einstellung des Verfahrens die Kosten des Verfahrens hätte übernehmen müssen. "Ich bin unschuldig", sagte er zur Begründung. Um zu vermeiden, dass aus dem Streit eine unendliche Geschichte wird, einigte man sich so: Der Angeklagte übernimmt die Anwaltskosten, die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.