Beim Verlassen des Sitzungssaales murmelt Sabine Adam kaum vernehmlich den Satz: "In der Kirche würde man jetzt sagen: 'Der Friede sei mit Euch'". Frieden als Botschaft hatte die Richterin im Laufe des Vormittags wiederholt zu vermitteln versucht. Doch die Parteien, die sich hier im Radolfzeller Arbeitsgericht gegenüber sitzen, sind in ihren jeweiligen Standpunkten so weit voneinander entfernt, dass eine gütliche Einigung in weite Ferne rückt. Nun soll es ein Gerichtsurteil im Oktober richten.
Der Fall wirkt bizarr. Wie in einer zerrütteten Ehe könnte die Überschrift lauten: "Gohl gegen Gohl". Hier geht es jedoch um mehr als zwei Personen, die sich im Laufe der Jahre auseinandergelebt haben. Die Geschäftsführung des Singener Kühlturmherstellers E.W. Gohl, vertreten durch die Personalverantwortliche Corinna Werrier und die Rechtsanwältin Olivia Woldert, hat die Auflösung des Betriebsrates beantragt. Sie begründen dies mit schwerwiegenden Verstößen gegen die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Der Betriebsrat hingegen weist die Vorwürfe entschieden zurück und beruft sich auf seine im Betriebsverfassungsgesetz verankerten Mitbestimmungsrechte in Personalfragen. Doch genau damit hatten sich die Belegschaftsvertreter den Zorn der Geschäftsleitung zugezogen. Sie hatten dem Rauswurf von Mitarbeitern mehrfach widersprochen.
Zur Vorgeschichte: Im März 2017 hatte der fünfköpfige Betriebsrat unter dem Vorsitz von Joachim Graf nach fünfmonatigen, harten Verhandlungen einem Sozialplan mit Interessensausgleich zugestimmt. Angefangen hatte offenbar alles mit der Restrukturierung des Unternehmens im September 2016. Ursache dafür sei der Druck der französischen Gesellschaft der Cofinair-Gruppe, die das Unternehmen schrumpfen wollten, behauptet der 2. Bevollmächtigte der IG-Metall Singen, Raoul Ulbrich. Die Gewerkschaft vertritt einen Teil der Beschäftigten von Gohl. "Seitdem haben 20 Personen mit Aufhebungsvertrag das Unternehmen verlassen", weiß Ulbrich. Die Belegschaft sei von knapp 90 Mitarbeitern auf rund 70 geschrumpft.
Zwei weitere Beschäftigte erhielten Kündigungen, gegen die der Betriebsrat Einspruch erhoben hat. Gleichzeitig seien Leiharbeiter für Krankheitsvertretungen angeheuert worden. Genau das versucht der Betriebsrat zu verhindern. Die Geschäftsleitung hingegen sieht darin eine Behinderung des Betriebsablaufs. "Der Konflikt wird auf dem Rücken des Fertigungsleiters ausgetragen, der unter der Personalnot leidet", führte Rechtsanwältin Olivia Woldert ins Feld. Eine sprachlich missglückte Betriebsrats-E-Mail habe noch mehr Öl ins Feuer gegossen.
Während die Unternehmensleitung weiterhin den Betriebsrat auflösen will und akut Neuwahlen fordert, zweifelt der gegnerische Anwalt Jörg Zuber am Sinn dieser Aktion. Auch Richterin Adam gab zu bedenken, dass ein Gerichtsurteil frühesten im Oktober zu erwarten sei. Die nächsten Betriebsratswahlen stehen bereits ab März 2018 an. Sabine Adam gab den Vertretern der Geschäftsleitung zu verstehen, dass "das Betriebsverfassungsgesetz den Dialog zum Wohle des Betriebes und zum Schutze der Belegschaft vorsieht." Eine Behinderung des Betriebes durch ausgenutzte Fristen sieht sie nicht. "Das ist das Recht des Betriebsrats".
Raoul Ulbrich erklärt, er habe in seiner langjährigen Gewerkschaftsarbeit noch keinen vergleichbaren Versuch erlebt, einen Betriebsrat aufzulösen. Und auch der Arbeitsrechtler Jörg Zuber kann sich nicht an eine Auflösung eines Betriebsrates erinnern. Wie das Gericht nach der Beweisaufnahme im Oktober entscheiden wird, ist offen. In einigen Punkten hat Richterin Adam signalisiert, dass die Antragsteller das Betriebsverfassungsgesetz möglicherweise nicht ganz verstanden haben.
Firmengeschichte
1933 gründete Ernst Wilhelm Gohl seinen Heizungsfachbetrieb in Singen. 1959 stieg die Firma mit dem Entwicklungsingenieur Siegfreid Kübler in die Kühlturmfertigung ein. 1960 folgte der Bau des Betriebsgebäudes im Haselbusch in Singen. Mit der „Wirbelsinterung“ gelang dem Unternehmen 1970 die Entwicklung und Einführung der Oberflächenveredelung und damit ein Langzeitkorrosionsschutz. 1971 baute Gohl ein zweites Werk im Gaisenrain, das aber 2007 wieder verkauft wurde. Damals zogen Verwaltung und Produktion in ein neues Betriebsgebäude im Pfaffenhäule in Singen um. 2010 wurde die OOO Gohl Russia gegründet. 2012 folgte die Neuausrichtung der Gesellschafterstruktur mit der französischen Cofinair Group. (Quelle: E.W. Gohl)