Wie waren die Anfänge von Fridays-for-future in Singen? Wie sind Sie zur Klimaschutz-Bewegung gekommen?
Ich bin zum ersten Mal mit dem Thema Klimastreiks durch meinen Freund Matti Pelz, der auch bei uns im Organisationsteam ist, in Berührung gekommen. Er hat mich auf die Streiks in der Schweiz aufmerksam gemacht. In Singen hat dann die erste Veranstaltung am 15. März 2019 stattgefunden. Die wurde damals vor allem vom Schülersprecher des Friedrich-Wöhler-Gymnasiums, Nikolas Prem, organisiert. So haben mehrere zusammengefunden, die auch jetzt noch im Orgateam sind. Damals stand die Diskussion um den Kohleausstieg sehr stark im Fokus. Das war für mich auch einer der ausschlaggebenden Punkte. Dass nicht genug getan wird, um der Klimakrise angemessen zu begegnen.
Wie hat sich die Bewegung entwickelt?
Wir hatten ab da alle zwei Wochen Demonstrationen veranstaltet und haben uns dann auch verstärkt mit der Lokalpolitik auseinandergesetzt. Im November veröffentlichten wir ein Forderungspapier an den Gemeinderat und haben dafür etwa 1000 Unterschriften gesammelt. Die Forderungen enthalten zum Beispiel die Pflicht, Fotovoltaikanlagen auf Neubauten zu bauen und als Grundlage die Notwendigkeit, Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen. Wir sind auf jeden Fall in den ersten Monaten stetig gewachsen, sodass wir dann am 20. September bundesweit 1,4 Millionen Menschen auf der Straße hatten. Während einer Aktionswoche demonstrierten in Singen am 27. September 300 Menschen. Das war die größte Teilnehmerzahl.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie Otto Normalverbraucher erreichen?
Ich denke, dass die Diskussion so ziemlich alle Menschen erreicht hat. Das Thema wurde und wird nach wie vor stark diskutiert. Es ist aber vor allem wichtig, dass politisch die richtigen Maßnahmen ergriffen werden und in der politischen Diskussion wurde die Bewegung auf jeden Fall aufgegriffen.
Welche Ziele haben Sie für Singen erreicht?
Wir haben auch hier erreicht, dass das Thema diskutiert wurde, in den Medien, in der Bevölkerung und im Gemeinderat. Einmal durch das Forderungspapier und es gab ja relativ früh eine Resolution des Gemeinderats zum Thema Klimaschutz. Außerdem wurde die Umweltschutzstelle personell aufgestockt, zum Beispiel mit einer Klimaschutzmanagerin. Aber insgesamt sieht es mit den tatsächlich erreichten Zielen in Singen nicht so gut aus. Da ist auf jeden Fall Luft nach oben. Was wir schockierend fanden war, dass in der Klimaresolution des Gemeinderats ein Termin festgelegt war, zu dem das Klimaschutzkonzept von 2011 erneuert wird. Dieser Termin ist dann verstrichen, ohne dass etwas passiert ist. Auf unsere Nachfrage kam dann heraus, dass sich gar niemand in der Stadtverwaltung damit beschäftigt hatte. Das ist jetzt wieder aufgegriffen worden und wir sind jetzt auch in regelmäßigem Austausch mit der Umweltschutzstelle über alle verschiedenen Themen. Aber das hatten wir uns nicht so vorgestellt.
Sie müssen also immer mal wieder nachhaken und darauf beharren, dass bestimmte Themen weiterverfolgt werden?
Das auf jeden Fall. Es gibt aber auch Dinge, die umgesetzt werden sollen. Es wird zum Beispiel daran gearbeitet, dass die Beschlussvorlagen auf Klimaverträglichkeit überprüft werden, bevor sie im Gemeinderat beschlossen werden. Und was von unseren Forderungen auch umgesetzt werden soll, ist ein verbessertes Förderprogramm für Fotovoltaikanlagen für Privathaushalte. Da ist jetzt die Umweltschutzstelle dran, wie man das umsetzen kann. Es geht aber alles sehr langsam. Die großen Würfe fehlen uns. Ein Anfang wäre zum Beispiel eine verpflichtende Fotovoltaikanlage oder eine andere sinnvolle Nutzung auf den Dachflächen von Neubauten. Außerdem, dass man sich keine neuen fossilen Heizungsanlagen mehr einbauen darf. Das macht aus unserer Sicht keinen Sinn mehr, wenn man Klimaneutralität anstrebt.
Wie läuft denn der Kontakt mit der Umweltschutzstelle in Singen?
Wir haben regelmäßig Treffen, etwa einmal im Monat. Die finden im Moment natürlich online statt. Da muss ich die Stadt loben, die Verwaltung war immer sehr offen uns gegenüber und hat immer das Gespräch mit uns gesucht und auch nicht versucht, uns das Leben besonders schwer zu machen. Auch was die Genehmigung der Demos anbelangt.
Wie gehen die politischen Parteien mit dem Thema Klimawandel um und sehen Sie sich im Gemeinderat vertreten?
Das Thema wurde schon von manchen Parteien aufgegriffen, aber es gibt natürlich große Unterschiede. Es gibt Parteien, die den Klimaschutz schon vorher wollten und sich durch unsere Bewegung motiviert sehen. Es gibt aber immer noch Parteien, bei denen ich den Eindruck habe, dass sie nicht wirklich verstanden haben, worum es geht, oder dass sie einfach kein Interesse haben, die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Es gibt auf jeden Fall aber auch Parteien, die sich im Gemeinderat progressiv für das Thema Klimaschutz einsetzen.
Für die Landtagswahl gibt es ja jetzt eine Partei, die sich auf das Thema Klimaschutz spezialisiert hat. Was halten sie davon?
Diese Partei heißt Klimaliste. Es ist so, dass die Forderungen der Grünen in Sachen Klimaschutz auf Landesebene nicht ausreichen. Die Gründung der Klimaliste resultiert daraus, dass es keine Partei gibt, die die notwendigen Maßnahmen für konsequenten Klimaschutz auch wirklich umsetzt. Ich persönlich bin kein Freund von dieser Partei und ich glaube auch nicht, dass sie besonders hilfreich ist. Ich rechne nicht damit, dass die Partei die Fünf-Prozent-Hürde überwindet. Damit gingen die Stimmen, die man dieser Partei gibt, verloren. Ich plädiere auch dafür, dass man sich in den bestehenden Parteien dafür einsetzt, dass sie sich auf einen entsprechenden Kurs begeben. Die Grünen zum Beispiel haben auf Landesebene einen Schritt in diese Richtung gemacht, indem sie ein relativ ambitioniertes CO2-Budget festgelegt haben. Bei diesem Konzept sagt man: Dieses Budget wollen wir in Baden-Württemberg nicht überschreiten.
Welchen Einfluss hatte Corona auf die Bewegung in Singen? Die Demos konnten ja nicht in gewohnter Weise durchgeführt werden.
Die Demos waren ja unsere Hauptaktivität. Dadurch, dass wir die Demos regelmäßig durchführen konnten, haben wir das Thema auf die Straße und in die Medien gebracht. Am Anfang der Pandemie hat Corona alles medial überlagert. Für uns war es unmöglich, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Was ich aber gut finde ist, dass wir im Organisationsteam sogar mehr Aktive geworden sind. Es ist nicht so, dass der Kern der Bewegung kleiner geworden ist, er ist in Singen sogar gewachsen und das ist auch in den anderen Ortsgruppen im Land ähnlich.
Konnten Sie ihre Aktivitäten denn ins Internet verlegen?
Das ist tatsächlich schwierig. Eine Demonstration mit vielen Teilnehmern kann man im Internet schlecht ersetzen. Wir haben zwei Mahnwachen und zwei Rad-Demos mit Abstand veranstaltet, um präsent zu bleiben. Mit den sozialen Medien erreicht man vor allem die Menschen, die sich sowieso schon für Klimaschutz interessieren. Aber die Leute, die sich sonst weniger damit beschäftigen, die erreicht man eher, wenn man sich auf der Straße zeigt. Es ist uns bei den Demos wichtig, uns an die Corona-Regeln zu halten. Das ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit: Junge Leute betrifft das gesundheitlich weniger stark, aber wir wollen die Älteren schützen. Das wünschen wir uns für die Klimakrise auch umgekehrt.
Mit welcher Kritik werden Sie auf den Demos konfrontiert? Ein Passant hat zum Beispiel gesagt, die Wirtschaft gehe aufgrund der Pandemie kaputt, Arbeitsplätze sind in Gefahr und Sie demonstrieren für eine Energiewende.
Mit solchen Kommentaren müssen wir uns seit Beginn auseinandersetzen. Ich habe aber den Eindruck, dass die Kommentare immerhin qualifizierter geworden sind. Man versucht nicht mehr, uns als Schulschwänzer hinzustellen, sondern beschäftigt sich mit dem Inhalt. Was an Ihrem Beispiel deutlich wird. Außerdem ist es ja auch ein großer Wandel, der da auf uns zukommt. Ich kann verstehen, dass die Menschen Angst haben, zum Beispiel um ihren Arbeitsplatz. Der Kommentar ist insofern interessant, weil das keine Gegensätze sind, eine gute Wirtschaft und Klimaschutz.
Inwiefern?
Wenn man den Klimaschutz richtig organisiert, kann man die Wirtschaft fördern und Arbeitsplätze schaffen. Im Bereich der Energiewende können viele Arbeitsplätze entstehen und sind auch schon entstanden. Die Wirtschaftshilfen kann man auch für den Klimaschutz einsetzen, indem man sie an Bedingungen knüpft oder in Bereiche gibt, die für den Klimaschutz relevant sind, anstatt mit Subventionen die Kohleindustrie zu fördern. Eine gute Wirtschaft ist langfristig nur mit Klimaschutz möglich, je länger wir mit entscheidenden Maßnahmen warten, desto teurer wird es. Und wenn wir gar nichts tun, sieht es für die Wirtschaft schlecht aus. Wenn es darum geht: Haben wir genügend Trinkwasser? Müssen wir Land aufgeben, wegen dem Anstieg der Meeresspiegel?
Wie geht es für Fridays-for-future in Singen weiter, was sind die Ziele für die Zukunft?
Es stehen ja zwei wichtige Wahlen an, die Landtags- und Bundestagswahl. Da werden wir sehr stark versuchen, das Thema Klimaschutz in den Vordergrund zu rücken, damit es bei der Wahlentscheidung eine wichtige Rolle spielt. Wie man bei der Europawahl gesehen hat, funktioniert das sehr gut. Zur Landtagswahl findet zum Beispiel am 26. Februar ein Aktionstag im ganzen Land statt, an dem es auch hier in Singen wieder eine Aktion geben wird.
Fragen: Jacqueline Weiß