Herr Probst, 2001 haben Sie die Leitung der unfallchirurgischen Abteilung am Singener Hegau-Klinikum übernommen. Was hat Sie von der Uniklinik Münster in den Süden Deutschlands geführt?

Axel Probst: In Münster hatte ich als Leitender Oberarzt der Klinik erreicht, was möglich war. Für mich war es deshalb Zeit über meine und vor allem die Zukunft meiner Familie nachzudenken. Die Ausschreibung des damaligen Hegau-Klinikum hat mich angesprochen, weil ich als Süddeutscher von Westfalen zurück wollte und Prof. Rühland, ebenfalls ein Münsteraner, in Singen eine hervorragende Viszeralchirurgie aufgebaut hatte. Das Hegau-Klinikum war deshalb in Münster ein Begriff.

Können Sie sich noch an das Bewerbungsgespräch erinnern?

Axel Probst: Ja, sehr gut. Bei Kaiserwetter bin ich im Winter über den Hegau-Blick gefahren und die schneebedeckte Alpenkette lag vor mir. Noch heute geht mir bei diesem Anblick das Herz auf. Die Bewerbungsgespräche mit dem damaligen Klinikdirektor Friedbert Lang, dem damaligen Ärztlichen Direktor Professor Helpap und dem damaligen Oberbürgermeister Andreas Renner waren geprägt von Wertschätzung. Die Weiterentwicklung der Unfallchirurgie stand dabei im Fokus. Die Pläne der Klinikleitung und der Umgang miteinander hat mich sicher gemacht, dass mein weiteres berufliches Leben in Singen erfolgreich sein wird.

Sie sind neben der Unfallchirurgie auf die Handchirurgie spezialisiert. Was sollte das für die Zukunft der Singener Klinik bedeuten?

Axel Probst: Die Handchirurgie war innerhalb der Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Münster ein wichtiger Faktor. Wir waren zentraler Versorger für den nordwestdeutschen Raum. In der chirurgischen Ausbildung musste man in diese chirurgische Spezialität hineinwachsen, wenn man Verantwortung übernehmen wollte. Für das Singener Krankenhaus und den späteren Klinikverbund war das eine gute Möglichkeit der Weiterentwicklung. Es gab in der näheren Umgebung keinen Handchirurgen.

Was hat sich in fast 24 Jahren als Chefarzt in der Unfallchirurgie verändert?

Axel Probst: Viel. Als ich anfing, war das Arbeiten in der Unfallchirurgie beschaulich. Mit der Zeit aber sind die Patientenzahlen rasant angestiegen. Bisher stationär durchführbare Operationen mussten in den ambulanten Bereich verschoben werden, für den aber keine Ressourcen vorgesehen waren. Die Berufsgenossenschaften verschärften ihre Struktur- und Qualitätsanforderungen für die Behandlung von Arbeitsunfällen. Die Fachgesellschaften definierten Struktur- und Qualitätskriterien für die Behandlung Schwerstverletzter. Es wurde notwendig neue Fachabteilungen, wie beispielsweise die Neurochirurgie, an der Klinik zu etablieren, um die Zulassungen zur Behandlung dieser chirurgisch sehr anspruchsvollen Patienten zu erhalten. Wenn in meiner Dienstzeit eines beständig war, dann war dies der Wandel.

Sie sind ja sicher nicht Arzt geworden, um sich mit Verwaltungsaufgaben herumzuschlagen.

Axel Probst: Sie haben recht. Schon als Schüler wollte ich Unfallchirurg werden. Mein Jugendtraum ging also in Erfüllung. Rückblickend würde ich nichts anders machen wollen. Die Behandlung von Verletzten war mir immer eine Freude. Wenn man sich aber um die Stelle eines Chefarztes bewirbt, dann ist völlig klar, dass eine Hauptaufgabe ist, Bindeglied zwischen Ökonomie und Medizin zu sein. Der Chefarzt muss um die Ressourcen kämpfen, die die Ärzte zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen.

Das ist die administrative Seite des Chefarztberufs. Und die fachlich-inhaltliche ...?

Axel Probst: Die andere Aufgabe des Chefarztes ist, jüngere Kollegen auszubilden, erfahrenen Kollegen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und in schwierigen Fällen selbst Hand anzulegen. Der Chefarzt gibt die Richtung vor. Aber ohne das Team ist er verloren. Ich meine, dass das im Laufe der Jahre eng zusammen gewachsene unfallchirurgische Team den Wandel mit Bravour gemeistert hat. Ich bin allen, die daran mitgearbeitet haben, sehr dankbar.

Hat sich im Verhältnis Arzt-Patient im Laufe ihres Berufslebens etwas verändert?

Axel Probst: Patienten, die durch einen Unfall verletzt wurden, kommen in einem Ausnahmezustand in die Klinik. Manchmal arbeiten wir am Rande der Existenz. Das ist für uns Ärzte, aber auch für die Verletzten und deren Angehörige sehr belastend. Es ist Bürde aber auch Freude, die am leichtesten im Team gemeinsam getragen werden kann. Im Laufe des Berufslebens erlebt man viel Menschliches. Trauer und Schuldzuweisungen, aber auch tiefe Dankbarkeit. Das hat sich nicht verändert und wird sich auch nicht verändern.

Hat das Internet auch Auswirkungen auf Ihren Beruf?

Axel Probst: Das Internet hat tatsächlich Auswirkungen auf unsere Arbeit. Die Leute kommen mit Empfehlungen von Dr. Google und stellen berechtigte Fragen. Es ist dann Aufgabe, das Internetwissen in den Zusammenhang des konkreten Falles zu bringen. Wenn dies nicht gelingt, muss man die Behandlung ablehnen.

Von 2007 bis 2013 waren Sie ärztlicher Direktor. 2008 war die Klinik durch die Erweiterung nach Westen finanziell in Schieflage geraten. Was hat das für Sie bedeutet?

Axel Probst: Für die Finanzen war ich ja nicht zuständig. Trotzdem war ich im Verbund sehr viel unterwegs. Es gab viele Gespräche, Konferenzen und Betriebsversammlungen. Die Mitarbeiter waren in Sorge um ihre Arbeitsplätze. Wir mussten sie davon überzeugen, dass das Krankenhaus weiter existieren werde und ihre persönliche Situation nicht gefährdet war. Meine Aufgabe war es, den Laden am laufen zu halten.

Ich erinnere mich auch an wissenschaftliche Erfolge.

Axel Probst: Ja, es gibt Erfolge, die besonders sind, weil sie nicht zur Dienstaufgabe gehören. Ich meine die klinische Forschung unter Federführung des Leitenden Oberarztes Ronny Langenhan. Er hat in einer ungeheuren Fleißarbeit Datenbanken erstellt, in denen die Behandlung von unfallchirurgischen Patienten über die letzten 15 Jahre dokumentiert ist. Ein sehr wertvoller, wissenschaftlicher Schatz. Wir waren dadurch in der Lage, Schwachstellen bei unseren Behandlungsmethoden zu erkennen und Lösungswege zu finden. Wir konnten damit die Komplikationsraten senken, das heißt Leid von den Patienten abwenden. Jedes Mal, wenn wir eine unserer Erkenntnisse in einer unfallchirurgischen Fachzeitung zur Diskussion stellen konnten, war das für uns eine Sternstunde.

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Wie fühlen Sie sich jetzt, wenn Sie die Unfallchirurgie nicht mehr ausüben?

Axel Probst: Die Unfallchirurgie ist ein sehr körperliches Fach. Es ist schweres Handwerk, bei dem man als Arzt oft stundenlang über dem Patienten arbeitet. Und wenn man älter wird, spürt man die körperliche Belastung deutlich. Man kann mit den Jüngeren nicht mehr mithalten. Es wird deshalb Zeit, dass die Jüngeren die Verantwortung übernehmen und den Stab weitertragen. Ich schaue mit Dankbarkeit zurück und freue mich auf den neuen Lebensabschnitt.

Haben Sie sich mit dem Eintritt in den Ruhestand ganz aus der Medizin verabschiedet?

Axel Probst: Bis auf gelegentliche Gutachten für die Ärztekammer, bei denen es um Haftpflichtfälle geht, habe ich mich ins Privatleben zurückgezogen. Im Sommer bin ich viel mit dem Fahrrad in den Hegaubergen oder den Alpen unterwegs, im Winter ist Skifahren meine Passion. Ich unternehme Reisen zu meinen Kindern und versuche Freundschaften zu pflegen. Außerdem bin ich sehr an der Zeitgeschichte interessiert. Meine zweite Leidenschaft ist die Physik. Ich besuche online Vorlesungen. Ich will die Gedankenwelt von Einstein verstehen, einen Einblick in das ganz Kleine der Quantenmechanik und das ganz Große der Kosmologie bekommen. Die Mathematik dazu verstehe ich nur ansatzweise, aber immerhin beginne ich zu verstehen, was Materie ist.