Die Pandemie verändert das Verhalten der Menschen und Dirk Oehle genügt für die Analyse ein kurzer Blick aus seinem Arbeitszimmer in der Otto-Hahn-Straße 4 auf das Gelände mit den hier gelagerten Altmaterialien. Bei dem in dritter Generation von ihm geleiteten Recycling-Betrieb gab es in den vergangenen Monaten eine deutliche Zunahme bei der Anlieferung von Containern mit Wertstoffen aus dem privaten Bereich. Die Leute räumen auf, entrümpeln Keller und Speicher, renovieren und reparieren – weil sie Zeit und Geld haben. Die Kurzarbeit in Kombination mit dem Verzicht auf Urlaubsreisen machen‘s möglich, so die Einschätzung des jüngst von der IG Singen Süd in seinem Amt als Vorsitzender bestätigten Unternehmers.

Zeit zum Entrümpeln

Dirk Oehle sieht sich dabei selbst als Otto Normalverbraucher. Seit geraumer Zeit tropfte bei ihm daheim der Wasserhahn in der Küche und Corona sorgte in diesem Fall für einen positiven Kollateral-Effekt. Und auch im Kleiderschrank räumte der Mann auf. Vom Typ her sieht er sich eher als Sammler, für den sich im Stoff stets auch Erinnerungen ansammeln. T-Shirts gehören zu seiner bevorzugten Oberbekleidung, aber Corona führte ihm die Unsinnigkeit der Horterei vor Augen. „Am Ende siegte die Vernunft“, sagt Dirk Oehle über seine private Altkleidersammlung und entsorgte neben anderer Garderobe auch rund 25 seiner geliebten T-Shirts.

Das Plus an Container-Anlieferungen mit Wertstoffen aus dem privaten Bereich vermag die sonstigen Einbußen freilich nicht zu kompensieren. Der Umsatz der Oehle Rohstoffverwertung GmbH schwankt nach Angaben des Unternehmers zwischen 5 und 7 Millionen Euro im Jahr, für dieses Jahr geht er von einem Umsatzrückgang um 20 Prozent aus. Da auch in den zwei bis drei Jahren zuvor das Geschäft mit Rohstoffen nicht so brummte wie früher, rechnet Dirk Oehle im Vergleich zu bisherigen Durchschnittsjahren mit einem Umsatzrückgang von 30 Prozent, was für die 14 Mitarbeiter bislang so gut wie keine Folgen hatte. „In Krisenzeiten bewährt sich unsere solide Struktur als Familien-Betrieb“, sagt der Geschäftsführer.

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Der Mengenrückgang bei der Rohstoffanlieferung aus der Wirtschaft verdeutlicht für Dirk Oehle das Ausmaß der Corona-Folgen. Die Industrie ist nach seiner Einschätzung fast zum Erliegen gekommen, was wiederum Rückschlüsse auf den Rückgang beim Konsum erlaube. Auch aus dem Handwerk, beispielsweise den Bereichen Schlosserei oder Dreherei, sowie aus den für Singen bedeutsamen Autozulieferern kommt in der Otto-Hahn-Straße deutlich weniger an als vor Corona.

Probleme bei den Lieferketten

Neben den finanziellen Folgen ergeben sich dabei nach Wahrnehmung des Vorsitzenden der IG Singen Süd auch Probleme bei den Lieferketten, etwa bei den Autowerkstätten. Auch dafür führt Dirk Oehle ein Beispiel aus eigenem Erleben an. Fünf Werktage hat es demnach gedauert, bis das Material für den Austausch von Bremsbelegen für sein Auto zur Verfügung stand – eine vor der Pandemie undenkbare Zeitspanne.

Aus Gesprächen mit Autohändlern weiß er auch über die durch Corana schwieriger gewordenen Verkaufsgespräche Bescheid. Die Reduzierung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent beispielsweise führt unter anderem wegen Lieferzeitüberschneidungen zu Unsicherheiten bei Kunden und Verkäufern und sorgt auch zwischen Herstellern und Händlern wegen der etwaigen Übernahme der dreiprozentigen Steuerdifferenz für Probleme. Im Kontext der Diskussion um die Zukunft von Verbrennungsmotoren beziehungsweise von E-Mobilität stuft er solche Details als zusätzliches Hemmnis bei den Kaufentscheidungen ein.

Neues Sofa statt Urlaubsreise

Dagegen sitzt das Geld in anderen Branchen lockerer. Beim Möbelverkauf läuft das Geschäft laut Dirk Oehle erstaunlich gut, wobei auch hier erst einmal der Einbruch durch den Lockdown im Frühjahr wett gemacht werden müsse. Zugunsten kämen den Händlern dabei die Einschränkungen im Tourismus. Das hierfür vorgesehene Budget werde jetzt oftmals für die Aufwertung des Wohnbereichs genutzt, und „statt 1500 oder 2000 Euro werden jetzt schon mal eher Sitzgruppen für 5000 Euro verkauft“.

Gegner einer lokalen Schuldenpolitik

Die branchenabhängigen Unterschiede ändern nach Ansicht des Vorsitzenden von IG Singen Süd jedoch nichts an den wirtschaftlichen Gesamtfolgen für die Stadt. Als Sprecher einer der wichtigsten Interessensgruppen hält Dirk Oehle gleichwohl wenig von einer kommunalen Unterstützung der bereits von Bund und Land geleisteten Hilfen. Letztere bergen für ihn die Gefahr einer Förderung von Misswirtschaft, weshalb er sich in seiner Funktion als Sprecher der Neuen Linie im Gemeinderat strikt gegen Investitionen auf Pump zur Ankurbelung der Wirtschaft ausspricht. Konkret heißt das für ihn, dass der Bau der Kindertagesstätte in der Nordstadt verschoben und bei anderen Vorhaben Prioritäten gesetzt werden sollten. Der Erhalt des Straßennetzes oder die Entwicklung des Angebots im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs rangieren für ihn dabei klar vor Projekten wie der Ertüchtigung oder eines Neubaus des Hallenbads.

Die Erkenntnis dazu kam ihm übrigens beim Besuch des Bades, zu dem er wegen Corona endlich einmal Zeit fand. „Ich war positiv überrascht über den Zustand“, sagt er. Ihm sei klar, dass man alles besser machen könne und den Anforderungen eines Spaßbades werde das Hallenbad sicher nicht gerecht. „Aber fürs Schwimmen reicht‘s und das muss jetzt erst einmal genügen.“