Die Ankündigung der Bundesregierung, die Corona-bedingten Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer durch ein finanzielles Hilfspaket zu kompensieren, kommt bei den Städten und Gemeinden naturgemäß gut an. In den meisten Kommunen gehört die Gewerbesteuer zu den Haupteinnahmequellen, was sich auch an drei vom SÜDKURIER ausgewählten Fallbeispielen aus dem Hegau zeigt. In der Hegau-Metropole Singen wird derzeit mit Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer von 11 Millionen Euro gerechnet, in der mittelgroßen Gemeinde Gottmadingen geht das Rathaus von einem Minus von 1,7 Millionen Euro aus und in Steißlingen als Beispiel für die kleineren Hegau-Kommunen beläuft sich der Betrag wahrscheinlich auf 200.000 Euro.
Die prinzipiell freudigen Reaktionen aus den Rathäusern über die angekündigten Ausgleichszahlungen sind gleichwohl von einem skeptischen Unterton geprägt. „Sicherlich ist vor allem der angekündigte kommunale Solidarpakt 2020, mit dem die aktuellen krisenbedingten Ausfälle der Gewerbesteuereinnahmen kompensiert werden sollen, ein wichtiges und notwendiges Instrument für uns Kommunen, um die vor uns liegenden Aufgaben schultern zu können“, schreibt beispielsweise Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler. „Bei der Bewertung des Konjunkturprogramms fehlen mir derzeit allerdings noch die Details und vor allem die Haltung des Landes Baden-Württemberg, die nach den vorliegenden Plänen ja auch einen Teil der Kosten übernehmen soll“, so heißt es in der Pressemitteilung weiter.
Michael Klinger graust‘s vor der „Programmitis“
Auch für Michael Klinger ergeben sich aus der Ankündigung aus Berlin mehr Fragen als Antworten. „Grundsätzlich ist das natürlich schön“, sagt der Gottmadinger Bürgermeister, der vor allem wegen des Verzichts einer Übernahme von kommunalen Altschulden erleichtert ist. Diese zur jetzigen Hilfe angedachte Option einer Unterstützung für Städte und Gemeinden hätte seiner Ansicht nach jene Kommunen belohnt, die weniger sorgsam gehaushaltet haben. Was auch gut bei ihm ankommt: Diesmal sieht es danach aus, dass es den Kommunen überlassen bleibt, wofür sie das Geld aus Berlin ausgeben. Die um sich greifende „Programmitis“, bei Gelder zweckgebunden und also nicht in freier Vorort-Entscheidung verwendet werden dürfen, sind dem Gottmadinger Bürgermeister schon längst ein Graus.
Digital-Pakt als schlechtes Vorbild
Doch damit hat sich‘s dann auch schon mit der Erleichterung. Michael Klinger will erst dann ein Urteil über die Hilfe aus Berlin abgeben, „wenn ich weiß, was das tatsächlich bedeutet“. Er erinnert an die Digitalisierungs-Milliarden, von denen an der kommunalen Basis bislang nur lächerliche Summen angekommen seien. Wenn der Finanzfluss diesmal in ähnlicher Weise durch komplizierte Genehmigungsverfahren in einem Geflecht schwer durchschaubarer Zuständigkeiten gehemmt würde, geht nach Ansicht des Bürgermeisters der eigentliche Zweck der Hilfe verloren.
Dieser liegt in einer möglichst raschen Ankurbelung der Konjunktur. Wird das Geld erst in ein paar Monaten oder im nächsten Jahr überwiesen, befürchtet Michael Klinger ein Verpuffen des erhofften Effekts. Doch selbst wenn die Bürokratie diesmal auf Zack sein sollte, rechnet sein Kämmerer nicht vor dem Herbst mit einem belastbaren Verteilungsschlüssel für die Hilfsgelder.

Was speziell Gottmadingen anbelangt, so geht Michael Klinger unabhängig von den diversen Hilfspaketen von einer länger andauernden Haushaltssperre aus. Grund ist das laufende 30-Millionen-Euro Projekt des Schulneubaus, das nicht mehr gestoppt und bei dem es auch nichts einzusparen gibt. „Auch wenn die Mindereinnahmen bei Gewerbesteuer kompensiert werden, müssen wir für lange Zeit die Hinterbacken zusammendrücken.“

Ähnlich wie bei Bernd Häusler und Michael Klinger fällt die Bewertung über den Ausgleich der Gewerbesteuer auch bei Benjamin Mors aus. Der Steißlinger Bürgermeister begrüßt die Hilfe „ausdrücklich“, erfährt aber von den Modalitäten „wie etwa bei der Öffnung von Bädern oder Kindertagesstätten Genaueres auch erst aus der Presse“. Immerhin treffen seine Gemeinde die Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer mit 200.000 Euro (bei einem Planansatz von 2,7 Millionen Euro) weniger hart als andere, vor allem größere Kommunen. „Kleinere Gemeinden haben meist viele Gewerbesteuerzahler“, sagt er, „und diese heterogene Struktur ist in solchen Krisenzeiten etwas günstiger als in Fällen, in den die Gemeinden von wenigen zahlungskräftigen Gewerbesteuerzahlern abhängt.“ Dass es Steißlingen relativ gut durch die Krise kommen dürfte, zeigt auch die Prognose: Benjamin Mors geht in diesem Jahr von einem knapp positiven Haushaltsergebnis aus.
Nach welchen Kriterien sollen die zugesagten Finanzhilfen aus Berlin verteilt werden?
- Das Hilfspaket sieht für die Städte und Gemeinden im Bereich der Gewerbesteuer den Ausgleich der Mindereinnahmen vor, die Bundesregierung nannte dazu die Zahl von 6 Milliarden Euro. Angesichts der drei Beispiele aus dem Hegau mit einem prognostizierten Gewerbesteuerausfall von insgesamt knapp 13 Millionen Euro, könnte das bei der Hochrechnung auf alle Kommunen in Deutschland knapp werden. Laut Bundesregierung sollen sich die Länder an der Übernahme der Gewerbesteuerausfälle beteiligen, Detailinformationen über die Höhe der Länderanteile und die praktische Umsetzung stehen allerdings noch aus.
- Die Berechnung: Da in Berlin keine Schatztruhe steht, aus der man das Geld nehmen und unter den Städten und Gemeinden verteilen kann, stellt sich die Frage nach der Finanzierung des Ausgleichs für die durch die Corona-Folgen entgangenen Gewerbesteuer-Beträge. Eine Variante, die nach Angaben von Benjamin Mors zur Debatte steht, ist die Anpassung beziehungsweise die Erhöhung der Anteile, die den Gemeinden aus der Umsatzsteuer zustehen. Diese Finanzierungsoption verdeutlicht die Komplexität der Berechnung, da der Umsatzanteil dem örtlichen Gewerbesteuerausfall entsprechen müsste.
- Die Gerechtigkeit: Die Gewerbesteuer gilt als Kommunalsteuer, weil ihre Höhe von den Gemeinderäten festgelegt wird (gleichwohl fließen Teile der Einnahmen über Umlagen auch in andere öffentliche Töpfe). Konkretes Beispiel: Singen verlangt von den Unternehmen eine geringere Steuer als Konstanz. Da die Hebesätze variieren, fallen folglich auch die Mindereinnahmen unterschiedlich aus. Im Prinzip schneiden bei den jetzt vorgesehenen Ausgleichszahlungen somit die Städte und Gemeinden mit einem hohen Hebesatz besser ab als Kommunen, die eine vergleichsweise niedrige Gewerbesteuer verlangen.
- Begehrlichkeiten: Das Hilfs- beziehungsweise Konjunkturprogramm der Bundesregierung führt zwangsläufig zu einem erhöhten Diskussionsbedarf. Die Haushaltssperre in Singen beispielsweise sieht bis auf Weiteres die Verschiebung des Neubaus einer Kita in der Nordstadt vor. Die SPD-Fraktion hat unter anderem angesichts der Aussicht auf 11 Millionen Euro aus dem Ausgleichstopf für die Gewerbesteuer bereits eine Anfrage an Oberbürgermeister Bernd Häusler gestellt, ob der Nordstadtkindergarten mit einem Kostenvolumen von insgesamt 6 Millionen Euro nicht von der Haushaltssperre befreit werden könnte.