Praktisch ganz Südbaden von Lörrach bis Lindau liegt weit ab von den geplanten Leitungen für das Wasserstoffkernnetz in der Bundesrepublik. Gerade mal ein halbes Jahr ist es her, dass dieser weiße Fleck auf der Landkarte Deutschlands auftauchte. Doch der Anschluss ist wichtig, um die Region mit grünem Wasserstoff zu versorgen. Neben dem CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Jung ist auch der Standortmarketingverein Singen aktiv gemeinsam mit der Stadtverwaltung intensiv am Thema dran und hat nun mit dem Landkreis Konstanz eine Informationsveranstaltung zum Thema „Wasserstoff als Treiber für regionale und industrielle Transformation“ organisiert.

Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler blickt besorgt auf die Landkarte: Singen liege Luftlinie 86 Kilometer von Lindau, 75 Kilometer von Freiburg und 119 Kilometer von Stuttgart entfernt. Dort sind die nächsten Knotenpunkte für Wasserstoffnetze vorgesehen. „Es ist umso wichtiger, dass wir uns nun als Region positionieren“, so Häusler. Landrat Zeno Danner hat jedoch den Eindruck, dass eine gewisse Dynamik in Gang gekommen ist. Moderator Wilfried Trah, Vorsitzender von Singen aktiv, betonte, dass die Region ohne Bedarfsmeldungen nicht wahrgenommen werde und wies auf den ganz neuen Förderantrag der Stadt hin.

Analytikerin sieht großen Bedarf

Maike Schmidt ist Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg: „Grüner Wasserstoff wird derzeit nur vereinzelt als Industrierohstoff eingesetzt, zum Beispiel im Ruhrgebiet“, sagt sie und blickt auf die Erdgasfernleitungen im Land. Die seien meist wasserstofffähig. Sie rechnet damit, dass in etwa 20 Jahren rund 34 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs durch Wasserstoff und seine synthetischen Folgeprodukte gedeckt werde.

Bei einer Abfrage im Land waren 474 Bedarfsmeldungen eingegangen, davon 196 aus der Industrie und 197 von Unternehmen wie Energieversorgern oder Krankenhäusern. Der Wasserstoffbedarf läge so im Jahr 2030 bei 22,8 Terawattstunden (TWh), 2035 schon bei 73,5 TWh und 2040 voraussichtlich bei 90,7 TWh im Jahr. Um dies bereitstellen zu können, seien schnellstmöglich Vor-Ort-Erzeugungskonzepte, sogenannte lokale H2-Hubs, zu entwickeln.

Netzbetreiber können Leitungen neu nutzen

Markus Kittl ist Kommunalmanager der Thüga Energienetze. Er verweist auf die Pläne des Fernleitungsnetzbetreibers Terranets BW. „Ab 2040 wird kein Gas mehr durch die Leitungen laufen“, so Kittl. Zurzeit seien die Thüga Energienetze dabei, alle Bestandsdaten zu erfassen. 95 Prozent aller Leitungen seien geeignet für die Umstellung auf Wasserstoff. Regler und Zähler seien relativ einfach austauschbar.

Markus Kittl, Mitglied der Geschäftsleitung sowie Kommunalmanager der Thüga Energienetze (Then), zeigte zusammen mit Kollegen regionale ...
Markus Kittl, Mitglied der Geschäftsleitung sowie Kommunalmanager der Thüga Energienetze (Then), zeigte zusammen mit Kollegen regionale Lösungsmöglichkeiten auf. | Bild: Susanne Gehrmann-Röhm

Béatrice Angleys vom Bereich Innovation bei der Thüga in München betonte, dass lokale Erzeugerprojekte immer wichtiger werden: „2030 werden wir 95 bis 130 TWh Wasserstoff pro Jahr brauchen. Davon könnten 30 TWh aus heimischer Produktion stammen“, so Angleys. Ein Leuchtturm-Projekt der Thüga sei bei Ingolstadt erfolgreich in Betrieb genommen worden. Hier sei das Bestandsnetz auf 100 Prozent Wasserstoff umgewidmet worden.

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Solarexperte sieht noch viel Potenzial

Franz Reichenbach vom Konstanzer Verein International Solar Energy Research Center (ISC) beeindruckte zunächst mit einer Zahl: Die Sonne schicke pro Stunde so viel an Energie auf die Erde, wie die Menschheit in einem Jahr verbrauche. Das sei ein 8700-facher Überschuss.

Nichtdestotrotz finden viele immer noch ein Haar in der Suppe in Bezug auf Sonnenenergie. „Politik, Industrie und Gesellschaft müssen begreifen, dass die Transformation eine Chance ist, auch den Wohlstand zu bewahren“, so Reichenbach. Die Politik sei gefordert mit klaren Vorgaben, Technologie-Offenheit und dem Willen, in Hardware zu investieren.

Alexander Schuler und Franz Reichenbach (von links) standen für Fragen rund um das Thema Wasserstoff an ihrem Infostand über die Studie ...
Alexander Schuler und Franz Reichenbach (von links) standen für Fragen rund um das Thema Wasserstoff an ihrem Infostand über die Studie des Vereins ISC Konstanz und Solar-Lago zur Verfügung. | Bild: Susanne Gehrmann-Röhm

Solarenergie sei zur günstigsten Energieform überhaupt geworden. Im Landkreis Konstanz könnten nach einer Studie noch sehr viel mehr Photovoltaikanlagen installiert werden, zum Beispiel auch über Obstbauflächen. In diesem Zusammenhang erwähnte Reichenbach, dass der Landkreis im Jahr 2020 für fossile Kraftstoffe 500 Millionen Euro ausgegeben habe. Solche Ausgaben könne man sich künftig sparen.

Der Blick der Wasserstofferzeuger

Dirk Sommerhalter ist Geschäftsführer der Infrastruktur Trägergesellschaft (ITS) und informierte über die trinationale Wasserstoffinitiative im Dreiländereck Frankreich-Deutschland-Schweiz. Dieser gehört auch der Landkreis Konstanz an.

Dirk Sommerhalter (Geschäftsführer der Infrastruktur Trägergesellschaft ITS) sprach über die Trinationale Wasserstoffinitiative im ...
Dirk Sommerhalter (Geschäftsführer der Infrastruktur Trägergesellschaft ITS) sprach über die Trinationale Wasserstoffinitiative im Dreiländereck Frankreich-Deutschland-Schweiz. | Bild: Susanne Gehrmann-Röhm

Wie es die Schweizer machen, erfuhren die Teilnehmer von Lucas Grolimund von H2-Energy und Verwaltungsrat bei Hydrospeicher, einer Anlaufstelle für Wissens- und Technologietransfer. Sein Fokus lag auf dem Bereich Schwerlastverkehr. 2016 habe man 50 Wasserstofftrucks in Südkorea bauen lassen und inzwischen das größte Wasserstofftankstellennetz weltweit in der Schweiz. Die Tankstellen funktionieren im Übrigen mit Industrieprodukten aus Deutschland. „Die Ladezeit ist etwa gleich schnell wie beim Tanken mit Diesel“, so Grolimund.

Unterstützung aus der Wissenschaft

Alexander Graf, Geschäftsführer Standortpolitik bei der IHK Hochrhein-Bodensee, setzt auf Wissens- und Technologiertransfer als zentralen Motor. In der Vierländerregion gebe es mit 25 Hochschulen und 3000 Lehrstühlen über 20.000 Forschende. „Kommen Sie auf uns zu wegen Fördermöglichkeiten“, appelliert er.

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Das vierte Wasserstoff-Forum veranstaltet die IHK am Donnerstag, 27. Juni, im Konzil in Konstanz. Anmeldung bis 21. Juni. Weitere Informationen im Internet unter www.ihk.de/konstanz/wasserstoff