Bürgermeisterin Ute Seifried wirkt am Telefon gefasst: „Mir geht es besser“, sagt sie. Die Reha schlage an und es gehe aufwärts – zwar nur langsam, aber aufwärts. Singens Bürgermeisterin ist seit Wochen krankgeschrieben – eine Verletzung am Bein, so die offizielle Begründung. Am Telefon bestätigt Seifried: Es handele sich um eine Weber-B-Fraktur, die eine Operation nach sich gezogen habe. Sicher unangenehm, aber warum dauert die Genesung so lange? Das fragen sich viele Menschen in Singen, schließlich ist die Bürgermeisterin sonst ständig auf vielen Terminen präsent.
Auch Seifried weiß, dass in der Stadt Vermutungen zu ihrer langen Abwesenheit kursieren – ihr letzter öffentlich berichteter Auftritt war im März. Sie möchte diesen entgegentreten. Doch die Bürgermeisterin wird auch die kommenden Wochen nicht ins Singener Rathaus zurückkehren. „Mein Hauptproblem ist nicht der Fuß. Es ist Long Covid.“
Wenn Corona wirklich hart zuschlägt
Das Corona-Virus hatte Bürgermeisterin Seifried bereits im März 2022 das erste Mal erwischt. „Da habe ich ziemlich dagegen gewütet, bin dagegen angerannt“, sagt sie. Sie habe ihre Symptome so einfach nicht akzeptieren wollen und ihren Körper gezwungen, weiterzumachen. Aber die Folgen seien verheerend gewesen: Herzrasen, Schwindelanfälle, heftige Muskelschmerzen und Erschöpfung. „Auch da hat alles sehr lange gedauert. Erst im Frühjahr 2023 wurde es besser und ich war sicher, dass es wieder ganz gut wird“, so Seifried.
Sie habe das Glück gehabt, dass die Ärzte vor Ort sich sehr um sie bemüht hätten. Und durch ein Projekt der Krankenversicherung entstand ein Kontakt mit der Charité Berlin, von wo wertvolle Hinweise für die Therapie gekommen seien. „Ich war sehr froh, als es wieder besser wurde“, sagt die Bürgermeisterin. Bis zum 2. Januar 2024, als sie erneut an Corona erkrankte. „Da ging alles wieder von vorne los, nur heftiger“, so Seifried.
Im Moment arbeitet Bürgermeisterin Seifried an ihrer Rückkehr. „So langsam wird mir aber auch klar, dass das nicht übermorgen passieren wird. Das ist nicht ganz einfach für mich“, sagt sie. Einen Zeitrahmen, wie lange die Genesung brauchen werde, gebe es laut Seifried aktuell nicht.
„Bei jedem sind die Corona-Folgen unterschiedlich“, so Seifried weiter. Bei vielen würden die Symptome schnell wieder weggehen, bei anderen wiederum viel langsamer. Und dann gebe es noch Fälle, wo die Symptome bleiben. „Aber daran will ich nicht denken. Hier tun alle ihr Möglichstes, dass dieses Szenario nicht eintrifft – mich eingeschlossen“, betont Seifried.
Der Kampf um Akzeptanz
Laut dem Robert Koch Institut (RKI) handle es sich bei Long Covid nicht um ein einheitliches Krankheitsbild, sondern um verschiedene mögliche gesundheitliche Langzeitfolgen nach einer vorangegangenen Corona-Infektion. Diese können unterschiedliche Organsysteme betreffen, unterschiedliche Beschwerden verursachen und auch unterschiedliche Ursachen haben.
Zu den möglichen gesundheitlichen Langzeitfolgen zählt das Institut eine Vielfalt körperlicher, kognitiver und psychischer Symptome, welche die Funktionsfähigkeit im Alltag und die Lebensqualität negativ beeinflussen. „Die Beeinträchtigungen treten entweder bereits in der akuten Erkrankungsphase auf und bleiben längerfristig bestehen, oder sie treten im Verlauf von Wochen und Monaten nach der Infektion (wieder) auf“, erklärt das RKI.
Symptome können Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit, kognitive Probleme wie Konzentrations- und Gedächtnisprobleme sowie anhaltende respiratorische Beschwerden wie Kurzatmigkeit und persistierender Husten sein.
Es wird nur sehr langsam besser
Long Covid sei in der Gesellschaft noch nicht so bekannt und akzeptiert, befindet Seifried. „Das ging mir auch so. Ich musste mir selbst immer sagen: Das ist jetzt so, es wird nicht mit Gewalt besser, sondern nur sehr langsam“, so Seifried. „Zu viel machen führt dazu, dass man in einen Crash läuft, dann geht wirklich gar nichts mehr“, betont sie.
Langwierige Infektionserkrankungen gebe es laut Seifried nicht erst seit den Corona-Jahren. Die Charité forsche in dem Gebiet ja schon seit mehr als 20 Jahren. „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen erkennen: Long Covid gibt es. Betroffene Leute brauchen Zeit, um wieder auf die Füße zu kommen.“
20 Prozent der Erkrankten arbeitsunfähig
Laut einer Studie der Initiative Long Covid Deutschland sind 45 Prozent der Long Covid-Erkrankten nach über sechs Monaten nicht in der Lage, Vollzeit zu arbeiten, 20 Prozent sind arbeitsunfähig. 80 Prozent der Betroffenen, die nach sechs Monaten noch Beschwerden haben, leiden auch nach mehr als einem Jahr an Symptomen. Auch Kinder und Jugendliche sind von Long Covid betroffen.
Etwa 25 bis 30 Prozent aller Corona-Infizierten, die über keinen Immunschutz (vollständige Impfung und/oder vorherige Infektion) verfügen, leiden nach rund sechs Monaten an Symptomen eines Post-Covid-Syndroms, teilt die Initiative weiter mit.
Wie es für Singen und Seifried weiter geht
Zuhause müsse Ute Seifried schauen, wie sie wieder in den Beruf zurückkommen könne. Sie komme normalerweise selten unter 60 Stunden die Woche aus dem Rathaus, erklärt die Bürgermeisterin. Von Null auf 100 werde sicherlich nicht gehen. „Es geht vielleicht auch darum zu schauen, wo braucht es mich wirklich und wo geht es auch ohne mich“, sagt sie. Aber gerade dies sei für sie so schwer: „Ich muss lernen, nicht über meine eigenen Grenzen hinwegzugehen.“

Die Arbeit im Rathaus werde aber auch in der Zeit ihrer Abwesenheit erledigt. „Da bleibt nur wenig liegen. Das liegt auch an meinen beiden tollen Fachbereichsleiterin Bernd Walz und Torsten Kalb, die sich auch jederzeit an Bernd Häusler wenden können. Aber natürlich ist es eine zusätzliche Belastung für alle, auch für die ehrenamtlichen Stellvertreter aus dem Gemeinderat, die viele Termine zusätzlich übernehmen. Auch das macht es mir schwer, die Geduld für meine Genesung aufzubringen.“
Nach 20 Minuten ist das Telefonat beendet. Der Zeitplan in der Reha ist eng gestrickt und die nächste Behandlung steht an. Das sei auch gut so, wie Seifried befindet. Schließlich steht für sie fest: „Ich liebe meinen Job, ich liebe die Arbeit für Singen, ich will wieder zurück.“