Endlich schallt es wieder durch die Stadt, das Hoorig der Singemer Fasnacht. Die Narren sind zwar nach wie vor mit angezogener Handbremse unterwegs. Doch im Vergleich zum praktisch komplett ausgefallenen Schmotzigen Dunschtig im vergangenen Jahr war gestern wieder richtig viel Brauchtum rund ums Rathaus zu erleben. Regelrecht öffentliche Termine hat die Poppele-Zunft zwar auch dieses Jahr nicht veranstaltet. Doch es reichte für eine Rathauseroberung mit vielen Hästrägern und etwas eingeweihtem Publikum. Und für einen kleinen Narrenbaum im Hof der Zunftschüür im alten Singener Dorf.

Das könnte Sie auch interessieren

Am Vormittag kamen der Fanfarenzug der Poppele und Los Crawallos auf den Rathausplatz, um Stimmung zu machen. Zu Gast waren unter anderem eine Reihe von Gemeinderäten und die Landtagsabgeordneten Dorothea Wehinger (Grüne) und Hans-Peter Storz (SPD) – zwar ohne Masken, aber mit reichlich frischer Luft. Zunftmeister Stephan Glunk rief dazu auf, Oberbürgermeister und Bürgermeisterin abzusetzen und bekam von den Menschen auf dem Hohgarten 100 Prozent Zustimmung dazu, dass er selbst das Amt des Stadtoberhauptes ausüben sollte.

Der Zunftmeister nach der Machtübernahme Video: Freißmann, Stephan

Der Poppele selbst gab OB Bernd Häusler und Bürgermeisterin Ute Seifried an die „Verwaltungs-Clicque“ mit: „Jetzt ist es vorbei mit Euren Zicken.“ Ein kleines Show-Gerangel um den symbolischen Rathausschlüssel – und Häusler und Seifried waren die Macht im Rathaus los, Glunk konnte das Amt übernehmen. Der Widerstand der Stadtspitze aus OB Bernd Häusler und Bürgermeisterin Ute Seifried fiel mäßig aus – die kleine Delegation der Narren hatte leichtes Spiel damit, die beiden am Seil vom Rathausbalkon auf den Platz zu führen. Der Verlust der Macht schien ihnen nichts auszumachen. Häusler: „Da sollen die Narren mal zeigen, was sie können.“ Seifried: „Endlich Freiheit.“

Es gibt auch wieder ein Hemdglonkerkönigspaar

Zur Rathausbefreiung gehörte auch wieder die Krönung des Hemdglonkerkönigspaars – ein Königspaar ohne Volk, wie Glunk anmerkte. Paulina Glöckler und Lucas Götz beklagten sich auf dem Rathausbalkon über Lehrer und Direktoren und appellierten noch auf dem Balkon an den gerade erst abgesetzten Häusler, den Schülern die Freiheit zu schenken. Der Tanz der Hoorigen Bären und der Hansele machte das Geschehen komplett, alle Einzelfiguren der Zunft waren ebenfalls unterwegs.

Im Hof der Zunftschüür wurde am frühen Nachmittag dann noch im kleinen Rahmen und unter 3G-Regel ein kleiner Narrenbaum gestellt. Der Betrieb an der Zentrale der Poppele war nur für Zunftmitglieder offen, um große Menschenansammlungen zu vermeiden. Im Rest der Innenstadt hielt sich das närrische Geschehen allerdings stark in Grenzen.

Das könnte Sie auch interessieren

Einen Schatten über der Fasnacht gab es indes auch in diesem Jahr. Dass am Morgen Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausgebrochen ist, ging auch an Oberbürgermeister Bernd Häusler nicht spurlos vorbei. Singen hat durch die Partnerstadt Kobeljaki, in der Nähe des Dnjepr im Osten des Landes gelegen, eine direkte Beziehung zur Ukraine. Spürbar besorgt sagte er am Rande der Absetzung, dass der Kriegsausbruch auch für Singen eine schwierige Situation sei. Denn eine Möglichkeit, direkt Einfluss zu nehmen, gebe es nicht: „Ich habe große Sorge, wie das ausgeht – nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die westliche Welt.“ Ihn hätten Nachrichten von Bombardierungen in Städten in der Nähe Kobeljakis erreicht, in Poltawa, der nächsten größeren Stadt, scheine es Panikkäufe zu geben.

Auch Zunftmeister Stephan Glunk sagte nach der Absetzung, die Lage in der Ukraine liege auch den Narren schwer auf der Seele. Er befürchte noch schlimmere Nachrichten im Lauf des Tages. Das Singener Rathaus hatte am Schmotzigen Dunschtig jedenfalls beides geflaggt: die Fahne der Poppele und die Flagge der Ukraine – aus Solidarität mit dem Land, wie OB Häusler sagt.