Es ist eine der prominentesten Fasnachts-Ehrungen im Hegau: der Ehrengerstensafter. Und die Frage, wer es dieses Jahr wird, drängte umso mehr, als der Bieranstich der Gottmadinger Gerstensäcke in den vergangenen beiden Jahren wegen der Corona-Pandemie ausgefallen ist.

Carola Schäpke, Vorsitzende des Fasnachtsmuseumsvereins Schloss Langenstein und bei den Nenzinger Moofangern aktiv, hatte den prestigeträchtigen Stab des Ehrengerstensafters 2020 bekommen und für drei Jahre behalten. So lang hatte den Stab noch keiner, frotzelte Zunftmeister John Weber in seiner Begrüßung. Und auch Schäpke selbst befand: „Des wird au langsam Zeit.“ Man habe nur keinen besseren gefunden. Und: Nachdem sie den Stab des Ehrengerstensafters nun drei Jahre hatte, sei die Frauenquote wohl fast erfüllt, da könne man wieder zehnmal einen Mann küren.

Carola Schäpke war drei Jahre lang Ehrengerstensafterin – was sie in ihrer Abschiedsrede aufs Korn nahm.
Carola Schäpke war drei Jahre lang Ehrengerstensafterin – was sie in ihrer Abschiedsrede aufs Korn nahm. | Bild: Hanser, Oliver

„Er stammt vu Rielessinge“

Ein Mann ist es dieses Jahr tatsächlich geworden, der beim Bieranstich in der Fahrkantine den Stab des Ehrengerstensafter übernehmen durfte. Nämlich Holger „Io“ Reutemann, Zunftmeister der Rattlinger aus Rielasingen. Wobei sich Gerstensack-Zeremonienmeister Christoph Graf in seiner Moderation für den letzteren Umstand quasi beim närrischen Publikum entschuldigte.

Es gebe da einen großen negativen Punkt: „Er stammt vu Rielessinge“, sagte Graf und fügte hinzu: „Des ka‘sch ‚it bringe.“ Doch Reutemann, der auch für die Freien Wähler im Gemeinderat von Rielasingen-Worblingen sitzt, ist nicht nur ein Motor der Hegauer Fasnacht. Entscheidend sei gewesen, dass er seine ganze Arbeitsleistung in Gottmadingen erbracht habe, so Graf. Reutemann versicherte, er werde die Auszeichnung in Ehren halten, „bis ich den letzten Atemzug tue“.

Die Gottmadinger Fahrkantine war wie in früheren Zeiten voll besetzt. Die Narren zählten etwa 300 Besucher.
Die Gottmadinger Fahrkantine war wie in früheren Zeiten voll besetzt. Die Narren zählten etwa 300 Besucher. | Bild: Hanser, Oliver

Applaus für Reutemann

Die etwa 300 närrischen Besucher in der Fahrkantine applaudierten Reutemann stürmisch nach seiner Dankesrede. Denn da war sie wieder, die Fasnacht als Ort des Widerborstigen und des Sperrigen, als Platz für Narrenschelte. Die Narren gaben sich auf der Bühne offensiv unzeitgemäß, Reutemann als „Bue vo Realesinge“ sagte, für ihn seien die Leute von der letzten Generation, „die sich festkleben die Pfoten“, ohnehin nur Idioten. Die Welt und den Krieg solle man nun für ein paar schöne Stunden draußen lassen und nach zwei Jahren Pandemie-Einschränkungen auch mal wieder die Sau rauslassen.

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Zuvor war er schon auf einen Punkt eingegangen, den auch Christoph Graf in seiner Eröffnung kritisiert hatte. Ein Sicherheitskonzept mit 80 Seiten für den Mäntigs-Umzug? „Das umzusetzen ist teuer wie‘s Schwein“, so Reutemann. Als Schirmherr dürfe man das eigentlich nicht machen, der eigenen Zunft solche Prügel zwischen die Beine zu werfen, so der neue Ehrengerstensafter an die Adresse von Gottmadingens Bürgermeister Michael Klinger.

Zeremonienmeister ätzt von der Bühne

Graf war zuvor noch deutlicher geworden. Der Mäntig mit seinem Umzug solle dieses Jahr richtig toll werden. Doch die neue Leiterin des Ordnungsamts kenne offenbar nur Umzügle und verlange eben dieses 80-seitige Sicherheitskonzept, was Graf unumwunden als „Schwachsinn“ bezeichnete.

Auch der Polizeirevierleiter, der ebenfalls während der Corona-Zeit seinen Dienst in Gottmadingen neu begonnen hat, habe sich ins Neinsagen verrannt. Keine Variante des Umzugswegs sei ihm genehm gewesen. „In seinem Hirn, so vorhanden“, würden sich schlimme Szenen abspielen, weil beim Montagsumzug ja immer so viel – gemeint ist: kaum etwas – passiere, ätzte Graf von der Bühne herab.

Gerstensack-Zunftmeister John Weber mit der Armbinde in den Farben der Heilsbergzusle.
Gerstensack-Zunftmeister John Weber mit der Armbinde in den Farben der Heilsbergzusle. | Bild: Hanser, Oliver

Und er langte noch kräftiger zu: „Die meinen, sie könnten wie Gröfaz gebieten“, sagte er. Gröfaz – die Abkürzung steht für „Größter Feldherr aller Zeiten“, was im Dritten Reich je nach Zusammenhang eine ehrende oder spöttische Bezeichnung für Adolf Hitler war. War das nun widerborstig und sperrig oder schlicht deplatziert und geschmacklos? Ein Zusammenzucken oder Unmutsbekundungen im Saal waren jedenfalls nicht zu bemerken. Dann gebe es eben Anarchie und die Narren würden ohne Anmeldung und Ordnung zum Montagsspaziergang aufbrechen, so Grafs Schlussfolgerung.

Bürgermeister Klinger antwortete nach der Veranstaltung auf die Frage, was die Verwaltung denn angestellt habe, um solche Narrenschelte zu verdienen, nur trocken: „Nichts.“ Er zeigte sich demonstrativ gelassen: „Wer die Narrenschelte nicht verträgt, muss daheim bleiben.“ Und: Der Polizeipräsident solle seine Leute selbst verteidigen.

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Widerborstig und sperrig

Widerborstig und sperrig äußerte sich auch Gabi Raff in ihrer Büttenrede. Sie trat als Gendersternchen auf und nahm die Bemühungen um eine geschlechtlich neutrale Sprache – und weitere politische Korrektheiten – aufs Korn.

Da müsste die Eigeltinger Narrenzunft Krebsbachputzer sich ja eigentlich Krebsbachputzende nennen, ebenso die Quaker, die Käfersieder, die Schlehenbeißer und die Heufresser, so Raff. Und was werde dann erst aus dem Chef der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee, Reiner Hespeler? Dem Zunftmeister John Weber band Raff eine Armbinde in den Farben der weiblichen Gruppierung der Heilsbergzusle an den Arm – als Zusle-Versteher. Da war sie wieder, die Frotzelei unter Narren.