Eine Frau sitzt weinend im Bett. Die Altenpflegerin fragt: „Warum sind Sie denn so traurig?“ Daraufhin berichtet die ältere Dame: „Heute ist die Ehrung von Siegfried. Er ist seit 20 Jahren unserem Verein treu. Und ich kann bei der Ehrung nicht dabei sein.“ Schuld sei ihre Demenz.
Diese Situation ist ein Beispiel aus der Broschüre „Beziehungsgestaltung in der Pflege“ (siehe Infokasten) und bezieht sich auf einen Sportverein. Sie könnte sich aber genauso gut bezogen auf einen Narrenverein abspielen.
Auch Menschen mit Demenz erleben die Fasnachtszeit und können sich zum Teil an früher erinnern. Wie können Mitmenschen reagieren? Hier gibt die Broschüre Tipps.
Ausgeschlossen werden Demenzkranke an der Fasnacht nicht. Sie gehören dazu. So berichtet Michael Grambau, Präsident des Narrenvereins Kamelia Tengen 1893, vom Fasnachtsdienstag in der Tengener Randenhalle. Dort finde eine Veranstaltung für Kinder und Senioren statt, an der auch Menschen mit Demenz aus Pflegeeinrichtungen teilnehmen können.
Lieder und Rituale sorgen für ein Lächeln
„Selbstverständlich sind auch Menschen mit Demenz willkommen“, so Grambau. Die anwesenden Kinder und die altvertrauten Lieder und Rituale würden vielen Heimbewohnern – ob mit oder ohne Demenz – immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Thomas Bertsche, Zunftmeister der Narrenzunft Schaflinger in Worblingen, hat Erfahrung mit dementen Angehörigen gesammelt. „Ein Gespräch funktioniert oft am besten, wenn man sich über früher – die gute alte Zeit – unterhält“, so der Zunftmeister. So begebe er sich im Gespräch in die Zeit, in der sein Gegenüber noch jung war.
Er fragt die Person dann, ob sie an Umzügen, Fasnachts- und Maskenbällen teilgenommen habe. Durch weitere Fragen könnten Erinnerungen geweckt werden, berichtet Bertsche. Auch Übungen, die das Gedächtnis ankurbeln, seien dann möglich.

„Wenn es eine Person ist, die aus Worblingen kommt, würde ich nachhaken, ob sie sich an die Zunft mit dem Schäfle erinnern kann“, so der Zunftmeister. Hilfreich könne auch sein, in diesem Falle Bilder zu zeigen, Narrensprüche gemeinsam aufzusagen oder ein Narrenlied zu singen. Denn auch früher seien schon Musikanten durchs Dorf gezogen, so Bertsche.
Gemeinsam Narrenküchle essen
Auch Erinnerungen, die den Geruchs- und Geschmackssinn betreffen, könnten helfen. Narrenküchle, Wurscht und Wecken nennt Bertsche als Beispiel. Von diesen könne man reden – oder sie auch gemeinsam essen. Ob das „Anschubsen“, sich an diese Zeit zu erinnern gelingt, hängt in erster Linie davon ab, ob der Gesprächspartner die Fasnacht früher auch gelebt habe, so Bertsche.
Stephan Glunk, Zunftmeister der Singener Poppele-Zunft, hat ebenfalls Erfahrungen mit Angehörigen gesammelt, die von einer Demenz betroffen sind. Wie geht er vor, wenn er jemanden mit Demenz im Pflegeheim besucht?
„Ich würde im Häs der Poppele-Zunft kommen. Die blaue Kutte ist vielen bekannt“, antwortet er. Er würde seine Gitarre mitbringen und ein paar Fasnachtslieder singen. Manche Lieder kenne jeder in Singen. Zum Beispiel: „S‘goht dagege, Mamme häng de Schurz ad Wand.“ Dann würde er die Kinderfibel der Poppele zücken. „Darin sind alle Singener Fasnachtfiguren beschrieben.“ Die Beschreibungen von Poppele und Eierwieb könnten Erinnerungen anstoßen, die Bilder von Narrenpolizist und Rebwieb würden an früher erinnern, Fanfarenzügler und Schellenhansele so manchem ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Der Augenblick zählt
Dabei ist Glunk bewusst, dass die Erinnerung von kurzer Dauer sein kann. Schnell seien die Bilder aus der Kinderfibel wieder vergessen – aber die Erinnerungen, die man in der Begegnung geweckt habe, würden doch einige Minuten Lebensglück schenken. Und hier heißt das Fazit des Narren: „Es ist eben ein Glück des Augenblicks.“ Und dieses Glück sei schön, auch wenn der Besuchte es am nächsten Tag nicht mehr wisse.
Elf Tipps für die Fasnachtszeit
Angeregt durch die Broschüre des Aktionsbündnisses Demenz Singen/Hegau könnten die nachfolgenden elf Tipps Angehörigen von Demenzkranken in der Fasnachtszeit helfen.
Sinnstiftende Aktivitäten könnten zum Beispiel sein:
1. Festbändel reißen oder schneiden – das weckt Erinnerungen.
2. Irgendwo ist immer ein Riss – flicken Sie gemeinsam ein kaputtes Häs.
3. Stricken Sie warme Socken. Wenn das zu anspruchsvoll ist – auch Wolle sortieren ist eine schöne Beschäftigung.
4. Musik reißt mit: Hören Sie Fasnachtslieder und klatschen Sie im Rhythmus – gemeinsames Singen ist vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie dieses Jahr eher schwierig.
5. Kurbeln Sie das Gedächtnis an: Wie heißen die Narrenvereine der Umgebung? Welche Zünfte gibt es in ihrem Wohnort? Wie heißen die verschiedenen Figuren der lokalen Fasnacht?
6. Biographiearbeit: Fragen Sie ihr Gegenüber, was es am Schmutzigen Dunschtig immer gemacht hat: Waren Sie am Hemdglonkerumzug? Haben Sie sich verkleidet? Welche Fasnachtsveranstaltungen haben Sie besucht?
7. Machen Sie einen Ausflug und schauen Sie sich ein fasnachtlich dekoriertes Schaufenster an.
8. Aktivieren Sie mit Dekoration: Hängen Sie Girlanden auf.
9. Streuen Sie Konfetti und sortieren Sie es auf dem Tisch nach Farben.
10. Bringen Sie alte Krawatten zum Abschneiden mit.
11. Lassen Sie Betroffene an Fasnachtsdekoration tasten und daran herumnesteln.
Für Menschen mit Demenz kann eine mehrstündige Veranstaltung mit Musik verwirrend sein. Ein Besuch von 20 Minuten, bei dem das Gegenüber wirklich präsent ist, kann dagegen viel bewirken.