Herr Glöckler, Sie haben vor einem Jahr etwas völlig Neues begonnen. Wie kam es dazu?

Der Gedanke, mich beruflich zu verändern, reifte schon länger in mir. Bei Daimler war ich seit dem Abschluss meines Studiums zunächst in Bremen, später in Stuttgart sowie oft in Asien für die Personal- und Organisationsentwicklung tätig. Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass der Wunsch aufkam, noch einmal anders zu arbeiten, ohne nur den Fokus auf Gewinnmaximierung zu richten und strategische Ausrichtungen, die oft nur eine kurze Haltbarkeit haben. Ich wollte eine Veränderung. Im Frühjahr 2020 habe ich – ohne einen neuen Job zu haben – das Unternehmen verlassen. Das war zwar sicher ungewöhnlich, aber es fühlte sich richtig an. Gleichzeitig habe ich es nie bereut, dass ich für Daimler arbeiten durfte.

Wie kamen Sie dann zur Tafel in Singen?

Im April 2020 habe ich Udo Engelhardt kennengelernt und die Chemie stimmte von Anfang an zwischen uns. Die ehrenamtliche Leiterin der Tafel in Singen, Ute Knopf hatte aufgrund der Corona-Pandemie aufhören müssen, so dass der Zeitpunkt passend war. Das erste Jahr wurde meine Stelle über eine Corona Soforthilfe von „Aktion Mensch“ finanziert. Ab dem 1. Juni wird sie nun auf zwei Jahre verlängert. Ich suchte ja nach einer Tätigkeit mit noch mehr Sinnhaftigkeit im Tun und eine Option waren daher „Non-Profit“-Organisationen. Besonders soziale, karitative und christliche Aspekte spielen für mich eine große Rolle, denn ich bin in der katholischen Kirche verwurzelt.

Seit einem Jahr arbeiten Sie nun bei der Tafel in Singen. Wie gefällt Ihnen der neue Job?

Bereits meine Arbeit bei Daimler war ja geprägt von einer Zusammenarbeit mit Menschen verschiedenster Nationen. Diese Vielfältigkeit finde ich bei der Tafel ebenfalls wieder. Die Arbeit ist unglaublich spannend und jeder Tag eine Bereicherung. Ich freue mich, dass die Tafel großes Vertrauen in mich setzt. Begeistert bin ich auch von diesem großen sozialen Netzwerk in Singen, in dem Verbände wie Caritas, AWO, Kinderchancen und die Stadt Singen so gut zusammenarbeiten.

Was waren Ihre Schwerpunkte im ersten Jahr, das ja durch die Pandemie geprägt war?

Natürlich ging es im letzten Jahr vor allem um die Organisation des Tafelladens und der Essenausgabe unter Pandemiebedingungen. Wir planen mittlerweile auch einen Mittagstisch im Siedlerheim, wenn dies wieder möglich ist. Als ich im Frühjahr 2020 kam, waren die Tafeln im Landkreis bereits dabei, elektronische Kundenkarten einzuführen. Bei den Tafeln in Singen und Stockach ist dies umgesetzt. Die anderen Tafeln in Radolfzell, Engen und Konstanz unterstütze ich nun bei der Einführung. Die elektronische Kundenkarte ist für unsere Kunden und uns sehr hilfreich und ist natürlich auch optimal für die Kontaktverfolgung während Corona. Spannend wird die Zeit nach der Pandemie, wenn alles wieder ein wenig normal wird. Zurzeit kaufen rund 80 bis 100 Menschen täglich im Laden und um die 40 im Zelt beim Siedlerheim ein. Im Schnitt holen sich 30 Menschen täglich den Mittagstisch ab. Besonders würde ich mich über eine Erweiterung des Teams am Heinrich-Weber-Platz durch weitere ehrenamtliche Mitarbeiter freuen. Die Tafelarbeit in Singen ist sehr sinnvoll und macht Spaß.

Das hört sich alles so an, als seien Sie angekommen?

Für mich ist der Weg das Ziel. Mit dieser Arbeit kann ich mich voll identifizieren. Ein indischer Freund von mir hat meinen Schritt so kommentiert: „Man geht in die Welt und bekommt sehr vieles und es gibt eine Zeit im Leben, wo man zurück zu seinen Wurzeln kehrt und wieder etwas davon zurückgibt“. Ich habe es keine Minute bereut, diesen Schritt zu wagen. Zu diesem Seitenwechsel gehörte für mich Mut, Kreativität und mein Glaube.

Fragen: Susanne Gehrmann-Röhm