In Singen und im Hegau bebt seit Wochen immer mal wieder die Erde, das geht aus Aufzeichnungen des Landeserdbebendienstes Baden-Württemberg (LED) hervor. Seit Ende Juni hat es mehr als 30 Mal gewackelt, mal mehr, mal weniger stark. Doch warum kommt es gerade im Hegau so oft zu Erdbeben? Stefan Stange, Leiter des Landeserdbebendienstes beim Regierungspräsidium Freiburg, erklärt die Zusammenhänge.

Um diese zu verstehen, müsse man den Blick zunächst über die Grenzen des Hegaus hinaus richten: Die grundlegende Antriebskraft bei Erdbeben in Baden-Württemberg stamme aus dem Zusammenstoß der afrikanischen mit der eurasischen Platte, der seit etlichen Millionen Jahren stattfindet und sich auch heute noch in der anhaltenden Auffaltung der Alpen zeigt, sagt Stange. Der Zusammenstoß erzeuge gigantische Spannungen in den Gesteinen des Untergrunds, die sich immer wieder ruckartig entladen und dabei das Gestein brechen lassen. Diese Brüche sind laut Stange die eigentlichen Erdbeben, die vor allem südlich der Alpen verheerende Schäden verursachen können.

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„Nördlich der Alpen, also bei uns, kommt nur noch ein Bruchteil dieser Spannungen an, so dass hier auch die Erdbeben sehr viel kleiner ausfallen“, so der Experte vom LED. Hier finden Erdbeben im Allgemeinen in mehreren Kilometern Tiefe statt. Was die Oberfläche erreiche und dort Schäden verursachen könne, sind die vom Erdbeben abgestrahlten Erschütterungswellen, sagt Stange.

Warum es im Hegau so häufig bebt

„Im Hegau kreuzen sich zwei geologisch-tektonische Störungszonen. Dies hat zum einen – beginnend vor etwa 15 Millionen Jahren bis vor etwa sechs Millionen Jahren – zu vulkanischen Aktivitäten geführt und begünstigt zum anderen die Entstehung von Erdbeben“, erklärt Stefan Stange.

Aber: Gemäß der Karte der Erdbebenzonen und geologischen Untergrundklassen für Baden-Württemberg gehört der östliche Teil des Hegaus zur zweithöchsten Erdbebenzone im Land. „Das bedeutet, dass Erdbeben, die beträchtliche Schäden an Gebäuden verursachen können, zwar ziemlich selten, aber eben nicht ganz ausgeschlossen sind“, sagt Stange. Landesweit betrachtet würden im Hegau allerdings immer noch weniger Erdbeben auftreten als beispielsweise im Zollernalb-Gebiet.

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Seismologen sprechen hier von einer etwas geringeren Erdbebengefährdung. Wobei sich diese mehr auf die Häufigkeit starker Erdbeben als auf die reine Anzahl bezieht. „Nach den Berichten, die uns aus der Bevölkerung erreicht haben, sind im Hegau aktuell keine Schäden aufgetreten. Dies war bei der maximalen Stärke von 3,2 auch nicht zu erwarten“, so Stefan Stange. Beschrieben wurden in dem Fall vor allem ein Rumpeln oder Grollen und leichtes Zittern mit gelegentlichem Geschirrklirren, aber auch ein Ruck mit Knall oder Donner und Ächzen im Gebälk. Einige Haustiere seien unruhig geworden.

100 Erschütterungen lassen Hilzinger zittern

Es gibt verschiedene Skalen, welche die Intensität von Erdbeben angeben können. Die bekannteste ist die Richter-Skala. Sie kann eine Magnitude von 0 bis maximal 9,5 wiedergeben. Ab welcher Stärke ein Erdbeben für Menschen zu spüren ist und wie sehr, könne nicht pauschal gesagt werden, denn das hängt auch mit der Tiefe des Bebens zusammen. Ein Erdbeben gleicher Stärke, aber in größerer Tiefe, wäre an der Erdoberfläche weniger stark spürbar gewesen, erklärte Erdbebenforscher Wolfgang Brüstle bereits im November 2016.

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Damals war das letzte Erdbeben im Hegau mit leichten Schäden. Etwa 100 Erschütterungen mit Epizentren in oder in der Nähe von Hilzingen registrierte der Landeserdbebendienst im November 2016. Das stärkste Beben der Hilzinger Serie war nur fünf Kilometer tief und wirkte dadurch womöglich stärker, trotz der gemessenen Magnitude von 3,0. Die Bevölkerung meldete dem LED vereinzelt Risse an Gebäuden, größere Schäden blieben den Hilzingern aber erspart.

Grundsätzlich ist eine Magnitude zwischen 0 und 2 gemäß Experte nur mit Instrumenten messbar, aber für Menschen nicht spürbar. Zwischen 2,1 und 2,9 seien Erbeben selten spürbar, ab einer Magnitude von 3 bis 4 seien Erschütterungen oft spürbar.

Besonderheit im Hegau: Erdbebenserien

„Erdbeben treten zufällig auf. Über viele Jahre betrachtet gibt es immer Schwankungen“, erläutert Stange. Man beobachte Perioden mit häufigeren Erdbeben – Menschen vom Fach sprechen von erhöhter Seismizität – ebenso wie Zeiträume mit geringerer Seismizität, ohne dass sich daraus ein langfristiger Trend ableiten ließe.

Mit anderen Worten: Wenn es einmal im Hegau bebt, könnte das nächste Erdbeben nicht lange auf sich warten lassen. Der Experte sagt aber auch: Erdbeben lassen sich nicht vorhersagen. Jedenfalls noch nicht. Möglich sei laut Stefan Stange lediglich die Ausweisung von Gebieten, in denen es häufiger oder stärker zu Erschütterungen komme als an anderen Orten. „Eine Besonderheit der Seismizität des Hegaus ist das Auftreten von Erdbebenserien. Das heißt, dass sich statt isolierter Einzelereignisse mehrere oder sogar zahlreiche Erdbeben in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang ereignen“, sagt Stange. So wie zuletzt seit Ende Juni.