Der Alltag vieler Menschen ist vom Thema Sucht geprägt, wie einmal mehr während der bundesweiten Aktionswoche Nacoa deutlich wird, die auf die Suchtproblematik vieler Menschen aufmerksam machen soll. Dass allerdings nicht nur die Abhängigen selbst betroffen sind, sondern auch deren Kinder, ist auf den ersten Blick oftmals gar nicht ersichtlich. Dabei kann man der Tagesschau zufolge von rund 3 Millionen Kindern sprechen, die mit den Suchtproblemen der Eltern aufwachsen.

Auch Nicolas Weber aus Singen hatte in seiner Kindheit mit der Alkohol- und Medikamentensucht seiner Eltern zu kämpfen. Die ZDF-Reportage-Reihe „37 Grad“ hat seine Geschichte in eine 20-minütige Dokumentation verwandelt. Zur Premiere empfing Nicolas Weber nun knapp 50 Besucher im Blauen Haus in Singen, um mit ihnen gemeinsam den Film „Ich, Mama und der Alkohol – Nicolas Weg aus einer suchtbelasteten Familie“ anzusehen und im Anschluss darüber zu diskutieren. Auch das Team der Redaktion war angereist.

Nicolas Geschichte wird verfilmt

Im Film spricht der 21-Jährige über seine Erfahrungen. Bereits als kleines Kind litt er unter der Sucht seiner Eltern, was sich in Verhaltensauffälligkeiten zeigte. „Im einen Moment war ich in mich gekehrt, im nächsten Moment aggressiv“, erzählt Nicolas Weber. Er sei wütend auf alles und jeden gewesen. Aus diesem Grund musste er bereits in der ersten Klasse seine Schule wieder verlassen und kam auf die Pestalozzi-Schule, eine Erziehungs- beziehungsweise Förderschule.

Dort lernte er den Sozialtherapeuten Christian Denecke kennen, der ihn bis heute auf seinem Weg begleitet. Weber sieht seine Zeit dort als sehr wertvoll an: „Es war das Sprungbrett in einen normalen Alltag.“

Das könnte Sie auch interessieren

Ein wichtiger Schritt sei auch das Beitreten einer Kindergruppe des Projekts „Aufwind“ gewesen. Christian Denecke, der damals schon Unterstützer des Projekts war, sei froh, dass Nicolas mit neun Jahren den Schritt in die Gruppe gewagt habe, wie er berichtet. „Seine Mutter hat eingesehen, dass ihr Sohn ihr entgleitet.“ Zeitgleich habe sich auch das Jugendamt eingeschaltet. Denecke ist wichtig zu betonen, dass dies ein Schritt Hand in Hand gewesen sei. Nicolas sei allerdings mit gewissen Widerständen angekommen, so der Sozialtherapeut.

Nicolas Weber (links) und Sozialtherapeut Christian Denecke (rechts) sprechen über Nicolas Erfahrungen und das Projekt „Aufwind“.
Nicolas Weber (links) und Sozialtherapeut Christian Denecke (rechts) sprechen über Nicolas Erfahrungen und das Projekt „Aufwind“. | Bild: Lara Reinelt

Nicolas Weber erklärt: „Mir fiel es anfangs schwer, offen über meine Probleme zu sprechen. Aber dann habe ich gesehen, dass die anderen in der Gruppe genau dieselben Probleme haben.“ Ein Einschnitt in das sich bessernde Leben kam bereits ein Jahr später, als seine Mutter an den Folgen ihrer Sucht verstarb.

Von nun an lebte er mit seiner Tante, die extra hergezogen sei, im Haus der Oma. „Ohne meine Tante glaube ich nicht, dass ich heute hier sitzen würde“, stellt der 21-Jährige fest und lächelt seiner Tante zu, die am Abend der Premiere auch anwesend ist. Die Unterstützung seiner Oma und Tante sei im Film leider etwas zu kurz gekommen.

Das könnte Sie auch interessieren

Nicolas Weber würdigt zudem das „Aufwind-Projekt“: „Die Gruppe hat mir so viel Halt gegeben!“ Deshalb ist er heute selbst Teil des Projekts, hilft bei Aktivitäten und steht den Betroffenen mit viel Engagement zur Seite. Lars Kiefer, der Leiter der Beratungsstelle, sieht den 21-Jährigen definitiv als ein Vorbild. „Er ist mit seiner offenen und lockeren Art immer auf Augenhöhe mit den Kindern und Jugendliche“, so Kiefer. Die Filmpremiere veranlasste die Präventionsfachkraft zudem, den Besuchern etwas mehr über „Aufwind“ zu erzählen.

Was macht „Aufwind“?

Das Projekt unterstütze Kinder und Jugendliche mit suchtkranken Eltern. „Es ist eine präventive Arbeit, die zugleich helfen soll, das persönliche Schicksal zu überwinden“, wie Kiefer sagt. Nach Angaben des Leiters sei das Projekt vor 23 Jahren mit einer Förderfinanzierung gestartet. „Das Konzept wurde dann von der Beratungsstelle weiter fortgeführt, damit die Kinder nicht wieder in die Ungewissheit entlassen werden müssen.“

In Radolfzell und Singen gibt es insgesamt vier Gruppen mit aktuell 35 Kindern. Die Angebote umfassen unter anderem Kindergruppen, Familiengespräche und Suchtberatungen. „Nicolas ist das beste Beispiel, dass das Projekt eine Wirksamkeit hat“, so Kiefer.

Das sind Nicolas Ansichten und Pläne

Süchte spielen in Nicolas Webers Leben keine Rolle mehr. Er trinkt sogar überhaupt keinen Alkohol. „Das schmeckt mir einfach nicht“, sagt er. Stattdessen versetze er sich lieber mit dem Schlagzeugspielen in eine Art Trance. Damals sei die Musik eine Flucht vor seinem Zuhause und somit vor den Problemen gewesen, weshalb ihm das Schlagzeugspielen viel bedeute. Sein Wunsch wäre, von der Musik leben zu können. Doch in nächster Zeit plant er erst einmal ein duales Studium zum Sozialpädagogen im Fachbereich Sucht, um möglichst vielen Menschen helfen zu können.

Das könnte Sie auch interessieren

Die „37 Grad“-Dokumentation ist bereits in der ZDF-Mediathek zu finden, weshalb Nicolas Weber schon einiges an Rückmeldung erhalten hat. Seine Geschichte sorgt für viel Anerkennung, wie an den vielen wertschätzenden Kommentaren zu sehen ist. Selbst der Bundesdrogenbeauftragte Blienert meldete sich zu Wort und grüßte Nicolas in einer kleinen Videobotschaft, die ebenfalls am Abend der Premiere gezeigt wurde.

Doch dem 21-Jährigen ist eine Sache besonders wichtig: „Ich will hier jetzt nicht den großen Max spielen. Es geht nicht um mich, sondern um die Sache.“