Es wird wieder im Namen des Volkes geurteilt. Zumindest so langsam. Denn nach einem Monat Pause werden die Verhandlungen am Amtsgericht Singen wieder aufgenommen, die ersten Prozesse finden bereits statt. Damit das möglich ist, mussten sich im Zuge der Corona-Krise aber einige Dinge ändern. Mundschutz ist erlaubt und erwünscht, die Abstände zwischen Prozess-Beteiligten wurden vergrößert, Desinfektionsmittel steht parat. Die Maßnahmen führen dazu, dass manch ein Raum kaum noch genutzt werden kann: Der zweite Sitzungssaal ist zu klein, um Richter, Beteiligte samt Anwalt und Zeugen mit dem nötigen Abstand aufzunehmen.

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Mundschutz um den Hals, aber nicht vor dem Mund

Ob der Angeklagte weiß, dass er Teil einer Premiere ist? Jüngst musste sich ein Mann aus Gailingen für eine Trunkenheitsfahrt in Gailingen verantworten. Er erscheint ohne Anwalt – nicht weil dieser eine Ansteckung mit dem Coronavirus befürchtet, wie Richterin Daniela Krack später erklärt, sondern weil er das Mandat niedergelegt hat. Die Richterin trägt einen Mundschutz um den Hals, allerdings nicht vor dem Mund – das sei bei langen Verhandlungen beschwerlich, wenn viel gesprochen werde. Auch der Staatsanwalt trägt keinen Mundschutz. Sie alle halten aber Abstand. Ähnlich tun es die Zeugen, im Wartebereich stehen nur noch wenige Stühle. Auch der Zuschauerbereich wurde merklich ausgedünnt.

Das Amtsgericht Singen hat den Wartebereich der Corona-Krise angepasst: Die Stühle sind weit voneinander entfernt, um eine Infektion zu ...
Das Amtsgericht Singen hat den Wartebereich der Corona-Krise angepasst: Die Stühle sind weit voneinander entfernt, um eine Infektion zu vermeiden. | Bild: Arndt, Isabelle

Unfallbilder gemeinsam betrachten? Was vor Wochen noch Alltag war, ist jetzt nicht mehr so einfach möglich

Ein Schwachpunkt an diesem ersten Verhandlungstag nach einigen Wochen Prozesspause: die Türklinke. Denn die berührt jeder, der den großen Sitzungssaal des Amtsgerichts betritt. Doch die Türklinken sollen stündlich desinfiziert werden, berichtet Johannes Daun. Der Amtsgerichtsleiter hat vor wenigen Wochen einen ertüchtigen Erweiterungsbau bezogen. „Das ist plötzlich alles nicht mehr zeitgemäß.“ Jetzt stellen sich neue Fragen wie zum Beispiel: Darf das Amtsgericht einem Anwalt vorschreiben, dass er Mundschutz tragen muss? „Das ist eine Situation, die hatten wir noch nie“, sagt Daun. „Wir können nicht mehr zusammenstehen und Unfallbilder begutachten“, nennt er ein Beispiel für weitere Änderungen.

Im öffentlichen Bereich gilt Maskenpflicht

Bis auf Weiteres entscheidet der Richter oder die Richterin, ob Prozess-Beteiligte sich und besonders ihr Umfeld mit einer Maske schützen müssen. Für Abstände sei gesorgt, zusätzliche Plexiglaswände sind bestellt. Im öffentlichen Bereich seien Masken aber vorgeschrieben und sollten selbst mitgebracht werden. „Wir haben keinen großen Fundus“, wirbt Daun um Verständnis. Er kann sich auch vorstellen, dass ein Wachtmeister hin und wieder die Körpertemperatur eines Besuchers misst – wer Fieber hat, soll zuhause bleiben. Der Amtsgerichtsleiter weiß, dass andere Gerichte bereits so vorgehen, und sieht das vom Hausrecht gedeckt.

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Verhandelt wird nun, was in den vergangenen Wochen verschoben wurde. Nur vereinzelt fiel in der Zwischenzeit ein Urteil, wenn es keine Beweisaufnahme brauchte und beide Parteien einverstanden waren. Das allermeiste müsse aber mündlich verhandelt werden, sagt Johannes Daun.

Die gestapelten Stühle standen bisher für die interessierte Öffentlichkeit zur Verfügung. Mit mehr Abstand gibt es aber weniger ...
Die gestapelten Stühle standen bisher für die interessierte Öffentlichkeit zur Verfügung. Mit mehr Abstand gibt es aber weniger Sitzmöglichkeiten am Amtsgericht Singen. | Bild: Arndt, Isabelle

Erste Verhandlung endet mit Führerscheinentzug

So auch die Alkoholfahrt des Angeklagten, dessen Prozess eine kleine Premiere ist. Der Fall wurde unter anderem wegen des Führerscheinentzugs jetzt verhandelt: Der Angeklagte muss bereits seit November auf seinen Führerschein verzichten – bisher vorläufig, nun auch gerichtlich bestätigt für insgesamt ein Jahr. Der Mann beteuert zwar, dass er an jenem Novembertag nicht am Steuer saß. Er vermutet sogar eine Verschwörung unter Zeugen. Das ist für Richterin Daniela Krack aber unrealistisch: Die Zeugen seien glaubhaft, während der Angeklagte selbst widersprüchliche Angaben macht. Bei der Höhe der Tagessätze kommt es aber zu einem Kompromiss, wie er allein schriftlich nicht möglich gewesen wäre: Der Mann muss weiterhin 60 Tagessätze bezahlen, allerdings nur mit 30 statt wie bisher angesetzt 50 Euro pro Tag.

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