Plötzlich erklingt die Stimme des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff in der Singener Färbe. „Guten Abend Herr Diekmann, ich rufe Sie an aus Kuwait. Bin gerade auf dem Weg zum Emir und deswegen hier sehr eingespannt, weil ich von morgens acht bis abends elf Termine habe. Ich bin in vier Golfstaaten unterwegs, parallel plant einer Ihrer Journalisten seit Monaten eine unglaubliche Geschichte, die morgen veröffentlicht werden soll und die zum endgültigen Bruch mit dem Springer-Verlag führen würde.“ So beginnt die Sprachnachricht an Kai Diekmann, ehemaliger Chefredakteur der „Bild“-Zeitung – und markierte den Höhepunkt mitten in der Wulff-Affäre.

Im Theater „Die Färbe“ war Diekmann nun auf Einladung des FDP-Ortsverbands Singen zu Gast. Mit im Gepäck: Sein Buch „Ich war Bild“, aus dem er Anekdoten aus seinem Leben zwischen Schlagzeilen und Skandalen vorgelesen hat.

Besondere Beziehung nach Singen

Kai Diekmann war 16 Jahre lang Chefredakteur der „Bild“-Zeitung und damit der am längsten amtierende Chefredakteur bei Deutschlands bekanntester Boulevardzeitung. Die FDP hat den Journalisten jetzt nach Singen geholt. Und das kommt nicht von ungefähr: Stadträtin Kirsten Brößke ist Diekmanns Schwester.

Kirsten Brößke, FDP-Gemeinderätin in Singen, mit ihrem Bruder Kai Diekmann.
Kirsten Brößke, FDP-Gemeinderätin in Singen, mit ihrem Bruder Kai Diekmann. | Bild: Hanser, Oliver

Bei der von SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz moderierten Lesung hat Diekmann nun die Geschichten hinter den Schlagzeilen erzählt und dabei Einblicke in die Veränderungen gegeben, die er während seiner Zeit bei der „Bild“-Zeitung erlebt hat.

„Was du da erlebst, das reicht für drei Leben“, so Diekmann. Er sei ein manischer Sammler und habe sich Notizen zu sämtlichen Begegnungen gemacht. Dabei gebe es fast nichts, was er nicht erlebt habe. Dabei kommt er zu dem Schluss: „Geschichte passiert nicht, sondern wird gemacht.“ Und so ist ein 544 Seiten langes Werk entstanden, mit vielen Akteuren der Zeitgeschichte, gespickt mit vielen Skandalen und fast schon privaten Einblicken in das Leben getroffenen Persönlichkeiten.

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Auch Moderator Stefan Lutz machte schon in seiner Begrüßung deutlich, dass Kai Diekmann gut vernetzt sei. Er sei ein energiegeladener Mensch, der schnell denkt, redet und kombiniert. Lutz weiß, wovon er spricht, denn der SÜDKURIER-Chefredakteur hat selbst eine Vergangenheit bei Deutschlands bekanntester Boulevardzeitung und viele Jahre mit Diekmann zusammengearbeitet. Diese Vertrautheit kommt auch bei dem Publikum an: Die Atmosphäre im Theater ist familiär, als würde man im Wohnzimmer ein Pläuschchen halten. In dieser gemütlichen Runde plaudert Diekmann aus dem Nähkästchen.

Wulff, Putin oder Trump: Kai Diekmann trifft sie alle

Eine Erzählung hat Christian Wulff, der von 2010 bis 2012 Bundespräsident war, als Protagonisten. So plante die Zeitung Ende 2011, über einen Privatkredit für Wulffs Einfamilienhaus zu berichten. Dies wollte Wulff unterbinden. Er sprach Diekmann eine Nachricht aufs Band, die mit Drohungen gespickt war – und war damit der Höhepunkt der Wulff-Affäre. Bald darauf legte der Bundespräsident sein Amt nieder, nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn aufgenommen hatte.

Das Publikum im Theater „Die Färbe“ lauscht den Erzählungen von Kai Diekmann.
Das Publikum im Theater „Die Färbe“ lauscht den Erzählungen von Kai Diekmann. | Bild: Hanser, Oliver

Das Singener Publikum bekam die ersten Sätze der Sprachnachricht zu hören. Die hatte seinerzeit bei den „Bild“-Redakteuren für Diskussionen darüber gesorgt, ob diese veröffentlicht werden sollte, erinnert sich Diekmann. Letztlich hatte er sich dagegen entschieden, weil Wulff sich bei ihm entschuldigt hatte. „Darüber waren in der Redaktion nicht alle glücklich.“ Am Ende wurden die Inhalte dennoch publik und zu einem Stück Zeitgeschichte geworden.

Putin organisierte ihm eine Badehose

Doch nicht nur deutsche Politiker hat Kai Diekmann getroffen. Bei der Lesung erzählt der 59-Jährige von mehreren Begegnungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der ihn einmal zum spontanen Baden eingeladen habe – und sogar für eine Badehose sorgte. Auch den unordentlichen Schreibtisch des damals frisch gewählten US-Präsidenten Donald Trump hat Diekmann in seiner Zeit bei der „Bild“ erleben dürfen.

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Dass er überhaupt zum Journalismus gefunden hat, war dabei fast schon Zufall, wie er erzählt. 1983 habe er sich aus politischer Überzeugung als Zeitsoldat bei der Bundeswehr verpflichtet. Als Kanonier bei der Panzerartillerie verbrachte er jedoch zehn von zwölf Wochen der Grundausbildung aufgrund von Disziplinarmaßnahmen in der Kaserne. Ein Vorgesetzter habe ihm schließlich die Möglichkeit aufgezeigt, in der Pressestelle zu arbeiten. So nahm seine Karriere im Journalismus ihren Lauf.

Er zeigt sich als Fan von Lokaljournalismus

Seine Leidenschaft für Journalismus setzte er 1985 beim Axel-Springer-Verlag fort und arbeitete sich an die Spitze der „Bild“-Zeitung. Diekmann sei aber auch ein „unglaublicher Fan von Lokaljournalismus“, wie er sagt. Denn: „Das, was um mich herum passiert, interessiert mich als Leser doch am meisten.“