Es war ein Großeinsatz, der weit über die Grenzen der Stadt für Aufsehen sorgte: Am Donnerstag, 16. Mai, wurde in Singen Alarm wegen eines unbekannten und reizenden Gases ausgelöst – womöglich sogar ein Kampfstoff. Die Folgen sind bekannt: Einsatzkräfte gingen von einer ernsthaften Gefährdung aus, Dekontaminierungseinheiten rückten aus, Feuerwehren, Polizei und Rettungsdienste aus dem ganzen Landkreis und darüber hinaus wurden mobilisiert. Ein Teil der Singener Innenstadt wurde evakuiert, der Verkehr musste großräumig umgeleitet werden. Und erst spät am Abend kam die Erleichterung: Das in Frage stehende Gas löste zwar Reizungen aus, war aber offenbar kein Kampfstoff.

Alexander Stachel, Leiter des Singener Polizeireviers, und Mario Dutzi, Singens Feuerwehrkommandant, berichteten kürzlich im Singener Gemeinderat darüber, wie der Tag aus Sicht der Einsatzkräfte ablief. Wer im Saal zuhörte, fühlte sich in den 16. Mai zurückversetzt – und bei aller Sachlichkeit des Berichts dürfte sich eine gewisse Beklemmung eingestellt haben.

Polizeirevierleiter: Nicht der klassische Bestandteil eines Pfeffersprays

Die Frage, die wohl den meisten Menschen auf den Nägeln brennt, stellte Hans-Peter Stroppa (CDU) in der Aussprache: Was war es denn nun, was am 16. Mai für so viel Aufregung gesorgt hat? Polizeirevierleiter Stachel sagte dazu: „Die chemische Verbindung kennt man. Und es war definitiv nicht der klassische Bestandteil eines Pfeffersprays.“

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Kurz nach dem Einsatz hieß es aus der Pressestelle des Polizeipräsidiums Konstanz indes, dass es um eine Substanz gehe, die auch in Pfeffersprays genutzt werde. Laut späteren Informationen galt dies aber offenbar nur für den Stoff in der Tiefgarage – und das sei definitiv nicht derselbe Stoff, der zuvor in der Anwaltskanzlei gefunden wurde, wie Stachel nun sagte. Wie man das zusammenbraut, was in der Kanzlei gefunden wurde, sei allerdings noch nicht ganz klar, so Stachel weiter im Gemeinderat.

„Der Schutz der Bürger stand im Vordergrund. Es gab einen Großeinsatz, wie er in Baden-Württemberg wohl nur selten ist und hier ...
„Der Schutz der Bürger stand im Vordergrund. Es gab einen Großeinsatz, wie er in Baden-Württemberg wohl nur selten ist und hier hoffentlich nicht mehr vorkommt.“ Mario Dutzi, Kommandant der Singener Feuerwehr | Bild: Wöhrstein / Feuerwehr Singen

Mario Dutzi berichtete, dass die Feuerwehr die erste Einsatzstelle aufgrund eines normalen Alarms angefahren habe. Das Messgerät habe dann in Richtung Kampfstoff ausgeschlagen. Ein Fehler könne dabei zwar nicht ausgeschlossen werden, sagte der Feuerwehrkommandant im Gremium. Doch alle Experten, die man zurate gezogen habe, inklusive dem Hersteller des Messgeräts, hätten geraten, von der höchsten Gefahr auszugehen: „Der Schutz der Bürger stand im Vordergrund. Es gab einen Großeinsatz, wie er in Baden-Württemberg wohl nur selten ist und hier hoffentlich nicht mehr vorkommt.“

Dass man zunächst aber auf jeden Fall von einer gefährlichen Substanz ausgehen musste, unterstrich Dutzi noch weiter: Wäre es das gewesen, was man zuerst gemessen hätte, „hätten wir massive Probleme bekommen, die Leute überhaupt bei uns zu behalten, die es abgekriegt haben“. Und bei allen, die in der Nähe des Stoffes gewesen seien, wäre es wohl nicht mit einem Klinikaufenthalt getan gewesen. „Es ging von Anfang an nicht um Pfefferspray“, so Dutzi.

„Der Hinweis auf einen Kampfstoff war besorgniserregend. Mit der Feuerwehr sind wir auf Vollgas gegangen. Es wurde alles mobilisiert, ...
„Der Hinweis auf einen Kampfstoff war besorgniserregend. Mit der Feuerwehr sind wir auf Vollgas gegangen. Es wurde alles mobilisiert, was zu mobilisieren war.“ Alexander Stachel, Leiter des Polizeireviers Singen | Bild: Polizeipräsidium Konstanz

Stroppa appellierte dann auch, die Ursache für den Einsatz nicht zu verharmlosen. Und Oberbürgermeister Bernd Häusler las allen, die den Einsatz für zu groß hielten, regelrecht die Leviten: Wer darüber meckere, dürfe sich auch von jetzt auf gleich zu einer Lage rufen lassen, in kürzester Zeit entscheiden müssen und die Konsequenzen tragen – „und nachher wird gerichtet, ob das richtig war“. Die Entscheidung der Einsatzkräfte sei genau richtig gewesen, sagte der OB. Und die evakuierten Menschen in der Stadthalle seien sehr dankbar gewesen.

Viel Lob aus dem Gemeinderat

Erst die Analytische Task Force habe den Stoff am Abend chemisch zerlegen können. Das Ergebnis: „Die Giftigkeit war zu vernachlässigen“, wie es Dutzi formuliert. Doch das habe sich eben erst spät herausgestellt. Die Spezialeinheit der Feuerwehr Mannheim wurde abends per Hubschrauber nach Singen geflogen.

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Aus dem Gremium bekamen Stachel und Dutzi großes Lob für die Arbeit der Einsatzkräfte. Birgit Kloos (SÖS) sagte: „Aus der Beobachtersicht ist der Einsatz sehr professionell abgelaufen, ich fühlte mich immer gut informiert.“ Regina Brütsch (SPD) schloss sich dem an. Vielleicht sei der Großeinsatz auch gut gewesen, um zu wissen: Es funktioniert, wenn wirklich mal ein gefährlicher Stoff in Umlauf sein sollte.

Diskussionspunkte zum Gaseinatz gab es im Gemeinderat aber auch – nämlich eine Festnahme in der Südstadt und die Frage nach dem Motiv der mutmaßlichen Täter. Die Festnahme hätte auch die Polizei gerne anders gemacht, sagte Polizeirevierleiter Alexander Stachel auf die entsprechende Frage von Dietrich Bubeck (Grüne). Zu dem Zeitpunkt sei es aber das mildeste Mittel gewesen, auch wenn die Festnahme öffentlichkeitswirksam erfolgte. Oberbürgermeister Bernd Häusler sagte, die SEK-Beamten hätten das Richtige getan. Keiner habe gewusst, ob es ein Kampfstoff war und ob der Mann ihn dabei gehabt haben könnte. Auf die Frage nach dem Motiv, die Regina Henke (Grüne) stellte, sagte Stachel, die Ermittlungen zum Vorfall in der Anwaltskanzlei würden noch laufen. Daher werde er dazu nichts sagen.