Am Tag zwei nach dem Großbrand sitzt der Schock über den Verlust der Scheffelhalle tief. Viele Singener konnten es zunächst gar nicht glauben, dass ihre geliebte Halle nicht mehr steht. Wer aber in der Nacht die Brandkatastrophe in der Nachbarschaft hautnah miterlebt hat, wird auch die Angst um Leib und Leben nicht mehr vergessen.
Alle wussten, dass das Eternit-Dach der Scheffelhalle problematisch ist
Gluthitze strahlte über den Aachkanal den Menschen entgegen. Der Funkenschlag färbte den Himmel rot und verteilte glühenden Ascheregen über die Häuser, Straßen und Gärten. Auf Wegen, Rasen, Terrassen, Vordächern liegen Kohlestückchen, manche so groß wie Grillkohle. Dazwischen grau-weiße Plättchen: Asbest. Jeder in Singen wusste, dass das gewellte Eternit-Dach der Scheffelhalle ein Problem ist. Nicht, solange es unangetastet auf der Halle ruht. Doch im Falle einer Entsorgung würden sich krebserregende Mikrofasern aus Asbest freisetzen, die die Lunge schädigen. Genau diese Teilchen verteilten sich mit der Asche nun auf die Nachbarschaft.

Partikel am besten von Fachleuten einsammeln lassen
„Liegenlassen“, hatte Feuerwehrkommandant Andreas Egger gleich am Morgen an der Brandruine noch geraten. Eine Spezialfirma, die sich mit der Entsorgung von Schadstoffen auskennt, werde kommen, um die Straßen und Grundstücke zu reinigen. Tatsächlich lag dann am Nachmittag eine Allgemeinverfügung der Stadt in den Briefkästen, unterschrieben von Torsten Kalb als Chef der Ortspolizeibehörde. In dem Schreiben wird genau erklärt, was die Eigentümer der Grundstücke und Bewohner der Straßen zu beachten haben.
Ascheregen belastet die direkten Nachbarn
Am stärksten betroffen ist der direkt an den Aachkanal anschließende Uferweg. Doch auch die Anlieger der Kanalstraße, der Zelgle- und Kolpingstraße wurden angeschrieben. In Abstimmung mit dem Amt für Abfallwirtschaft und Gewerbeaufsicht im Landratsamt Konstanz hat die Stadt Singen die Bewohner dieser Straßen aufgefordert, die Fenster geschlossen zu halten, FFP2-Masken im Außenbereich zu tragen und Kleinkinder nicht im asbesthaltigen Dreck spielen zu lassen. Die Anlieger werden verpflichtet, den Mitarbeitern der Schadstoffentsorgungsfirma Zutritt zu Grundstücken, Terrassen und Balkonen zu gewähren. Wer sein Grundstück selbst reinigen wolle, solle keinen Besen verwenden, sondern nass reinigen.

Aacher Schadstoffsanierer haben häufig mit Asbest zu tun
Was die Nachbarn der Brandruine beunruhigt, ist für Benjamin Trapp Alltag. Der Juniorchef der Aacher Spezialfirma für Schadstoffsanierung T.I.S. versucht ein bisschen zu beruhigen. Während seine stark vermummten Mitarbeiter in blauen Overalls und mit P3-Masken über die Grundstücke laufen, um Rasen, Sträucher, Rabatten, Terrassen und Auffahrten nach Asbestteilchen abzusuchen, klärt Trapp etwas mehr über Asbest auf. „Wegen seiner langen Haltbarkeit wurde es gerne Beton beigemischt“, sagt Trapp. „Asbest ist ein natürliches Mineral. Es fliegt das ganze Jahr durch die Luft.“ Gebunden im Zement gehe von den Fasern keine Gefahr aus. Durch den Brand seien sie aber in hoher Konzentration freigesetzt worden. Durch die große Hitze seien die Eternit-Platten geplatzt und die Teilchen durch die Luft geschleudert worden. „Dadurch wurde die Scheffelhalle zum Hotspot“, sagt Benjamin Trapp.

Erfahrung mit Großeinsätzen in Singen und Karlsruhe
Die Firma T.I.S. mit 30 Mitarbeiter und Zweigniederlassung in Karlsruhe ist seit 25 Jahren im Geschäft. „Wir arbeiten in ganz Baden-Württemberg„, erzählt Trapp. „Schadstoffbeseitigung ist nicht unser einziges Geschäftsfeld. Die Firma kümmert sich auch um Demontagen und das Entkernen von Gebäuden.“ Ein Beispiel ist die Hautpstelle der Sparkasse Hegau-Bodensee in der Singener Erzbergerstraße, ein weiteres der Rückbau des Karlsruher Wärmekraftwerks. Wer als Schadstoffsanierer tätig sein will, muss entsprechende Schulungen nachweisen und zum Teil auch besondere Ausrüstung anschaffen. Bei Asbest kann zum Beispiel eine Schleuse mit Unterdruck nötig werden.

Die hohe Luftfeuchtigkeit bindet gesundheitsschädigende Partikel
Ein bisschen Glück im Unglück haben die Nachbarn der Brandruine laut Trapp dann doch noch: „Durch die hohe Feuchtigkeit werden die Partikel nicht aufgewirbelt, sondern bleiben eher am Boden oder auf den Flächen liegen, wo wir sie gut einsammeln können.“ Im ersten Schritt werden die groben Teile von Hand eingesammelt. Danach geht‘s ins Detail. Eventuell müsse das gesamte Laub am Uferrand entfernt werden. Bis Ende der Woche werden die Arbeiten auf jeden Fall dauern. Danach kommt die Halle dran, wo sich die Schadstoffe konzentrieren.