Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler ist um klare Worte nie verlegen: „Nur Rechtsansprüche erfüllen ohne auskömmliche Finanzierung überfordert uns.“ Der Satz, der beim Singener Nachbarschaftswein im Bohlinger Gasthaus Sternen gefallen ist, bezog sich auf die stark steigenden Kosten im Kita-Bereich und kritisierte Bund und Länder, die den Gemeinden immer mehr Aufgaben aufbürden. Doch er steht auch exemplarisch für das Lebensgefühl der Hegauer Gemeindechefs, wie es bei der Zusammenkunft allenthalben zu spüren war.
Benjamin Mors, Bürgermeister von Steißlingen und Kreisvorsitzender des Gemeindetags, stieß ins gleiche Horn: „Das Defizit in den Gemeinden hat sich verelffacht. Wir wissen nicht mehr, wie wir das alles finanzieren sollen.“ Und aufs Geld schaute auch Landrat Zeno Danner, denn die Gemeinden finanzieren den Kreishaushalt maßgeblich über die Kreisumlage.
Defizite sind überall ein großes Thema
Da kommt es auch darauf an, die Finanziers der Kreispolitik bei Laune zu halten, zum Beispiel mit der Information, dass in vielen anderen baden-württembergischen Landkreisen die Kreisumlage noch höher sei und trotzdem mit einem Defizit geplant werden müsse: „Das ist an vielen Stellen extrem nach oben geschossen.“
Nimmt man das Treffen der Kommunalpolitiker als Gradmesser, so gibt es keinen Zweifel: Die Lage in Städten und Gemeinden verdüstert sich, die Tonlage ändert sich von besorgt zu alarmiert. Und am Ende läuft es überall aufs Thema Geld hinaus, nicht nur bei der Kreisumlage. So rechnete Häusler auch vor, dass die Stadt Singen im kommenden Jahr mit etwa 35 Millionen Euro weniger als gedacht zurechtkommen müsse – auch aufgrund der Vorgänge im Bundeshaushalt, „das schlägt sich bei den Kommunen nieder“.

12 Millionen Euro mehr gingen an den Landkreis, 9 Millionen Euro mehr in den landesweiten Finanzausgleich der Kommunen, 4,2 Millionen Euro mehr koste das Personal und 9,8 Millionen Euro fehlen aufgrund der Steuerkraft aus Zuweisungen. Klingt abstrakt? Wird aber konkret, wenn Häusler auf die Folgen hinweist. Die Stadt habe gut gewirtschaftet und daher etwa 45 Millionen Euro Rücklagen, an die man herangehen könne. Doch: „Damit hätten wir ein Bad sanieren oder eine dreiteilige Sporthalle bauen wollen.“ Im Klartext: Das wird nicht gehen, weil das Geld anderswo gebraucht wird.
Das Zerren ums öffentliche Geld
Allein im Kita-Bereich würde der Zuschussbedarf von 10,9 Millionen Euro 2022 auf geplante 15,3 Millionen Euro im nächsten Jahr steigen, so Häusler – und Investitionen wie der Bau neuer Kitas seien da noch gar nicht inbegriffen. Alarmiert über die Finanzen zeigte sich auch Mors: Die Verschlechterung habe eine im Kreis nicht dagewesene Dimension: „Es ist eingetreten, was wir befürchtet haben.“
Das Zerren ums Geld könne man am kommenden Montag im Kreistag live und in Farbe erleben, wenn es um die Kreisumlage gehe. Mors dankte Landrat Danner, dass er auf die Sorgen der Gemeinden eingehe – und unter dem Gelächter seine Kollegen auch dafür, dass das auch künftig so bleiben werde.

Allenthalben wurde an dem Abend auch das transparente Verfahren auf dem Weg zu einem neuen Klinikstandort gelobt – auch wenn noch die Finanzierung des Projekts bleibt, das mehrere hundert Millionen Euro kosten soll. Landrat Danner sagte: „Ich bin froh, dass man sich bei der Entscheidung im Kreistag nicht zerfleischt hat.“
Das habe auch daran gelegen, dass Häusler als OB der Stadt, die den Zuschlag für den neuen Klinik-Standort erhielt, kein triumphierendes Siegerlächeln aufgesetzt habe: „Anderen hätte das in den Sinn kommen können“, so Danner. Dass Radolfzells Oberbürgermeister Simon Gröger nicht beim Nachbarschaftswein dabei war, hängt nach Informationen von seiner Referentin Julia Theile nicht mit dem Klinik-Entscheid zusammen, sondern mit der Radolfzeller Weihnachtsfeier, die zeitgleich stattgefunden habe.
Alarm auch beim Thema Flüchtlingsunterbringung
Alarmierte Töne hörte man beim Nachbarschaftswein zum wiederholten Male zum Thema Flüchtlingsunterbringung. Selbst Singens OB Häusler, nicht gerade als populistischer Heißsporn bekannt, benutzte das Wort von einer „Überschwemmung, bei der Integration nicht mehr funktionieren kann“, um die Lage zu illustrieren.

Danner kündigte an, er wolle gemeinsam mit der Arbeitsagentur mehr Augenmerk darauf legen, dass Geflüchtete schneller in Lohn und Brot kommen: „Wir arbeiten teilweise mit Regeln aus den 1990er-Jahren, als es eine hohe Arbeitslosigkeit gab.“ Heute bräuchten die Betriebe aber dringend Leute, die schaffen. Und Danner berichtete aus dem Finanzausschuss des Landkreistags, wo es allgemeines Rätselraten gegeben habe, wie die Zahlung des Bundes von 7500 Euro pro Asylbewerber nun konkret ablaufen solle.
Da schien auch der Zoff zwischen Kreisverwaltung und Stadtverwaltung um eine mögliche Flüchtlingsunterkunft mitten im Wohngebiet der Singener Nordstadt vergessen – wie auch insgesamt der große Zusammenhalt betont wurde.
„Bodenlose Frechheit“ beim Thema MVZ
Einig sein konnten sich alle dabei, die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zu kritisieren. Die verlange nämlich Bürgschaften von Kommunen, die ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) einrichten wollen, sagte Singens OB Häusler. Zur Erinnerung: Die Stadt Singen möchte ein solches MVZ mit drei Hausärzten gründen, um die Versorgung sicherzustellen. Die Gemeinden Gottmadingen und Gailingen wollen ein gemeinsames MVZ mit zwei Ärzten gründen.
Da die KV nun verlangen würde, nicht mehr für zwei, sondern für fünf Jahresumsätze pro Praxis zu bürgen, stehen diese Gemeinden nun vor der Herausforderung, für deutlich höhere Summen geradestehen zu müssen, wie Gottmadingens Bürgermeister Michael Klinger am Rande der Veranstaltung erklärte. Dass gebürgt werden müsse, stehe im Sozialgesetzbuch, so Klinger – die Höhe lege die KV fest. Häuslers deutlicher Kommentar: „Das ist eigentlich eine bodenlose Frechheit. Was die machen, ist kontraproduktiv.“