Frau Fiebiger, wie sind Sie nach Singen gekommen?
Nach meinem Theologie-Studium in Heidelberg und Berlin, habe ich ein zweijähriges Vikariat in Owingen am Bodensee absolviert. Während dieser Zeit konnte man Wünsche äußern, also ob man beispielsweise in eine bestimmte Region möchte, ob man lieber aufs Dorf will oder in eine Stadt und so weiter. Aus den verschiedenen Angeboten des Oberkirchenrats habe ich mich dann gern für Singen entschieden, da mein Mann auch hier in der Gegend arbeitet und ich zudem der Meinung bin, dass diese Gemeinde Potenzial hat.
Mit 28 Jahren sind Sie ja noch eine sehr junge Pfarrerin. Wie wurden Sie in Ihrer Kirchengemeinde aufgenommen?
Diese Frage, angesichts meiner jungen Jahre, hat mich anfangs auch ein bisschen beschäftigt und ich war gespannt, wie die Menschen auf eine so junge Pfarrerin reagieren würden. Aber ich habe bisher tatsächlich nur positive Erfahrungen gemacht.
Wollten Sie schon immer Pfarrerin werden?
Anfangs wollte ich Bibliothekarin werden, da ich Bücher sehr liebe. Allerdings war ich durch meine Familie und eine Freundin, die Theologie studiert hat, auch kirchlich sozialisiert und habe mich letztendlich ebenfalls für ein Theologiestudium entschieden. Die Gemeindearbeit während des Vikariats hat mir sehr viel Freude bereitet. Ich habe gerne mit Menschen zu tun.
Was bedeutet Kirche für Sie?
Für mich ist sie eine Gemeinschaft der Fertigen und der Unfertigen, wie ich sie nenne. Die Fertigen sind für mich Menschen, die oftmals am Ende ihrer Kraft sind, oder die am Rande der Gesellschaft stehen. Die Unfertigen, das sind die Menschen, die Fragen stellen, zum Beispiel nach ihrer Zugehörigkeit. Eine Frage, die heutzutage oft nicht einfach zu beantworten ist.
Warum ist die Kirche heute noch eine wichtige Institution?
Ich glaube, durch ihre Tradition ist sie Vielen eine Orientierungshilfe. Sie gibt den Menschen Halt und zeigt Wege. Durch sie wird Nächstenliebe sichtbar. Ich denke, viele Menschen leiden heutzutage unter dem Druck der Selbstoptimierung und vergessen darüber, dass Jeder wichtig und wertvoll ist, unabhängig von seiner eigenen Leistung.
Wo sehen Sie Ihre Aufgabe?
Ich möchte meine Kompetenzen einsetzen und eine Kirche der Zukunft gestalten. Eine Kirche, die sich an den Menschen orientiert und mit ihrer Komplexität umgehen kann auf dem Weg in eine gleichberechtigte Gesellschaft. Mit Hilfe unseres christlichen Glaubens können wir es schaffen, Unterschiede zu überwinden.
Wie kann man die Kirche für junge Menschen attraktiver gestalten?
Es gibt bereits Aktionen für Familien mit Kindern, wie beispielsweise der monatliche Kreativ-Nachmittag, diese Aktivitäten werden fortgesetzt. Dann wollen wir die Kinderbibel-Tage wieder einführen, auch ein Gin-Tonic-Tasting ist geplant, ebenso ein Abendgottesdienst am Valentinstag. Und dann werden alle Gemeindemitglieder, die im nächsten Jahr ihren 30. Geburtstag feiern, Post von mir bekommen.

Warum ausgerechnet zum 30. Geburtstag?
Na ja, eigentlich ist ja jeder runde Geburtstag etwas Besonderes, aber gerade zwischen dem 30. und dem 40. Geburtstag ist doch bei Vielen eine Zeit des Aufbruchs, da orientiert man sich im Beruf, heiratet und gründet vielleicht auch eine Familie.
Kann die digitale Kirche aus Ihrer Sicht klappen?
Nun, es klappt ja schon. Gerade durch die Pandemie waren auch wir gefordert, neue Wege zu finden. Wir bieten über Messenger-Dienste wie beispielsweise Whatsapp einen digitalen Adventskalender an. Infos darüber kann man auf unserer Homepage finden.
Was machen Sie gerne, was eher nicht so gerne?
Ich feiere sehr gerne Gottesdienste, mache gerne alles, was Menschen hilft, sie begleiten und trösten, wenn sie Abschied von einem geliebten Menschen nehmen müssen. Und ich denke mir gerne neue Sachen aus. Bisher gibt es nichts, was ich nicht gerne mache.
Was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir und allen eine gute Adventszeit und natürlich, dass wir gesund bleiben. Darüber hinaus wünsche ich mir Solidarität zwischen den Menschen und Raum für Utopie in ihrem Leben.
Zur Person
Sofie Fiebiger (28) hat in der etwa 2000 Mitglieder starken Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde die Nachfolge des im Mai 2019 verabschiedeten Pfarrerpaars Wassmer angetreten. Sie ist in Teningen bei Freiburg aufgewachsen. Beim Festgottesdienst zu 50 Jahren Gleichstellung in der ev. Landeskirche am Sonntag wird sie in einer Dialogpredigt mit Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh ab 16 Uhr online daran erinnern, das vor 50 Jahren Hilde Bitz als erste Gemeindepfarrerin eingesetzt wurde. Erst 1971 wurde in Baden die völlige rechtliche Gleichstellung von Frauen in derevangelischen Landeskirche erreicht. Der Festgottesdienst „Gott sei Dank: gleich und berechtigt!“, der über Zoom gefeiert wird, wird gestaltet von Theologin Sarah Banhardt, Pfarrerin Anne Helene Kratzert, Dekanin Bärbel Schäfer, Prälatin Dagmar Zobel und weiteren Pfarrerinnen verschiedener Generationen. Musikalisch begleitet wird er von Tine Wiechmann.
Weiterer Höhepunkt im Jubiläumsjahr ist das für 8. Juli in Karlsruhe geplante „Frauenmahl“.
Weitere Informationen sowie der Link zum Zoom-Gottesdienst unter: www.gleichundberechtigt.de