Jannik Wörner ist bestürzt: Eigentlich wollte er an einem Wochenende Mitte August nur im Singener Jugendtreff Teestube in der Hauptstraße feiern. Doch mitten in der Nacht sei er vor die Tür gesetzt worden, berichtet er – und das durchaus handgreiflich. Bei der Teestube verweist man nach einer Presseanfrage zum Thema auf die Hausordnung.

Erst ein harmonischer Abend, dann der Rauswurf

Doch was war geschehen? Wörner schildert den Vorfall so: Er habe an dem betreffenden Wochenende Mitte August mal wieder dort vorbeischauen wollen, Gespräche hätten sich um Gott und die Welt gedreht. Den Tenor dieser Gespräche beschreibt Wörner so: „Einigkeit bestand zwischen den anderen und mir in einer linken, antikapitalistischen Weltanschauung.“ Spät in der Nacht sei das Gespräch dann darauf gekommen, dass er mittlerweile Mitglied einer Studentenverbindung sei.

Jannik Wörner, der bis vor einem Jahr in Radolfzell wohnte und jetzt in Stuttgart lebt, berichtet von einer unangenehmen Begegnung in ...
Jannik Wörner, der bis vor einem Jahr in Radolfzell wohnte und jetzt in Stuttgart lebt, berichtet von einer unangenehmen Begegnung in der Singener Teestube. | Bild: Freißmann, Stephan

Daraufhin sei die bislang freundliche Stimmung relativ rasch gekippt. Auch eine Erklärung, dass seine Verbindung politisch neutral sei, habe das nicht geändert. Schließlich sei er mit Schlägen aus dem Haus und vom Gelände befördert worden.

„Am Ende hat mich jemand sogar auf die Schläfe geschlagen und das finde ich eigentlich schon unterste Schublade“, erzählt er im Gespräch. Zur Polizei sei er damals allerdings nicht gegangen, um keinen unnötigen Stress zu machen. Doch ganz auf sich beruhen lassen wollte Wörner die Sache offenbar auch nicht und wendete sich an die Presse.

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In die Studentenverbindung in Stuttgart sei er eingetreten, weil er auf Wohnungssuche auf deren Angebot gestoßen sei, sagt Wörner nun im Gespräch. Da er extrovertiert und sozial sei, sei das vom Zusammenleben her „genau mein Ding“ gewesen. Zuvor habe er in Radolfzell gelebt und sei nach Stuttgart gezogen, um das Abitur nachzuholen.

Verbindung soll politisch neutral sein

Für die Studentenverbindung in Stuttgart, in deren Haus er lebt, nimmt Jannik Wörner in Anspruch, dass sie politisch neutral sei. Es handele sich bei der Borussia Stuttgart um eine Landsmannschaft und nicht um eine Burschenschaft. Bei Burschenschaften sei es in der Tat so, dass einige von ihnen vor allem Deutschland deutsch halten wollten, wie Wörner pointiert formuliert.

Landsmannschaften hielten sich hingegen aktiv aus der Politik heraus. In seinem Haus würden neben den deutschen Bewohnern auch Bewohner aus China, Ghana, Kolumbien und der Türkei leben. Die politischen Einstellungen derjenigen Mitbewohner, die politisch interessiert sind, ordnet Wörner als links bis liberal ein – und sich selbst als linksliberal. Mit seinen schulterlangen Haaren macht der frühere Oberministrant des Radolfzeller Münsters auch nicht den Eindruck, eine rechte Gesinnung zu vertreten.

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Die Teestube beruft sich auf eine Presseanfrage hin auf die Hausordnung. Dort sei festgehalten, „dass wir in der Teestube kein menschenfeindliches, sexistisches, rassistisches, homo- oder transphobes Verhalten sowie menschenverachtende Äußerungen dulden“. Wer sich nicht an diese Hausordnung halte, werde des Geländes verwiesen und bekomme ein vorübergehendes Hausverbot.

Konkrete Angaben zum Vorfall Mitte August vermeidet das Vorstandsteam. So bleibt auch die Frage unbeantwortet, ob es aus Sicht des Teestuben-Teams Äußerungen gab, die die Vorgehensweise ausgelöst haben könnten. Auch zur Frage der mutmaßlichen Handgreiflichkeit bei dem Rauswurf gibt es keine Stellungnahme.

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Eine pflichtschlagende Verbindung, die nur Männer aufnimmt

Doch bei allem Bekenntnis zur politischen Neutralität der Gruppe gehört zum Gesamtbild auch, dass die Landsmannschaft Borussia nur Männer aufnimmt. Und laut Wörner und der eigenen Darstellung der Gruppe ist die Landsmannschaft auch pflichtschlagend.

Die Mitglieder müssen also auf dem Paukboden fechten, was auch als Pflichtmensur bezeichnet wird – eine sehr alte Tradition von Studentenverbindungen, die auch in der Stuttgarter Landsmannschaft gepflegt wird, die erst 1933 entstanden ist. Damals entstand die heutige Borussia nach eigenen Angaben aus dem Zusammenschluss von zwei 1898 gegründeten Studentenvereinigungen. Demnach sei sie durch die Nationalsozialisten verboten und erst 1951 reaktiviert worden.

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Wo die Gruppe politisch steht, ist nur schwer zu überprüfen. Laut eigenen Informationen ist sie „politisch und weltanschaulich ungebunden“. Von den Bundesbrüdern werde aber „waches Interesse und Verständnis für Geschichte und Politik“ gefordert.

Die Landsmannschaft Borussia gehört zum Coburger Convent, einem Zusammenschluss von Studentenverbindungen. Dietrich Heither, der sich in mehreren Büchern mit Burschenschaften, also einem anderen Teil der Studentenverbindungen, auseinandergesetzt hat, ordnet den Coburger Convent auf Anfrage als konservativ bis rechtskonservativ ein. Er schränkt aber ein, dass er die Szene aus bundesweit etwa 1000 Studentenverbindungen seit ein paar Jahren nicht mehr konkret beobachtet habe.

Struktur ist konservativ, doch die Mitglieder nicht unbedingt

Jannik Wörner kann diese Einordnung nachvollziehen. Wenn man die übergeordnete Struktur betrachte, sei diese durchaus konservativ, die alten Werte fest verankert. Doch wer in den Häusern lebt, sei eigentlich gar nicht konservativ. Bei der Studierendenvertretung der Universität Stuttgart (Stuvus) sei die Borussia nicht aufgefallen, sagt Charlotta Wallentin, Finanzreferentin der Stuvus.

Doch in einem Punkt ist sich Jannik Wörner auch sicher: Auf der rechten Seite des politischen Spektrums dürfte es nicht toleranter zugehen.