Sie ist so schwer wie ein echter Säugling und kann genauso laut Schreien. Und hätte sie kein durchsichtiges Köpfchen, würde sie auch wie ein echtes Baby aussehen: die Schüttelpuppe. Sie ist allerdings kein Spielzeug, sondern soll helfen, das Leben der Kleinsten zu retten. Eine solche Puppe hat nun die Klinik für Kinder und Jugendliche in Singen bekommen. Was sie kann und wie sie genutzt werden soll, erklären Experten.

Die Schüttelpuppe sieht auf den ersten Blick harmlos aus. Ihr Köpfchen ist durchsichtig, sodass man das Gehirn des Kindes sehen kann. Jedes Areal im Gehirn ist entsprechend gekennzeichnet. Welcher Teil ist etwa fürs Sprechen, Hören oder Sehen zuständig? Das ist auf dem durchsichtigen Kopf deutlich erkennbar. Doch drückt man auf den Knopf am Rücken, fängt die Puppe plötzlich an zu schreien. Und das sehr laut.

Schüttelt man nun die Puppe, um sie zum Schweigen zu bringen, leuchten die verschiedenen Areale rot auf, vielleicht sogar alle. Diese Bereiche würden, wäre die Puppe ein echter Säugling, beim kräftigen Schütteln schwer verletzt werden. Dann hört die Puppe auf zu schreien. Sie hat das Schütteln nicht überlebt.

Die Schüttelpuppe hat einen durchsichtigen Kopf. Wird die Puppe zu stark geschüttelt, leuchten verschiedene Areale im Gehirn rot. Diese ...
Die Schüttelpuppe hat einen durchsichtigen Kopf. Wird die Puppe zu stark geschüttelt, leuchten verschiedene Areale im Gehirn rot. Diese Bereiche würden bei einem echten Baby verletzt werden. | Bild: Graziella Verchio

Doch was genau passiert, wenn Babys zu stark geschüttelt werden? „Das Gehirn des Säuglings wird im Schädel hin und her geschleudert. Da die Babys eine schwach ausgeprägte Nackenmuskulatur haben und das Verhältnis zwischen Kopf- und Körpergröße ungünstig ist, führt diese Bewegung zu schweren Schäden“, erklärt Noemi Kuld, ärztliche Leiterin des Kinderschutzteams und zertifizierte Kinderschutzmedizinerin.

Um solche Fälle an echten Babys zu vermeiden, soll diese Schulungspuppe als Präventionsmittel eingesetzt werden. Das ist nun auch an der Klinik für Kinder und Jugendliche am Hegau-Bodensee-Klinikum (HBK) möglich.

Denn das Singener Einkaufszentrum Cano hat der Kinderklinik eine Schüttelpuppe übergeben. „Wir wollen gesellschaftliche Projekte unterstützen und freuen uns, einen Beitrag zur Aufklärung und Prävention von Schütteltraumata zu leisten“, so Berat Ahmetoglu, Center Manager des Cano.

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Die Schulungspuppe soll künftig Eltern und Betreuungspersonen für die schwerwiegenden Folgen eines Schütteltraumas sensibilisieren. „Die Schüttelpuppe macht sichtbar, was oft unterschätzt wird: Schon wenige Sekunden intensiven Schüttelns können schwerwiegende Folgen für ein Baby haben“, sagt Noemi Kuld.

Reue bei den Eltern ist groß

Dass Säuglinge schreien würden, sei völlig normal, sagt Andreas Trotter, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche. Und es sei auch verständlich, dass Eltern bei anhaltendem Schreien des Babys überfordert seien. „Es ist keine Schande, wenn man als Elternteil an seine Grenzen kommt. Dafür muss man sich nicht schämen“, so Trotter.

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Und Noemi Kuld weiß: „Die Reue bei den Eltern, die das Baby geschüttelt haben, ist danach sehr groß.“ Eltern sollen daher in stressigen Situationen Unterstützung erhalten und ermutigt werden, bei Überforderung oder Verdachtsfällen ärztlichen Rat einzuholen.

Bisher habe das Team bei der U2-Untersuchung mithilfe eines Videos sowie Informationsmaterial Eltern über die Gefahren des Schüttelns aufgeklärt. „Mit diesem anschaulichen Modell können wir nun Eltern und Betreuungspersonen gezielt informieren und ihnen Strategien an die Hand geben, um in belastenden Situationen ruhig zu bleiben“, so Kuld.

Wird die Schulungspuppe geschüttelt, leuchten betroffene Areale im Gehirn rot auf.
Wird die Schulungspuppe geschüttelt, leuchten betroffene Areale im Gehirn rot auf. | Bild: Graziella Verchio

Diese Prävention ist auch bitter nötig: Laut Kuld würden in Deutschland jährlich 100 bis 200 Kinder mit Schütteltrauma in die Kliniken kommen. Die Dunkelziffer sei noch viel höher. Auch in Singen würden die Fallzahlen zu Verdachtsfällen und Schütteltraumata steigen. „Aktuell betreuen wir etwa 50 Kinderschutzfälle pro Jahr“, sagt Noemi Kuld.

„Schütteltraumata können lebenslange Folgen haben. Dennoch wird die Gefahr oft unterschätzt“, sagt Chefarzt Trotter. „Unser Kinderschutzteam setzt sich dafür ein, Eltern und Kindern in schwierigen Situationen zu helfen. Die Schüttelpuppe hilft uns dabei, aufzuklären und Bewusstsein zu schaffen, um solche Tragödien zu verhindern.“