Franz Hirschle kann eigentlich aus einer recht komfortablen Position über Ärztemangel sprechen. Der 56-Jährige führt in Singen eine große Praxis für Urologie und Männergesundheit, hat mehrere angestellte Ärzte und viele Mitarbeiterinnen. Der Einzugsbereich seiner Praxis reiche von Überlingen am See bis in den Raum Waldshut am Hochrhein und bis Tuttlingen im Norden, erzählt er.

Doch auch ihm treiben die Entwicklungen bei der Arztversorgung die Sorgenfalten auf die Stirn. Hirschle, der auch seit 2014 für die CDU im Gemeinderat sitzt, sagt klar: „So geht es nicht mehr weiter.“ Er zählt einige Punkte auf, die Stück für Stück die ärztliche Versorgung ins Wanken bringen. Und er hat einige Ideen für eine wirksame Abhilfe.

Versorgungsgrad mit Hausärzten sinkt

Zunächst klemmt es in seinen Augen bei den Hausärzten. Langfristig sinkt der Versorgungsgrad mit Hausärzten im Raum Singen. Zuletzt lag dieser laut der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) bei knapp 95 Prozent. Vor knapp zehn Jahren waren es noch mehr als 110 Prozent.

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Das passt zu anderen Zahlen, die Hirschle hat. 10,5 Hausarztsitze hätten im Oktober 2022 im Raum Singen hinzukommen können, ehe der Bezirk gesperrt wird. Im Dezember sei allerdings ein Hausarzt im Hegau gestorben. Und in diesem Jahr wollen nach seinen Informationen zwei weitere Hausärzte im Raum Singen aufhören. Dann könnten im Raum Singen also schon 13,5 Hausarztsitze hinzukommen.

Diese Entwicklung sieht auch die Singener Hausärztin Birgit Kloos voraus, wie sie im Herbst anlässlich eines Protesttages der Hausärzte sagte. Und noch eine andere Zahl alarmiert den Facharzt Hirschle: 39 Prozent der Hausärzte im Kreis Konstanz sind laut dem KVBW-Versorgungsbericht vom vergangenen Jahr 60 Jahre alt oder älter. „Das ist ein Alarmsignal, wenn man weiß, dass nur wenige nachkommen.“

Warum Hirschle so genau auf die Entwicklung bei den Hausärzten schaut? Je weniger es von ihnen gibt, desto weniger können sie auch die Behandlung von Patienten steuern. Denn die Menschen suchen sich ärztlichen Rat, wenn sie ihn brauchen. Seine Beobachtung: Viele Menschen landen in der Facharztpraxis, die auch vom Hausarzt hätten behandelt werden können.

„Bei uns fehlen dann Zeit und Krankenkassenbudget für unsere Facharzttätigkeit“, sagt er. Denn niedergelassene Ärzte arbeiten in einem stark regulierten Markt. Für die Behandlung von Kassenpatienten haben sie pro Quartal nur einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung. Werden mehr Kassenpatienten behandelt, geht der Arzt leer aus. Er selbst habe schon Quartale erlebt, in denen seine Praxis 200 Patienten nicht bezahlt bekommen habe.

Bedarfsplanung bildet die Wirklichkeit nicht ab

Hirschle kritisiert die Bedarfsplanung an sich. Denn diese diene dazu, die Krankenkassenbeiträge stabil zu halten. Das hat auch KVBW-Sprecher Kai Sonntag vor einiger Zeit auf Anfrage bestätigt. Die tatsächliche Nachfrage der Menschen nach ärztlichen Behandlungen sei nie die Grundlage der Bedarfsplanung gewesen, so Sonntag im Herbst 2021. Hirschle kritisiert, dass die Planung nicht mehr zur Wirklichkeit passe. Durch den demographischen Wandel würden Menschen immer älter und bräuchten mehr Behandlungen. Und aus seiner Arbeit als Urologe weiß er, dass bei den Behandlungen inzwischen auch viel mehr möglich sei – dies aber auch aufwendiger sei: „Das wird in der Bedarfsplanung nicht abgebildet.“

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Hirschles erste Forderung lautet daher auch: „Wir brauchen eine ehrliche Standortbestimmung: Wie hoch ist der Bedarf wirklich?“ Um das zu schaffen, sollte man auch ins Ausland schauen und sich Rezepte dort abgucken, wo die Versorgung gut funktioniere. Und Hirschle wirft noch eine Zahl in den Raum: Etwa 90 Prozent der medizinischen Behandlungen würden ambulant erfolgen. Deswegen brauche man mehr niedergelassene Ärzte.

Hirschle appelliert aber auch an die Eigenverantwortung der Patienten. Denn es würden viele Menschen in die zentrale Notaufnahme des Krankenhauses gehen, die eigentlich in die Notfallpraxis der niedergelassenen Ärzte gehen könnten, lautet die Einschätzung von Hirschle, der auch im Aufsichtsrat des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz (GLKN) sitzt. Und aus seiner eigenen Erfahrung als Arzt Anfang der 2000er-Jahre an einem Krankenhaus in der Schweiz, bringt er die lenkende Wirkung des Geldes ins Spiel. Im Nachbarland hätten Krankenhäuser vom Patienten verlangt, eine Geldsumme zu hinterlegen, viele Krankenversicherungen würden Selbstbeteiligungen berechnen: „Die Menschen sind dort aber nicht kränker und sterben nicht früher.“

Macht mehr Geld allein glücklich?

Mit der Basisvergütung komme man gerade über die Runden. Seine eigene Praxis verdiene zwar nicht schlecht, doch je nach Zahl der Privatpatienten und Wahlleistungen könnte das auch anders aussehen. Finanzieren Privatpatienten also den Betrieb einer Praxis quer? Hirschle bejaht die Frage. Im Umkehrschluss heißt das auch: Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen nicht genug. Doch woher sollte man mehr Geld für die Vergütung nehmen? Auch hier hat Hirschle einen Vorschlag: Vielleicht käme man in Deutschland mit weniger Krankenkassen aus.

Mehr Geld allein mache aber auch nicht glücklich, ist die Überzeugung des Facharztes. Denn für junge Ärzte würden auch andere Themen zählen, etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Größere Strukturen für niedergelassene Ärzte sind in seinen Augen ein Schlüssel zum Erfolg: „Damit könnte man Ärzte sicher gewinnen.“ Zum Beispiel mit Modellen wie dem Medizinischen Versorgungszentrum. Ärzte machen nur Medizin, die Verwaltung macht jemand anderes – so lautet seine Zusammenfassung für diesen Ansatz.

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Zur traditionellen Linie seiner Partei, der CDU, passe das zwar nicht, doch Hirschle ist sicher: „Das muss man unideologisch sehen.“ Und: „Da muss sich auch die Ideologie der niedergelassenen Ärzte ändern.“ Denn er selbst als alleiniger Praxisinhaber sei eher ein Auslaufmodell. Und auch für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, einen SPD-Politiker, hat Hirschle Lob übrig. Jedenfalls sei der in Sachen Medikamente in die richtige Richtung unterwegs, mit Rabattverträgen habe man die Firmen geknebelt. Und: Dieses Problem hätte auch CDU-Politiker Spahn schon anpacken können.