Eine Frau, die schon seit Monaten von ihrem Ex-Partner verfolgt, geschlagen, beschimpft, bestohlen und bedroht wird und das auch schon angezeigt hat, kommt nach Hause und merkt, dass etwas nicht stimmt. Sie vermutet den Partner in der Wohnung und ruft die Polizei. Die durchsucht die Wohnung gründlich, findet aber nichts. Als die Frau sich abends ins Bett legt, kommt der Ex-Partner unter dem Bett hervor. Er hatte sich während der Durchsuchung in einem winzigen Verschlag versteckt.
Dieses schreckliche Szenario beschreibt Polizeioberkommissarin Katrin Kern beim Freiburger Polizeipräsidium in einem Beispiel für einen klassischen Verlauf von Stalking. Sie informierte im Rahmen einer Veranstaltung der Gleichstellungsbeauftragten der Landkreise Konstanz und Lörrach im Rahmen des Weltfrauentags gemeinsam mit anderen Experten Betroffene und Fachkräfte zum Thema Stalking.
Die betroffene Frau hat erst nach zwei Jahren Anzeige gegen ihren Ex-Freund erstattet, um dem Terror ein Ende zu setzen, berichtet Katrin Kern. „Die Frau war seit ihrer ersten Anzeige in psychologischer Behandlung und konnte nicht mehr arbeiten“, berichtet Katrin Kern. Wichtig sei, sich Hilfe zu holen, „damit der Irrsinn ein Ende haben kann“.
Was ist Stalking?
Ihr Kollege Ivo Schölzke definiert Stalking als wiederholtes unerwünschtes Verfolgen, Belästigen und Überwachen einer Person, die dadurch psychisch und physisch beeinträchtigt wird. Merkmale von Stalking seien wiederkehrend, unerwünscht, zielgerichtet, es führe zu psychischen Belastungen und habe viele Facetten. Auch Stalking über soziale Medien sei strafbar: Es gebe Fälle, bei denen sich Betroffene und Täter nie begegnet sind. In 80 Prozent der Fälle seien Frauen von Stalking betroffen.
Was kann man gegen Stalking tun?
Wichtig sei es, Stalking möglichst frühzeitig zu erkennen, konsequent zu reagieren und sich nicht zu scheuen, die Polizei zu rufen, erklärte Ivo Schölzke. Doch gerade das frühzeitige Erkennen ist für viele nicht leicht, wurde in der Veranstaltung deutlich, weil das Stalking oft von Ex-Partner ausgeht, zu denen noch Kontakt besteht und auch die Scheu, die Polizei zu rufen, sei groß. Weitere Verhaltenstipps wären auch das Umfeld, Freunde und Familie zu informieren, technische Schutzmöglichkeiten zu nutzen, das Stalking mit Datum und Uhrzeit zu dokumentieren und sich Hilfe bei Opferschutzeinrichtungen zu suchen.
Strafbar beim Stalking sind Hausfriedensbruch, Beleidigung, Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung oder Sachbeschädigung. Der 2007 eingeführte Nachstellungsparagraf sieht auch im unbefugten Nachstellen eine Straftat. Gesundheitsschädigung, Todesgefahr, einer länger als sechsmonatiger Nachstellung und der Tod des Opfers werde mit Haft bestraft, erklärte der Präventionsexperte.
Was sind die Auswirkungen?
Die Freiburger Rechtsanwältin Christina Gröbmayr gab einen Einblick in die Dimensionen und Abgründe von Stalking. Es gebe jährlich 25.000 angezeigte Fälle, doch diese Fälle führten oft nicht zu Verurteilung, denn der Nachweis sei schwierig und schwer aufzuarbeiten. „Die Folgen sind für die Betroffenen verheerend und katapultieren sie aus ihrem Leben“, erklärte die Rechtsanwältin, die viele Opfer vertreten hat.
Es werde ihnen jegliches Sicherheitsgefühl genommen und sie müssten alle Folgen des Stalkings tragen, indem sie zum Beispiel ihren Wohnort wechseln müssen. Dem Stalking gehe oft eine toxische Beziehung voraus, in der der Mann seine Partnerin in der ersten Phase mit Liebe und Romantik überhäufe.
Einer immer größere Rolle spiele die digitale Gewalt, die bloßstellt, isoliert, beschimpft und erpresst. Der Verbreitungsgrad sei immens und kaum zu stoppen, so die Rechtsanwältin. Es würden Rachepornos online gestellt oder die Daten einer Exfreundin genutzt, um sie als Prostituierte im Internet anzubieten, Männer würden im Netz als Pädophile dargestellt. Täter wiegen sich in der Anonymität des Internets in Sicherheit, die Hemmschwelle sinke. Christina Gröbmayr zeigte auch auf, welche finanzielle Hilfen sich Opfer holen könnten.
Wie erklärt die Psychiatrie Stalking?
Was aus psychologischer Sicht hinter Stalking steckt und wie geholfen werden kann, beleuchtete Oliver Müller, ärztlicher Leiter des Zentrums für Psychiatrie Reichenau. Er zeigte anhand des Songs „Every breath you take“ von The Police, was Stalking bedeutet: Obsession, Kontrolle und Nachstellung werde mit Liebe und Romantik verwechselt. Er unterschied unterschiedliche Typen von Stalkern, wie den zurückgewiesenen, den Liebe oder den Rache suchenden Stalker. Bei der Behandlung der Täter würde man versuchen, die Empathie für die Folgen von Stalking zu wecken, soziale Kompetenzen zu stärken und Rückfallprävention zu betreiben.
Was sind die psychischen Folgen?
Die psychischen Folgen für die Opfer seien Angststörungen, Depressionen bis zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Krisenintervention, unterstützende Psychotherapie oder eine Traumatherapie seien hier Wege, um zu helfen, erklärte Oliver Müller. Wichtig sei es vor allem, die Opfer emotional zu begleiten und zu stärken. Frauen, die Opfer von Stalking wurden, zu unterstützen, gemeinsame Handlungsschritte zu planen und ihnen aus der Ohnmacht herauszuhelfen, darin sehe auch die Beratungsstelle Frauen helfen Frauen in Not in Konstanz ihre Aufgabe, erklärte Waltraud Weber.
Vanessa Nicklaus von der Frauenberatungsstelle Lörrach berichtete aus ihrer Erfahrung, dass in den meisten Fällen das Stalking vom Ex-Partner ausgehe und alle Behörden Defizite beim Wissen über digitale Gewalt hätten. Die Online-Veranstaltung mit 59 Teilnehmerinnen habe ihr gezeigt, dass es wichtig sei, das Thema Stalking aus der Tabu-Zone zu holen, sagte Gleichstellungsbeauftragte Petra Martin-Schweizer, die gemeinsam mit Lydia Messer die Diskussion moderierte.