Herr Wartke, Sie erzählen vertonte Geschichten, begleiten sich am Klavier, brillieren mit Ihrem Schnellsprechen. Welchen Anspruch haben Sie an sich selbst, an das, was sie künstlerisch machen?
Ich lege viel Wert auf bestimmte Dinge, auf die wahrscheinlich viele Menschen heutzutage keinen Wert mehr legen. Eines davon ist das Reimen, bei dem ich mir auf die Fahne geschrieben habe, immer einen sauberen Endreim zu finden. Das Reimen ist gerade bei Popsongs und im Hip-Hop das A und O, jedoch findet man dort oft unsaubere Endreime. Ich hingegen gebe mich selten mit dem ersten Reim zufrieden, sondern denke: Das geht bestimmt noch besser!
Aktuell sind Sie mit ihrem sechsten Klavierkabarettprogramm „Wandelmut“ auf Tour. Es geht um das Wechselspiel von Stetigkeit und Wandel, einem Spektrum, das viel Freiraum für Kreativität lässt. Erzählen Sie mal.
Grundsätzlich liebe ich Wortspiele und die ziehen sich auch wie ein roter Faden durch meine Programmnamen der letzten Jahrzehnte. Im aktuellen Programm geht es um den Wandel in jeglicher Form und umfasst damit alle politisch und gesellschaftlich relevanten Themen, die uns aktuell bewegen. Und das inkludiert auch meinen eigenen Wandel und den Wandel, dem sich meine Lieder unterziehen.
Inwiefern tun sie das?
Ich habe einige Lieder gemacht, die hatten ihre Zeit. Andere Songs geben viel her, um neue und erwähnenswerte Aspekte einzuarbeiten. Daher verwandele ich sie, passe an, verändere und aktualisiere sie, damit sie in die heutige Zeit passen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Im Jahr 2001 habe ich ein Lied mit dem Titel „Regen“ gemacht. Es handelte von einem Open-Air-Konzert, das durch plötzlichen Regen wortwörtlich „ins Wasser gefallen“ war. Und ich frage in dem Lied: „Wo ist denn jetzt der Klimawandel, wenn man ihn mal braucht?“ Klimawandel, das war zu der Zeit ein abstrakter Begriff irgendwo am Horizont. Mittlerweile hat sich die Situation zugespitzt – und zwar schlimmer als befürchtet.
So einen Satz herauszuhauen, wäre unfassbar ignorant. Daher habe ich den Text im Laufe der Zeit angepasst – derselbe Titel, das gleiche Thema, nur aktualisiert, indem ich einen Perspektivenwechsel vorgenommen habe.
Seit über 25 Jahren stehen Sie auf der Bühne. Was inspiriert Sie?
Eine Schriftstellerin hatte eine abgefahrene Idee für ein Buch, mit einem „crazy plot“. Sie ist dieser Idee jedoch nicht nachgegangen und hat Jahre später genau diese Idee in einem Buch gelesen. Eine andere Autorin, Elisabeth Gilbert, hatte die Geschichte von „eat, pray, love“ geschrieben, die dann äußerst erfolgreich als Buch in zig Sprachen erschien und mit Julia Roberts verfilmt wurde. Man könnte vermuten, ein Plagiat? Nein, denn die Schriftstellerin hatte die Idee keinem mitgeteilt. So kam die These auf: „Kunst will sich ereignen, manifestieren und sucht sich ein Medium, das die Kunst realisiert.“
Das klingt nun vielleicht sehr esoterisch, aber genauso geht es mir. Ich ziehe mich nicht, wie einige Künstler, zwei Wochen in die Einsamkeit zurück, gehe in Klausur und schreibe ein Programm, sondern die Ideen finden mich. Innerlich bin ich immer „auf Empfang“. Die Ideen kommen nicht termingerecht, sondern wenn Sie Bock haben, oft in Situationen, in denen ich anderweitig beschäftigt bin. Sie kommen mit Macht, im Rudel und ich empfinde das als beglückend.
Für wie politisch halten Sie sich?
Das Problem an Politik ist, dass sie oft nicht sehr poetisch ist. Und sollte ich mich zwischen beiden entscheiden müssen, würde ich ganz klar die Poesie wählen. Ich habe großen Respekt vor Politikern und finde es zu einfach, mich über sie zu echauffieren, zu meinen, ich könnte das besser machen, sie aus der Ferne zu kritisieren. Ich bin froh, in einer Demokratie leben zu dürfen, halte zum Beispiel Regelungen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen für eine gute Idee. Andere halten das für totalen Quatsch, aber ich denke: Lasst es uns ausprobieren! Ich mache daher kein politisches Kabarett, dennoch bringe ich auch politische und gesellschaftliche Aspekte und Überlegungen auf die Bühne.
Am Ende meines aktuellen Programms besinge ich beispielsweise unser Land, wie ich es mir wünsche. Utopie und Realität gehen dabei Hand in Hand. In dem Lied personifiziere ich zunächst die Zweifel, dann die Zuversicht, die in einen Streit geraten und um die Gunst der Zuhörer buhlen. Das klingt universell, ist aber auch politisch. Schließlich gerät jeder Einzelne in eine ähnliche Situation, wenn er das Kreuz auf seinen Wahlzettel macht.
Ich glaube, Poesie hat immer auch die Dimension, politisch zu sein. Interessant wird es, wenn ich nicht nur eine Nachricht oder Information aus den Medien ausspreche, sondern ihr eine poetische Form gebe, singe, reime, musikalisch vertone oder auch, ihr eine komische Form gebe.
Hatten Sie je Angst, künstlerisch zu scheitern?
Nein. Und egal wo ich je aufgetreten bin, war ich stets positiv überrascht von dem tollen Veranstaltungsort, dem Publikum, dem Verlauf des Abends. Schwierig wird es nur, wenn die Leute mit einer anderen Erwartungshaltung zu einer Veranstaltung kommen. Und klar, es gibt es auch den „worst case“, den ich selbst erlebt habe, als ich zu Silvester bei einem Auftritt in einem Café zwischen Eisbecher und Böller geriet. Der falsche Künstler, zur falschen Zeit am falschen Ort. Da kannste dann nix machen.
Nicht alles, was auf sozialen Medien funktioniert, funktioniert auch auf der Bühne. Wie sehen Sie das?
Ja, und vieles was, auf der Bühne funktioniert, lässt sich nicht im TV abbilden. Ich weiß noch, als die ersten Poetry-Slams im Fernsehen liefen, das ging gar nicht und zerstörte das gesamte, großartige Konzept! Daher finde ich es besonders interessant, sich Künstler live auf der Bühne anzusehen, rauszugehen, dabei zu sein und Kunst mittendrin, direkt und hautnah zu erleben.
Wenn wir schon bei den sozialen Medien sind, lassen Sie uns über Ihre Zungenbrecher 4.0 sprechen, ein Format, das Sie auf TikTok, Facebook und Instagram präsentieren.
Ich liebe die Sprache, gerade das Wortspiel und hatte die Idee, Zungenbrecher wie „Fischers Fritz“ zu Geschichten zu erweitern. Dieser Idee habe ich mich mit großer Neugier genähert und war letztendlich überrascht, was die deutsche Sprache so an Zungenbrechern bietet. Nach dem ersten Gedicht fing ich Feuer und unterlegte die Zungenbrecher-Geschichten gemeinsam mit einem befreundeten Schweizer Musiker mit Beats. Was entstand, eignete sich optimal für die Aufmerksamkeitsspanne von Social Media.
Der Song vom dicken Dachdecker ging durch die Decke und viral [mit über zwei Millionen Aufrufen allein bei YouTube, Anmerkung der Redaktion], gerade bei sämtlichen Handwerkberufen. Es gab dann viele Nachahmer, die Clips machten und die Zungenbrecher neu interpretierten. Die Clips haben insgesamt unglaublich viel Kreativität freigesetzt und dem Vorurteil des „passiven Konsums“ widersprochen. Statt ein Foto von seiner Kaffeetasse oder seinem Essen, haben Leute Clips mit wirklich hochwertigem Content ins Netz geladen.
Was hat sich für Sie persönlich damit verändert?
Durch diese Plattform erreiche ich ganz andere Menschen. Und ich finde es schon witzig, wenn Zwölfjährige ihren Eltern einen Clip von einem „coolen Typen“ zeigen, der Zungenbrecher rappt und die dann sagen: „Bodo Wartke, den kennen wir schon seit über 25 Jahren.“