40 Stundenkilometer? Klingt nach einer gemütlichen Ausfahrt. Eigentlich. Nun soll ich aber nicht etwa durch die Straßen von Steißlingen tuckern, sondern ein etwa fünf Meter langes Ziel auf der Dynamikfläche bei „Fahren Erleben“ am Ortsausgang anvisieren: Eine Metallplatte, deren einzige Aufgabe es ist, meinen kleinen Seat Mii und mich zum ausbrechen zu bringen. Auf nasser Fahrbahn sollen wir ins Schleudern gebracht werden. Als Trainerin Katja Jordan uns diese dynamische Übung vor ein paar Minuten erklärt hat, klang das noch abstrakt. Irgendwie weit weg. Jetzt merke ich, dass mein rechter Fuß über dem Bremspedal zittert, während ich auf das Startsignal warte.

Dabei hat der Sonntag entspannt begonnen. Katja – auf dem Trainingsgelände von „Fahren Erleben“ duzt man sich – ist es wichtig, dass sich die acht Teilnehmer des Winterfit-Trainings erst einmal bei einer Tasse Kaffee kennenlernen. Erst danach sollen wir in unsere Fahrzeuge steigen und die Hindernisse ansteuern, die sie für uns vorbereitet hat. Schnell stellt sich heraus, dass der SÜDKURIER-Redakteur der Älteste ist. Bei einigen Teilnehmern – sie sind zum Teil aus dem Schwarzwald, vom Hochrhein und aus dem Bodenseekreis angereist – liegt die Führerscheinprüfung erst ein paar Monate zurück.

Mehr als 8000 Todesfälle und Verletzungen

Egal, wir sind alle aus dem gleichen Grund hier: Wir wollen lernen, richtig zu reagieren, wenn es auf rutschiger Fahrbahn gefährlich wird. Wie sinnvoll das ist, zeigt ein Blick auf die Unfallstatistik 2019: Laut Statistischem Bundesamt kam es in Deutschland bei Schnee und Glätte zu 8097 Unfällen, bei denen sich Menschen entweder verletzt haben oder sogar gestorben sind.

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Rennerfahrungen mit den Schumachers

Katja möchte uns auf Risikosituationen vorbereiten. „Ich komme aus dem Rennsport“, erzählt sie während der Vorstellungsrunde. Früher sei sie Kart- und Motorradrennen gefahren. Und wie es sich für eine echte Kerpenerin gehört, kennt die junge Mutter auch die Schumacher-Brüder. „Mit Ralf habe ich als Jugendliche noch zusammen trainiert.“

Bild 1: Mit Wucht auf die Bremse und gegensteuern: Beim Fahrsicherheitstraining lernt unser Redakteur den Endgegner Rüttelplatte kennen
Bild: Veranstalter

Mit Rennsport kann man die ersten Übungen zwar noch nicht vergleichen, aber gerade mir als Kleinwagen-Fahrer macht es Spaß, als wir uns kurz darauf durch Katjas Slalom-Parcours schlängeln. Während wir allmählich das Tempo steigern, setzt Schneegestöber ein. „Ideale Bedingungen für ein Winterfit-Training“, kommt Katjas Kommentar aus dem Funkgerät. Die Kommunikation ist einseitig. Sobald wir uns in unseren Autos befinden, können wir zwar die Funksprüche unserer Trainerin empfangen, aber nicht zurückfunken. Nachfragen oder Ausreden kann man sich sparen – zumindest vorerst.

Vorausschauend im wahrsten Sinne des Wortes

Nach einigen Slalom-Runden parken wir unsere sechs Fahrzeuge hintereinander am Fahrbahnrand. „Was versteht ihr ganz konkret unter vorausschauendem Fahren?“, möchte die Trainerin wissen. Klar, erst einmal einen defensiven Fahrstil. Davon abgesehen muss ich zugeben, dass ich mir schon länger keine Gedanken mehr darüber gemacht habe, welchen Teil der Straße ich während der Fahrt im Blick behalten sollte.

Wie man es richtig macht, zeigt Katja anhand eines einfachen Experiments: Wir sollen eine Flasche, die sie einige Meter entfernt auf dem Asphalt platziert, anvisieren. „Wenn euer Blick nur auf diese Flasche gerichtet ist, seht ihr dahinter das Plakat am Fahrbahn-Ende nicht mehr, oder? Umgekehrt, wenn ihr das Plakat in den Blick nehmt, könnt ihr die Flasche immer noch erkennen.“ Katjas Tipp: Den Blick nicht zu tief gesenkt halten. Das klingt einleuchtend.

Richtig sitzen, dann voll in die Eisen

Genauso wichtig wie das Sichtfeld ist die richtige Sitzposition. Und schnell zeigt sich: Egal, ob wir in einem BMW, Seat oder Volvo Platz genommen haben: Bei fast allen Teilnehmern des Sicherheitstrainings ist die Distanz zwischen Lenkrad und Sitz zu groß. „Wenn ihr das Lenkrad einmal dreht, sollten eure Schulterblätter hinten immer noch Kontakt zum Sitz haben“, erklärt Katja. Nicht nur die Arme: Auch die Beine gilt es anzuwinkeln. Katja empfiehlt zudem, die Kopflehne etwas höher einzustellen. „Im Fall einer Vollbremsung wirst du aus dem Sitz gehoben – dein Genick muss trotzdem geschützt bleiben.“

Vollbremsung Video: Privat

Ein guter Hinweis, denn gleich bei der nächsten Übung geht es darum, auf nasser Fahrbahn abzustoppen. Auch hier steigern wir allmählich das Tempo. „Ihr müsst voll in die Bremsen steigen“, rät Katja nach dem ersten Durchlauf. „Nur keine Scheu. Stampft mit beiden Füßen auf die Pedale – wie ein Kind, das so richtig Wut im Bauch hat.“ Die junge Mutter weiß offensichtlich, wovon sie spricht: Tatsächlich kommt mein Mii bedeutend schneller zum Stehen, als ich Katjas Rat befolge und das Kind in mir wachbremse.

Vorsicht bei der Reifenwahl

Wie gefährlich es sein kann, wenn man im Winter mit abgefahrenen Reifen unterwegs ist, zeigt sich kurz darauf. Nico, der eigentlich in einem topmodernen Renault Talisman unterwegs ist, schlittert deutlich weiter nach vorne als die Insassen der anderen fünf Fahrzeuge. Selbst bei Tempo 40 kommt sein Auto erst später zum Stehen als wir anderen bei Tempo 50.

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Mit Nicos Fahrstil hat das nichts zu tun, eher damit, dass seine Winterreifen schon sechs Jahre alt sind. „Das kann einen enormen Unterschied ausmachen“, sagt Katja. Nicos Vater, der vom Seitenrand aus zuschaut, stimmt zu. Mit einem Augenzwinkern erklärt er, dass er mit dem Reifenwechsel bewusst gewartet habe. Er habe dem Junior vor Augen führen wollen, wie wichtig es ist, mit den passenden Winterreifen unterwegs zu sein. Eine einprägsame Lektion.

Nachdem wir allmählich so etwas wie Routine bei den Vollbremsungen auf nassem Untergrund entwickeln, erhöht Katja die Schwierigkeit. Wie ein DJ am Mischpult oder ein Pilot im Cockpit kann sie in ihrer Hütte am Fahrbahnrand per Knopfdruck die verschiedensten Hindernisse aktivieren. Um zu üben, wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich auf einen Grünstreifen gerät, sorgt Katja bei den nächsten Vollbremsungen dafür, dass jeweils zwei der vier Reifen im Trockenen, die anderen beiden im Nassen zum Stehen gebracht werden müssen. „Nicht verreißen, sondern sanft gegensteuern“, lautet hier die Ansage.

Bild 2: Mit Wucht auf die Bremse und gegensteuern: Beim Fahrsicherheitstraining lernt unser Redakteur den Endgegner Rüttelplatte kennen
Bild: Veranstalter

Danach wird es noch spannender. Zum ersten Mal steigt heute mit Yannick ein Beifahrer in meinen Mii. Der junge Mann soll mich während der Fahrt ablenken, während Katja wie aus dem Nichts links oder rechts Wasserfontänen vor uns in die Höhe schießen lässt. Abbremsen und blitzschnelles Ausweichen: Tatsächlich klappt das sowohl bei mir als auch anschließend bei Yannick deutlich besser als noch vor fünf Minuten, wo jeder von uns ohne Beifahrer auf die Hindernisse reagieren musste.

Endgegner: Rüttelplatte

Nachdem wir anschließend noch ein paar Runden steile Kurven auf glitschiger Fahrbahn geübt haben, sind wir bereit für die Königsdisziplin: Die von Katja angekündigte „dynamische Übung“.

Bild 3: Mit Wucht auf die Bremse und gegensteuern: Beim Fahrsicherheitstraining lernt unser Redakteur den Endgegner Rüttelplatte kennen
Bild: Veranstalter

Und tatsächlich: Als ich auf die Rüttelplatte zufahre, fühlen sich die 40 Stundenkilometer deutlich rasanter an als so manches Überholmanöver auf der Autobahn. Jetzt noch ein paar Meter. Und dann: Uff! Ich halte den Atem an, während sich um mich herum alles dreht. Dass mein Auto so stark ins Schleudern gerät, hätte ich nicht erwartet. Als mein kleiner Mii nach einer gefühlten Ewigkeit zum Stehen kommt, habe ich mich ziemlich genau um 180 Grad gedreht. Das geht besser! „Du musst deutlich schneller und stärker das Lenkrad herumreißen“, ertönt Katjas Stimme aus dem Funkgerät.

„Einfacher gesagt als getan“, denke ich mir. Beim zweiten Mal gelingt mir das Gegenlenken zum Glück besser als bei der ersten Rutschpartie.

Die Rüttelplatte Video: Privat

Und doch, als ich einige Stunden später den Nachhauseweg antrete, bin ich dankbar dafür, dass die Rüttelplatte hinter mir liegt. Auch Anlässe für Vollbremsungen bieten sich an diesem Abend nicht mehr. Zum Glück. In den vergangenen Stunden habe ich auch so schon genug Adrenalin ausgeschüttet.