Dorothea Wehinger hört auf. Zum Samstag, 31. August, werde sie ihr Mandat im Stuttgarter Landtag niederlegen. Darüber informierte Wehinger bei einem Pressegespräch am Donnerstagvormittag. Mittlerweile 71 Jahre alt, führte sie private Gründe für diesen Schritt an. Vor ein paar Jahren habe ihr ein 70-Jähriger einen Meterstab gezeigt – und wenn man 70 Zentimeter für Lebensjahre nehme, werde einem klar, wie viel Leben man schon gelebt hat.

Der runde Geburtstag liegt für Wehinger etwa eineinhalb Jahre zurück. Damals zeigte sie sich voller Tatendrang für die nächsten Jahre. Doch seitdem hat offenbar auch ein Prozess des Umdenkens eingesetzt, wie aus ihren Worten beim Pressetermin deutlich wird: „Zuletzt ist bei mir das Bedürfnis gewachsen, über meine Zeit wieder selber bestimmen zu können.“ Unter anderem sei vor ein paar Wochen das vierte Enkelkind der Wehingers zur Welt gekommen: „Das Aufwachsen meiner Enkel möchte ich miterleben.“ Ihr Schwager Winfried Kretschmann sei in dieser Hinsicht jedenfalls kein Maßstab für sie, sagt sie. Der Ministerpräsident ist dieses Jahr 76 Jahre alt geworden.

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Nun habe sie sich entschlossen, eineinhalb Jahre vor Ablauf der Wahlperiode das Mandat aufzugeben. Nachfolgerin wird Saskia Frank, die bei der Nominierung der Grünen für den Landtagswahlkampf 2021 nur eine Stimme weniger als Wehinger erhielt und am Ende Ersatzkandidatin wurde. Und die 37-jährige Frank will das Mandat auch auf jeden Fall übernehmen, erklärt sie.

Der Wahlsieg hat Wehinger selbst überrascht

Wie blickt Wehinger nun kurz vor dem Abschied auf ihre achteinhalb Jahre im Landtag zurück? Zunächst einmal sei sie aus ihrer Sicht völlig überraschend 2016 ins Landesparlament gekommen. Der eigentlich als Grünen-Kandidat nominierte Udo Engelhardt zog damals aus gesundheitlichen Gründen zurück, Wehinger wurde Ende 2015 von den Grünen als neue Kandidatin nominiert. „Und im Wahlkampf habe ich dann gemerkt, dass mir das total viel Spaß macht“, blickt Wehinger heute zurück.

„Es wird auf jeden Fall sehr spannend, was nun auf mich zukommt. Das wird sehr intensiv anders als in Kreistag und Gemeinderat.“ Saskia ...
„Es wird auf jeden Fall sehr spannend, was nun auf mich zukommt. Das wird sehr intensiv anders als in Kreistag und Gemeinderat.“ Saskia Frank, die Dorothea Wehingers Landtagsmandat übernehmen wird | Bild: Frank Müller

Nach der Wahl habe für sie vor allem viel Arbeit im Wahlkreis angestanden. „Vertrauen in grüne Politik erzeugen, das geht nur, wenn man nah bei den Menschen ist“, sagt sie. Daher habe sie von Hohenfels bis Tengen den Kontakt zu den verschiedensten Gruppen gesucht. In ihrer Zählung kommt sie unter anderem auf 62 Besuche in Schulen, 28 Gespräche in Unternehmen und 53 Besuche bei Bürgermeistern im Wahlkreis in ihren achteinhalb Jahren Amtszeit. Und sie zählt einige runde Tische und andere regelmäßige Treffen auf, etwa zu Sozialpolitik, Bahnverkehr und Landwirtschaft.

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Als Grünen-Politikerin von Landwirten ausgebuht und ausgepfiffen zu werden, wie es bei mehreren Protesten von Landwirten Anfang des Jahres passierte, sei für sie dabei schlimm gewesen, sagt Wehinger, die auf einem Bauernhof in Laiz bei Sigmaringen aufgewachsen ist: „Das fand ich nicht angemessen.“ Ihre Einschätzung lautet, dass auch politische Kräfte von ganz rechts dahinterstecken.

Überhaupt nimmt sie eine Verrohung in der Sprache wahr, die mit der Corona-Pandemie angefangen habe. Und im Landtag sei es haarsträubend, wie Politiker der AfD sprechen und Abgeordnete der Grünen attackieren: „Es ist schlimm, dass manchen der Anstand fehlt“, sagt sie, betont aber auch, dass dieses Phänomen oder auch die Ergebnisse der Europa- und Kommunalwahl Anfang Juni nicht mit ihrem Entschluss zusammenhängen, das Landtagsmandat aufzugeben. Auch für den Kreistag hat sie bei der Kommunalwahl nicht mehr kandidiert, sie trete nun den Rückzug aus dem politischen Geschäft an, so Wehinger.

Sozialpolitik ist ihr Schwerpunkt

Politische Themen gäbe es noch viele aufzuzählen, den Bahnverkehr mit der Gäubahn und der geplanten Singener Kurve, die Güterzüge um die Stadt herum in Richtung Schweiz leiten soll, gehören dazu. Oder die Schwerpunkte auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie auf Gewalt gegen Frauen, die sie als frauenpolitische Sprecherin gelegt habe. Und natürlich gibt es da noch Wehingers Leidenschaft für Natur- und Umweltschutz. Schon immer sei sie im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), zeitweise sei sie auch dessen Vorsitzende in Steißlingen gewesen. Schon seit deren Gründung war Wehinger bei den Grünen aktiv.

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Politische Themen hat auch Saskia Frank, die zum 1. September in den Landtag einrücken wird. „Ich freue mich schon darauf, den Neubau des Kreiskrankenhauses auch auf Landesebene zu begleiten“, sagt sie beispielsweise. Das Thema ist ihr aus dem Kreistag bekannt, dem sie bereits angehört und für den sie wiedergewählt wurde. Als zweiten Schwerpunkt nennt sie die Verkehrspolitik. Aus dem Gemeinderat von Rielasingen-Worblingen, für den sie ebenfalls wiedergewählt wurde, kennt sie bereits das Thema von stillgelegten Bahnstrecken, die reaktiviert werden sollen. Und natürlich wolle sie ein Mandat im Landtag aus dem Wahlkreis Singen weiter für die Grünen halten – auch wenn das eine Herausforderung werde, wie Frank zugibt.