Wenn Kurt Kirchmann aktuell zu einem Wildtier in der Innenstadt gerufen wird, muss er sich erstmal Genehmigungen einholen. Grundstückseigentümer, Stadt und Landratsamt müssen bei jedem Fall erneut zustimmen, damit er in befriedetem Gebiet tätig werden darf – am besten schriftlich. Sonst steht er mit einem Fuß im Gefängnis, sagt der Kreisjägermeister aus Mühlingen, denn Jagd und Waffen sind im Stadtgebiet nicht erlaubt. Doch im Zweifelsfall dauere es zu lange, diese Bürokratie zu bewältigen. "Das Tier wartet ja nicht auf mich", sagt Kirchmann. Mit einer Fortbildung zum Stadtjäger will er ein Signal setzen: An seine Jägerkollegen, damit er nicht der einzige im Landkreis bleibt, und an die Politik, die bürokratische Barrieren abbauen soll.

Mit dem Bild eines Fuchses zeigt Kurt Kirchmann die Notwendigkeit eines Stadtjägers. Das Tier habe sich neulich in einen Garten bei Winterspüren verirrt, Anwohner meldeten es dem Ordnungsamt. Der Fuchs sieht ungesund aus, das Fell ist dunkel und verstrubbelt. Nachdem Kirchmann davon erfuhr, fand er vor Ort ein krankes Tier und erlöste es von seinem Leiden. Die Untersuchung in Freiburg ergab: Der Fuchs hatte Räude und Staupe, womit sich auch Hunde anstecken können. Ein Fuchsbandwurm wäre auch für Menschen gefährlich. Aber: "Normalerweise geht Jäger ein befriedeter Bezirk nichts an", sagt Kirchmann. Problemlos arbeiten und schießen dürfen sie nur in ihrem jeweiligen Revier.
Theoretisch kann jeder einen Marder fangen. Aber nur theoretisch
Theoretisch dürfe jeder Grundstücksbesitzer beispielsweise einen Marder fangen. Es braucht laut Kirchmann aber eine spezielle Falle, eine Genehmigung der Kreisjagdbehörde und den Besuch eines Fallenjagdlehrgangs. Außerdem müssten Fallen zweimal täglich geprüft werden. Betroffene würden nicht einmal die Arbeit scheuen, sondern es fehlt ihnen das Fachwissen: Was machen, wenn ein Marder die Kabel der Photovoltaikanlage anfrisst? Oder wenn ein Fuchs im heimischen Garten seinen Bau einrichtet? Stadtjäger wie Kurt Kirchmann wissen Antwort. Deshalb ist Kirchmann für die Stadt Stockach der erste Ansprechpartner, wie das Ordnungsamt bestätigt.
Besonders am Wochenende ist es ein Einsatz im Graubereich
Für den Einsatz speziell im Stadtgebiet hat der Kreisjägermeister nun eine Fortbildung des Jagd-Natur-Wildtierschützerverbands Baden-Württemberg besucht. Der Titel, den Kirchmann damit ab September tragen darf, ändert aber nichts an der Bürokratie für jeden Auftrag außerhalb des Jagdreviers. Deshalb haben die Kurs-Teilnehmer laut Kirchmann festgehalten, in welchen Situationen sie in einen Konflikt mit dem Jagd- oder Waffenrecht geraten. "Manchmal bewege ich mich im Graubereich", sagt Kirchmann. Kritisch werde es besonders am Wochenende, wenn Mitarbeiter von Gemeinde oder Landratsamt nicht erreichbar sind. Denn eine dauerhafte Genehmigung, im befriedeten Gebiet eine Waffe tragen zu dürfen, sei bisher nicht möglich.
Anderswo gibt es bereits Stadtjäger
Weil sich immer mehr Wildtiere in Städte verirren, hoffen Stadtjäger auf eine Erleichterung der Gesetze. Zuständig sind das Landesministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) sowie das Landeministerium für Inneres, Digitales und Migration. Erfolgsbeispiele kennt der langjährige Jäger Kirchmann etwa aus München. Dort würde ein Stadtjäger in Zusammenarbeit mit Behörden dauerhafte Genehmigungen bei sich tragen. Das Landratsamt Konstanz erklärt auf Nachfrage, dass das MLR bereits einen Leitfaden angekündigt hat. "Bis dieser Leitfaden erstellt und verkündet ist, sollte der Jäger gegebenenfalls mit der Polizei das weitere Vorgehen abstimmen, um jegliche Gefährdung Dritter ausschließen zu können", teilt der Pressesprecher mit. Es sei denkbar, dass ein Jäger mit Stadtjäger-Fortbildung künftig besondere Rechte erhalte.
Kreisjägermeister hat eine Bitte an Anwohner
In der Zwischenzeit würden weiter Einzelfallentscheidungen getroffen. Das bestätigt Carsten Tilsner vom Ordnungsamt Stockach. "Wichtig ist, dass es auch im Eilfall möglich ist, dass Kurt Kirchmann, ohne uns zu fragen, tätig werden kann." Die genaue Umsetzung sei ein rechtliches Problem. Dabei können laut Kirchmann auch Anwohner etwas dazu beitragen, dass er sich nicht so häufig im Graubereich bewegen muss: "Bitte keine Wildtiere füttern!" Das sei falsch verstandene Tierliebe. Und wer seine Haustiere außerhalb füttere, solle den Fressnapf nachts reinholen. "Sonst stehen bald jede Nacht Wildtiere im Garten und werden zum Problem."
Ausbildung
Der Jagd-Natur-Wildtierschützerverband Baden-Württemberg bietet seit 2017 eine Fortbildung zum Stadtjäger an. Dabei geht es laut Verband um Themen wie Kenntnisse der in Gemeinden vorkommenden Tiere sowie Problemwilds, Beratung bei Fragen und Problemen, Ausübung der Jagd in befriedetem Gebiet sowie Unterstützung von Polizei und Feuerwehr nach Wildunfällen. Die aktuelle Fortbildung begann im März und umfasst acht Module. Nach der Abschlussprüfung im September ist Kurt Kirchmann offiziell Stadtjäger. (isa)