Eine Verhandlung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gegen ein 55-Jährige endete mit einem Freispruch und einer ernsten Belehrung. Die Frau aus dem Landkreis Sigmaringen hatte im August 2019 auf der Kreisstraße 6180 von Stockach in Richtung Zoznegg beim Überholen eines Sattelzugs einen Unfall verursacht.
Was passiert ist
Die Anklage orientierte sich an Paragraf 315c des Strafgesetzbuchs (siehe Kasten). Die 55-Jährige soll den Sattelzug in einer langen Kurve mit einem schwach motorisierten Auto an einer Steigung und ohne ausreichende Sicht grob verkehrswidrig und rücksichtlos überholt haben. Ein entgegenkommendes Auto habe auf der Höhe der Besetze stark bremsen und ausweichen müssen. Die Angeklagte habe beim raschen Wiedereinfädeln mit ihrem Wagen den Laster am Führerhaus gestreift. In der Folge sei ihr Auto ins Schleudern geraten und habe sich überschlagen.
Als Zeugen waren eine Polizistin, die den Unfall aufgenommen hat, und der andere Autofahrer anwesend. Auch der Lastwagenfahrer war geladen, konnte jedoch erst zu einem zweiten Verhandlungstermin erscheinen, da der Brief an eine alte Adresse gegangen war.
Was die Angeklagte sagte
Die 55-Jährige Angeklagte schilderte, dass sie an dem Tag von Stockach nach Mainwangen unterwegs gewesen sei. Sie sei dann einem Laster hinterher gefahren. Nach einem Wäldchen kurz nach Stockach habe sie sich vergewissert, dass für das Überholen frei sei, indem sie ein bisschen nach links geschwenkt sei. Dabei habe sie festgestellt, dass kein Gegenverkehr kam. Als sie dann etwa drei Viertel des Lasters überholt gehabt habe, habe sie plötzlich ein Auto auf der Gegenspur gesehen.
Das sei für sie ein Schreckmoment gewesen. Sie habe nach rechts gezogen und den Laster gestreift. „Zwei Wimpernschläge“ später sei dann der Überschlag passiert, beschrieb sie. Infolgedessen erlitt sie einen Schock und ein Schleudertrauma, wie sie auf Nachfrage von Richterin Julia Elsner sagte.
Anderer Fahrer reagiert schnell
Der Zeuge, der mit seinem Auto aus Richtung Zoznegg kam, erzählte, dass er zunächst in etwa 300 Meter Entfernung den Lastwagen wahrgenommen habe. Als er dann etwa 70 Meter vor ihm war, habe er das Auto der Angeklagten gesehen. Er habe stark gebremst und sei ausgewichen. Alle drei Fahrzeuge seien kurz auf einer Höhe gewesen. Die Angeklagte entschuldigte sich bei ihm. „Sowas darf nicht passieren, aber es passiert halt“, sagte er zu ihr.
Polizistin findet Überholen dort gefährlich
Die Polizeibeamtin fasste in ihrer Aussage zusammen, dass am Unfallort der Rettungswagen bereits dagewesen sei und die Angeklagte versorgt habe. Die Frau habe unter Schock gestanden und nichts sagen können. Bei späteren Versuchen, sie zu vernehmen, habe die Angeklagte auf die Verteidigerin verwiesen. So habe sie vor Ort den Zeugen aus dem entgegenkommenden Auto und den Lastwagenfahrer befragt. Außerdem betonte sie, dass es gefährlich sei, in einer längeren Kurve zu überholen. Sie selbst fahre täglich die Strecke und überhole nicht mal einen Traktor.
Nach den Zeugenaussagen schlug Richterin Julia Elsner vor, das Verfahren nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung gegen eine Geldauflage einzustellen. „Es stellt sich hier die Frage der Rücksichtslosigkeit“, sagte sie. Nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten lehnte der Vertreter der Staatsanwaltschaft dies aber ab.
Lasterfahrer erzählt es anders
Der 49-jährige Lastwagenfahrer, der die Frau aus dem Unfallauto befreit hatte, schilderte die Ereignisse in seiner Aussage bei einem zweiten Termin teilweise anders: Er sprach davon, dass das entgegenkommende Auto rund 50 Meter vor dem Laster zum Stehen gekommen sei.
Forderung nach Geldstrafe
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sah es als erwiesen an, dass die Frau grob verkehrswidrig und rücksichtlich an einer unübersichtlichen Stelle überholt hatte. Er forderte in seinem Plädoyer eine Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 30 Euro (2250 Euro).
Verteidigung will Freispruch
Die Verteidigerin widersprach und sagte, dass ihre Mandantin nicht rücksichtslos gefahren sei. Sie habe vorbildlich geschaut, ob Gegenverkehr komme und sei seit Jahrzehnten unfallfrei. Die Anwältin forderte daher einen Freispruch. Die Angeklagte hatte das letzte Wort: „Ich würde nie ein Risiko eingehen oder jemand anderen gefährden.“
Warum die Richterin so entschied
Richterin Julia Elser sah es auch so: Es war keine Straftat nach Paragraf 315c – aber eine Ordnungswidrigkeit wegen des falschen Überholens, die jetzt nach mehr als drei Monaten verjährt ist. Der Vorfall sei grob verkehrswidrig gewesen, aber nicht rücksichtlos. Es sei eine falsche Beurteilung der Situation gewesen. Die 55-Jährige erhält ihren Führerschein zurück.
Die Richterin gab ihr aber einige Belehrungen mit auf den Weg: „Sie hätten erkennen können und müssen, dass es nicht zum Überholen reicht.“ Wenn der andere Fahrer nicht so geistesgegenwärtig gewesen wäre, hätte es eine Frontalkollision gegeben, so Elsner. Sie glaubte dem anderen Autofahrer mehr als dem Lasterfahrer.