Ein Fall von häuslicher Gewalt, der sogar das Jugendamt auf den Plan rief, wurde jüngst vor dem Stockacher Amtsgericht verhandelt. Eine 41-jährige Frau und ihr 51-jähriger Lebensgefährte sollen gegenüber ihrer Tochter handgreiflich geworden sein, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Doch im Laufe der Verhandlung kamen Richterin Melina Michalski starke Zweifel an der Version der Geschichte, die die inzwischen 18-Jährige der Polizei präsentiert hatte. So kam es zu einer überraschenden Wendung im Prozess, die nicht zuletzt mit einer Intervention des Jugendamts zu tun hatte.
Doch von Anfang an: Die Staatsanwaltschaft legte der 41 Jahre alten Angeklagten zur Last, im Januar 2024 einen Gegenstand nach ihrer Tochter geworfen und sie damit an der Wange leicht verletzt zu haben. Zudem soll die Frau ihre Tochter so fest an den Handknöcheln gepackt haben, dass diese dadurch leicht verletzt worden sei. Auch der 51-jährige Stiefvater der jungen Frau soll ihr gegenüber handgreiflich geworden sein. Er soll sie im Streit auf ein Sofa gedrückt haben, wovon sie eine Rötung am Rücken davongetragen habe.
Kopfschütteln bei den Angeklagten
Einen genauen Zeitpunkt, zu dem sich die Ereignisse ereignet haben sollen, konnte die Staatsanwaltschaft nicht nennen, dennoch sah sie in allen Fällen den Tatbestand der Körperverletzung gegeben. Kopfschüttelnd hörten die beiden Angeklagten den Ausführungen des Staatsanwalts zu. Bei der nachfolgenden Befragung durch Richterin Melina Michalski stritten sie die Vorwürfe vehement ab. „Das ist alles erstunken und erlogen. Ich würde niemals ein Kind schlagen“, erklärte die Angeklagte.
Wie es zu den Anschuldigungen ihrer Tochter gekommen sei, könne sie sich nicht erklären, machte sie auf Nachfrage der Richterin deutlich. Es habe nie auch nur ein vergleichbares Ereignis gegeben, betonte sie. Auch ihr Lebensgefährte stritt ab, jemals gegenüber der jungen Frau handgreiflich geworden zu sein. „Der Vorwurf stimmt überhaupt nicht“, betonte er.
Konflikte gab es in der Vergangenheit
Zwar habe es durchaus immer wieder Konflikte um die Ordnung und Sauberkeit des Zimmers der Tochter gegeben, verschlechtert habe sich die Beziehung aber erst, seit die heute 18-Jährige einen Freund hatte. „Er war okay, aber sie hat dadurch ihre Ausbildung vernachlässigt“, so die Angeklagte. Doch abgesehen von verbalen Auseinandersetzungen, in denen auch die Tochter hart gegen ihre Mutter ausgeteilt haben soll, sei nichts passiert. Überwiegend sei man gut miteinander ausgekommen.
„Wir hatten eigentlich immer ein sehr gutes Verhältnis“, betonte auch der 51-jährige Angeklagte. Um dies zu belegen, hatten die beiden liebevoll gestaltete Weihnachtsgeschenke dabei, die sie kurze Zeit vor den Vorwürfen von ihrer Tochter erhalten hatten. „Warum sollte sie uns so etwas schenken, wenn wir so ein schlechtes Verhältnis hatten?“, fragten die beiden.
Jugendamt schaltet sich ein
Die Anschuldigungen der Tochter hatten noch mehr Konsequenzen als den Prozess vor dem Amtsgericht: Das Jugendamt schaltete sich plötzlich ein, um sich nach dem Wohlergehen des dreijährigen gemeinsamen Sohnes des Paares zu erkundigen. Eine Untersuchung durch den Amtsarzt habe allerdings ergeben, dass „alles top ist“, erklärte die 41-Jährige.
Zur weiteren Klärung des Sachverhalts war vor Gericht auch die 18-jährige Tochter selbst als Zeugin geladen. Die Richterin wies die junge Frau darauf hin, dass sie die Aussage gegen ihre Mutter aufgrund des nahen Verwandtschaftsverhältnisses verweigern könne. Dennoch schien sie verwundert darüber, dass die Zeugin von diesem Recht Gebrauch machen wollte, hatte sie doch bei der Polizei gegen die eigene Mutter ausgesagt.
Zeugin will nicht mehr gegen Mutter aussagen
Richterin Michalski beschränkte sich also darauf, die Zeugin zur mutmaßlichen Gewalttätigkeit des Stiefvaters zu befragen. Hier wurde es kurios, denn die Zeugin und mutmaßliche Geschädigte konnte sich weder an den genauen Zeitpunkt des Vorfalls, noch an den Grund für den Streit erinnern. „Ich kann schon verstehen, dass man sich nicht im Detail an jeden Streit erinnert, aber wenn es zu Handgreiflichkeiten kommt, dann müsste doch der Grund in Erinnerung bleiben“, so die Richterin. „Wahrscheinlich war es nur wieder irgendeine Kleinigkeit“, erwiderte die Zeugin.
Bei der Frage, wie sich das Verhältnis zu den Eltern so schnell verschlechtert haben kann, wurde die Zeugin sichtlich nervös. Sie begann zu weinen, als ihr die Weihnachtsgeschenke, die sie ihren Eltern kurz vor dem mutmaßlichen Tatzeitraum gemacht hatte, gezeigt wurden.
Richterin appelliert an Familienzusammenhalt
Für Richterin Melina Michalski war dies der Zeitpunkt für eine ernste Ermahnung gegenüber der Zeugin. „Falls Sie mit Ihren Anschuldigungen über das Ziel hinausgeschossen sind, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, das gerade zu rücken. Insbesondere gegenüber dem Jugendamt, oder halten Sie es für richtig, dass Ihr Bruder gegebenenfalls aus der Familie herausgenommen wird?“, fragte Michalski.
Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft stellte die Richterin das Verfahren ein. „Ein Freispruch wäre schwierig, weil die Staatsanwaltschaft dann gezwungen wäre, ein Verfahren wegen Falschaussage gegen die Zeugin zu eröffnen. Aus meiner Sicht ist die Einstellung des Verfahrens der einzig gangbare Weg“, erklärte sie in der Hoffnung, dass der Familienfrieden wiederhergestellt werden könnte. „Es wäre schön, wenn Sie sich nachher kurz zusammenstellen und miteinander reden, um diese Familienstreitigkeit aus der Welt zu schaffen“, so Michalski.