Es sind Szenen, wie aus einem Film, die vor dem inneren Auge entstehen, als die Staatsanwältin die Anklage im Prozess gegen einen 25-jährigen Mann verliest: An einem Tag im Sommer 2023 soll er zu einer wahren „Amokfahrt“, wie sie es vor dem Stockacher Amtsgericht formuliert, gestartet sein.

Am Abend des 20. Juli soll der Mann, mit 1,26 Promille Alkohol im Blut, zunächst von Radolfzell aus in Richtung Steißlingen gefahren sein und an einem Kreisverkehr an der K6164 einen Audi gerammt haben. Der Fahrer und seine Beifahrerin seien dabei verletzt worden und am Audi sei ein Schaden in Höhe von rund 30.000 Euro entstanden.

Angeklagter tritt erneut auf das Gas

Laut den Ausführungen der Staatsanwältin habe sich der Angeklagte davon jedoch nicht weiter beirren lassen. Anstatt an der Unfallstelle zu bleiben, habe er die Fahrt mit seinem Mercedes fortgesetzt und sei über die Autobahn 98 zum Parkplatz Nellenburg gefahren. Dort habe er einen Bordstein touchiert, bevor er in die Grünanlage gefahren sei.

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Gegen 23 Uhr soll ihn dort ein Zeuge mit einer Schreckschusswaffe hantieren sehen haben. Als dieser sich entfernte, um die Polizei zu rufen, soll der Angeklagte erneut in sein beschädigtes Auto gestiegen und in Richtung Orsingen-Nenzingen weitergefahren sein. Erst dort endete die wilde Fahrt nach einer Kollision mit einer Betonmauer in der Schwarzwaldstraße.

Grund war eine Nachricht der Freundin

„Sie haben durch diese Tat Leib und Leben anderer Menschen bedroht und einen nicht unerheblichen Sachschaden angerichtet. Dadurch haben Sie sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen“, so die Staatsanwältin. Sie forderte vor diesem Hintergrund eine Geldstrafe von 145 Tagessätzen zu 55 Euro, also knapp 8000 Euro sowie eine Führerscheinsperre von einem Jahr und drei Monaten.

Der Angeklagte zeigte sich einsichtig und in fast allen Punkten geständig. Einzig die Fahrerflucht nach dem Unfall im Kreisverkehr und den Umgang mit der Schreckschusspistole wollte er so nicht stehen lassen. Im Kreisverkehr sei er ausgestiegen und habe den Fahrer des Audi gefragt, ob mit ihm alles in Ordnung sei. „Er hat dann gesagt ‚ja‘, aber auf den Schaden am Auto hingewiesen. Da hat es bei mir Schalter umgelegt und ich bin wieder eingestiegen und losgefahren“, erklärt der Angeklagte.

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Schilderungen des Angeklagten weichen ab

Kurze Zeit nach den Vorfällen habe er sich zudem bei seinem Unfallgegner gemeldet, um sich nochmals nach dessen Zustand zu erkundigen und sich zu entschuldigen. An den Vorfall auf dem Autobahnparkplatz will er sich nicht mehr erinnern können. Aber: „Ich hatte zu diesem Zeitpunkt gar keine Schreckschusswaffe mehr.“ Zwar habe er einmal eine solche besessen, aber „die Pistole ist einige Zeit vor diesem Tag schon kaputtgegangen und ich hatte sie schon entsorgt“, erklärte der 25-Jährige. Er habe nur noch zwei Magazine im Auto gehabt und könne sich nur erklären, dass er diese, wie eine Pistole gehalten habe und der Zeuge sich davon täuschen lassen habe.

Woran er sich allerdings noch erinnern könne, ist der Grund für die Alkoholfahrt. „Normalerweise trinke ich nicht viel. Doch ich hatte einen richtig schlechten Tag, nachdem mir meine Freundin eine Nachricht geschrieben hatte, die mich sehr getroffen hat.“ Daraufhin sei er mit Alkohol im Gepäck losgefahren und habe zwischen Radolfzell und Steißlingen am Straßenrand gehalten und getrunken. Eigentlich habe er die Nacht im Wald verbringen wollen, dann aber doch beschlossen, nach Hause zurückzufahren.

„Sie hatten viel Glück, dass niemand zu Tode gekommen ist“

„Es hatte seinen Grund, warum ich das gemacht habe, auch wenn mir klar ist, dass das die Tat nicht rechtfertigt. Ich bin selbst darüber entsetzt“, erklärte der Angeklagte. Richterin Rebecca Jenike nahm diese Begründung zum Anlass, dem Angeklagten die Leviten zu lesen: „Wenn jemand eine schlechte Nachricht bekommt und deswegen Alkohol trinkt, ist das seine Sache. Aber warum haben Sie sich dann ins Auto gesetzt? Das kann ich nicht verstehen. Sie hatten viel Glück, dass niemand zu Tode gekommen ist, oder schwer verletzt wurde.“

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Als erster Zeuge wurde der Fahrer des Audi, gehört. Der 56-Jährige habe den Mercedes des Angeklagten überhaupt nicht kommen sehen. Plötzlich hätten er und seine Frau einen starken Aufprall gespürt und die Seitenairbags seien aufgegangen.

Er sei kurz ausgestiegen, um sich ein Bild von der Situation gegangen, berichtet er, doch als das Auto einen Notruf abgesetzt hat, sei er wieder eingestiegen, um mit der Leitstelle zu sprechen. „Als der Anruf beendet war, war das andere Fahrzeug verschwunden“, so die Schilderung des Zeugen. Ob der Angeklagte ausgestiegen sei und mit ihm gesprochen habe, daran könne er sich nicht erinnern.

„Es war zu hundert Prozent eine Pistole“

Als zweiter Zeuge war der Mann geladen, der den Angeklagten auf dem Autobahnparkplatz mit der Schreckschusspistole gesehen haben soll. „Hätten es auch zwei Magazine sein können, die der Angeklagte gehalten hat, wie eine Waffe?“, wollte die Richterin wissen. „Es war zu hundert Prozent eine Pistole, da bin ich mir sicher. Ich hatte selbst mal so eine“, erklärte der Zeuge.

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Gefunden wurde die Waffe beim Angeklagten indes nicht. Lediglich die zwei Magazine konnten Polizeibeamte später im Auto sicherstellen. Bei der Untersuchung des Mercedes wurden zudem noch Beschädigungen und Reste von Erde im Dachbereich gefunden. Laut den Protokollen der Ermittler wäre es daher möglich, dass sich der Wagen zu irgendeinem Zeitpunkt auch noch überschlagen hat, auch wenn ein entsprechender Unfall nicht aktenkundig ist.

Der Rechtsanwalt des Angeklagten plädierte dafür, die Geständigkeit und die Entschuldigung des Angeklagten bei den Verletzten als mildernde Umstände einzubeziehen und die Tagessatzhöhe auf 40 Euro herunterzusetzen. Richterin Rebecca Jenike folgte in ihrem Urteil in allen Punkten der Staatsanwaltschaft, lediglich die Tagessatzhöhe setzte sie auf 50 statt 55 Euro fest, womit sich die Strafe auf 7250 Euro sowie eine Führerscheinsperre von einem Jahr und drei Monaten beläuft.