In der Dr. Erich-Fischer-Schule des Pestalozzi Kinder- und Jugenddorfs Wahlwies findet eine Woche lang kein normaler Unterricht statt. Dafür gibt es einen guten Grund: das Projekt „Schule als Stadt“. Schulleiterin Yvonne Nill brachte diese Idee aus ihrer vorherigen Schule mit. Fünf Tage lang werden aus Schülern und Lehrern Arbeiter und Angestellte in 14 Betrieben.

Sie sind täglich für eine 75-Minuten-Schicht im Einsatz und haben dann ebenso lange Zeit, um in der Stadt ihre Freizeit zu genießen und ihr verdientes Geld auszugeben. Dabei lernen die sechs- bis 16-jährigen Schüler ganz viel Neues.

Der Startschuss für die Idee fiel bereits im Mai, nachdem das Lehrerkollegium am pädagogischen Tag die frühere Wirkungsstätte der Schulleiterin besucht hatte. Dort verwandelt sich die Schule regelmäßig in eine Stadt. Yvonne Nill erzählt: „Wir haben beschlossen, so etwas hier auch zu probieren und uns Gedanken gemacht, was sich bei uns umsetzen lässt.“ Am zweiten pädagogischen Tag des Schuljahres wurde das Vorhaben konkretisiert.

Diese Aufgaben übernehmen die Schüler

Schnell war klar, dass die kleine Stadt eine Bank und ein Speisenangebot braucht. „Dann haben wir überlegt, wo die Schüler länger verweilen können, damit sie nicht ausschließlich konsumieren“, Nill. Die Schulleiterin zählt auf: „Um die freie Zeit sinnvoll gestalten und nutzen zu können, gibt es zum Beispiel eine Druckerei, in der Taschen, Rucksäcke, Geschenkpapier und Postkarten bedruckt werden können, eine Wellness-Oase und eine Talentschmiede.“ Dort variiert das Angebot täglich: Es geht um Zauberei, Einrad fahren, Musikinstrumente, Bewegungsparcours, Kinderschminken und Mitmachtheater.

Das Ortsschild an der Eingangstür zeigt es deutlich: Hier beginnt die Stadt Fischingen.
Das Ortsschild an der Eingangstür zeigt es deutlich: Hier beginnt die Stadt Fischingen. | Bild: Claudia Ladwig

In der Vorbereitungswoche stellten die Schüler Plätzchen für die Bäckerei her, erstellten Postkarten, Briefmarken und Wundertüten für die Post und gestalteten Gestecke für den Weihnachtsmarkt. In der Werkstatt wurden Tannenbäume und Engel aus Holz hergestellt. Für die Bank wurden Spielgeld-Scheine markiert, damit niemand fremdes Geld einschleusen kann.

Bei der Eröffnungsfeier wurde das Ortsschild „Fischingen“ an der Außentür angebracht, ein rotes Band durchgeschnitten – und alle Anwesenden verwandelten sich in Stadtbürger. Doch wie funktioniert seither das Ganze?

Es gibt auch eine eigene Zeitung in der Stadt

Die Hälfte der Schüler arbeitet, während die anderen die vielfältigen Angebote nutzen und ihr Geld beispielsweise im Bistro der älteren Schüler im Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf (VAB), beim Floh- und Weihnachtsmarkt, am Waffelstand oder für Freizeit-Aktivitäten ausgeben können. Nach der Pause werden die Rollen getauscht. In jeder Schicht kann man maximal fünf Fischinger-Euro verdienen. Nach Schichtende erhalten die Arbeitnehmer eine Gehaltsabrechnung. Mit dieser gehen sie zur Bank und holen ihr Geld ab.

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Besondere Aktionen werden am Infostand durchgesagt und auf Plakaten an den Stellwänden veröffentlicht. Diese Aufgabe übernimmt das Redaktionsteam der Tageszeitung aus Schülern der dritten bis sechsten Klasse. Sie sind auch mit Handy und Diktiergerät unterwegs, um Leute zu interviewen. Die kleine Zeitung erscheint brandaktuell am Ende des Schultags.

Beim Schreiben hilft Lehrerin Martina Rimmele-Vogel. Sie ist erstaunt, wie gut die Woche verläuft: „Es ist absolut fantastisch. Ich bin überzeugt, dass man das künftig jedes Jahr machen kann. Es gibt wenig Konflikte und eine ganz positive Stimmung im Haus.“

Es drohen sogar Gehaltskürzungen

An drei Tagen sind die Eltern und Mitarbeiter der Kinderdorf-Verwaltung eingeladen. Sie können in der Bank ihr echtes Geld im Verhältnis zwei zu eins in Fischinger Geld wechseln und damit überall bezahlen. Wenn man etwas Erfahrung mit dem Projekt habe, lade man vielleicht im nächsten Jahr auch die Öffentlichkeit ein, kündigt Martina Rimmele-Vogel an.

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Das Rektorat verkörpert die Stadtverwaltung mit Arbeitsamt, Fundbüro und Jugendamt und stellt auch die Polizei. Yvonne Nill erklärt, warum das Arbeitsamt so wichtig ist: Mitarbeitende, die nicht gut arbeiten oder sich nicht bewähren, können entlassen werden. Oder ihr Einkommen wird gekürzt. Darüber entscheidet der Betriebsleiter – ein Lehrer.

Sie erläutert: „Bei Bedarf kann man sich in einen anderen Betrieb vermitteln lassen. Und wer mehr Geld verdienen möchte, kann Verwaltungsaufgaben übernehmen wie Stifte sortieren und spitzen oder Briefpapier für die Post gestalten.“ Beliebt sei die Arbeit bei der Stadtreinigung. „Da werden die Aushilfsarbeiter durch die Stadt geschickt, um zu fegen.“

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Wie fällt das Zwischenfazit aus?

Ihr Fazit zur Halbzeit: „Es läuft super. Das Ganze ist ja komplett neu für die Kollegen. Ich bin sehr begeistert, wie gut die Schüler mit diesem offenen Angebot zurechtkommen.“ Es sei eine Art Rollenspiel, das inhaltlich sehr viele Lernfelder biete. So würden unterschiedliche Arbeitstugenden ebenso eingeübt wie der Umgang mit Geld und das Verständnis, dass man für sein Geld arbeiten muss.

Schüler lernen, wie es ist, wenn man arbeitet

Odilia, 16, arbeitet im Bistro. Ihr gefällt die Abwechslung vom Schulalltag. „Es macht Spaß, die Leute zu bedienen und Crêpes zu backen. Man sieht, wie es ist, wenn man arbeitet.“ Der 14-jährige Esad findet es anstrengend, zu kassieren, weil er dabei gut aufpassen muss, doch auch ihm gefällt das Projekt. Konstantin, 10, sitzt am Bankschalter, zahlt Geld aus, wechselt Echt- zu Spielgeld und sagt: „Das ist für eine Woche ein abenteuerliches Leben wie ein Erwachsener.“

Auch Lukas, 13, sitzt mal am Schalter, mal am Geldautomaten. „Wir müssen den Gehaltszettel lochen, wenn das Geld ausbezahlt wurde, als Zeichen, dass er entwertet ist. Am Ende des Tages zählen wir das Geld, denn jeder Betrieb bekommt gleich viel Wechselgeld.“ Der neunjährige Jamain vergibt in der Wellness-Oase Termine, macht Handmassagen und Fußbäder oder übernimmt die Kasse. Er erzählt: „Ich bin flexibel, mir gefällt alles.“

Zum Finale steigt in der Stadthalle, eigentlich die Aula der Schule, eine große Abschlussveranstaltung mit Aufführungen aus der Talentschmiede.