Am vierten und letzten Verhandlungstag vor der Urteilsverkündung im Fall Sabrina P. ging es vor allem um drei Fragen: Stimmen die Schilderungen des Angeklagten mit den Verletzungen an der Leiche überein? Ist der Angeklagte Marcel K. überhaupt schuldfähig? Und falls ja, wegen heimtückischen Mordes oder Totschlags?

Beantworten sollten diese Fragen, wie schon im ersten Prozess, der psychiatrische Gutachter Jürgen Eckardt vom Zentrum für Psychiatrie Weissenau/Ravensburg und die Rechtsmedizinerin Vanessa Thoma, die Sabrina P.s Leichnam damals obduzierte. Die junge Mutter wurde im Januar 2023 nach mehreren Tagen Suche tot im Gebüsch vor dem Balkon ihrer Wohnung in Stockach gefunden. Immer wieder war es zuvor zum Streit zwischen den Eltern eines kleinen Jungen gekommen.

Sabrina P. hatte keine Abwehrverletzungen

Thoma sagte aus, dass das Erdrosseln eindeutig die Todesursache sei und sie bei Sabrina P. keinerlei Abwehrverletzungen entdecken konnte. Das weise darauf hin, dass sie zum Zeitpunkt der Strangulation bereits nicht mehr bei Bewusstsein war.

Von großem Interesse waren ihre Aussagen zu einem Hämatom an der linken Schläfe der Getöteten sowie weiteren Wunden an der Stirn und fehlenden Würgemalen an ihrem Hals. So sei der Bluterguss an Sabrina P.s linker Schläfe durch „stumpfe Traumatisierung“ entstanden und habe „kräftig eingeblutet“. Laut der Rechtsmedizinerin spreche dies dafür, dass Sabrina P. wahrscheinlich noch lebte, als sie die Verletzung erlitt.

Diskussion um fehlende Würgemale am Hals

Allerdings erklärte Thoma, sie könne nicht ausschließen, dass der Erguss erst nach dem Erdrosseln entstanden sei, beispielsweise durch den Sturz vom Balkon. Weitere Wunden, unter anderem an der Stirn der Getöteten, hätten deutlich weniger stark eingeblutet und seien definitiv nach dem Tod durch den Sturz entstanden.

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Für viele Nachfragen der Prozessbeteiligten sorgten Thomas Aussagen zum ersten Würgeangriff auf den Hals der Getöteten. So seien keine Würgemale, also Abdrücke durch die Fingerkuppen, am Leichnam erkennbar gewesen. „Ein typisches kräftiges Würgen mit den Händen auf dem nackten Hals ist daher auszuschließen“, so Thoma. Allerdings sei es plausibel, dass Sabrina P. bereits durch einen leichten Griff an den Hals bewusstlos wurde, wie es der Angeklagte geschildert hatte.

Ist Marcel K. voll schuldfähig?

Im Anschluss berichtete der psychiatrische Gutachter, dass Marcel K. voll schuldfähig sei. Zwar zeige er eine Persönlichkeitsakzentuierung mit emotionaler Labilität und geringem Interesse an anderen, jedoch keine Persönlichkeitsstörung, die seine Schuldfähigkeit mindern würde. Zudem habe während der Tat keine Intoxikation durch Alkohol oder Drogen vorgelegen.

Auch sei die Tat zwar vermutlich nicht geplant gewesen und somit im Affekt passiert. Jedoch liege kein von Eckardt so genannter „rechtwinkliger Affekt“ vor, der durch eine extreme Erregung durch einen extremen emotionalen Reiz verursacht wird und durch eine schnelle Eskalation mit anschließender schneller Beruhigung und Reue gekennzeichnet ist.

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Staatsanwaltschaft plädiert auf Mord aus Heimtücke

Damit endete die Beweisaufnahme. Staatsanwalt Johannes-Georg Roth forderte in seinem Plädoyer eine Verurteilung wegen Mordes, das Merkmal der Heimtücke sei erfüllt. Er schilderte seine Version des Tattags ähnlich wie der Angeklagte am ersten Tag:

Es habe einen Streit gegeben, der zunächst in eine Schubserei und schließlich zum Griff des Angeklagten an Sabrina P.s Hals geführt habe. Sie sei bewusstlos zusammengesackt, ehe der Angeklagte ohne innezuhalten zum Ladekabel gegriffen, es ihr zweimal um den Hals gewickelt und zugezogen habe.

Die für das Merkmal der Heimtücke erforderliche Voraussetzung, dass das Opfer arglos war und der Täter dies ausnutzen wollte, liege vor. „Sabrina P. war ein völlig überraschtes und wehrloses Opfer“, stellte Roth klar. Sie habe nicht damit rechnen können, dass der Streit unmittelbar in einen lebensbedrohlichen Angriff münden wird, da frühere Streits friedlich endeten, wie alle Zeugen ausgesagt hatten.

Marcel K. habe die Arglosigkeit ausnutzen wollen, was für Heimtücke spreche: „In der Tat liegt eine gewisse Spontanität, aber es spricht nichts dafür, dass er nicht mehr wusste, was er tat. Wer jemandem ein Kabel um den Hals wickelt, der will töten und der weiß auch, was er tut“, so Roth.

Nebenklage sieht auch niedere Beweggründe

Nebenklage-Anwalt Gerhard Zahner schloss sich dieser Argumentation weitgehend an. „Sabrina P. war arglos und wehrlos, ohne Möglichkeit sich zu wehren oder zu fliehen. Das zeigen die fehlenden Abwehrspuren“, sagte er. Und wenn zwischen dem ersten überraschenden Angriff ohne Tötungsabsicht und dem tödlichen Angriff so wenig Zeit liege, sei das Opfer bei Letzterem noch immer arglos gewesen.

Anders als Staatsanwalt Roth sah Zahner auch das zweite Mordmerkmal der niederen Beweggründe als erwiesen an. Zwar kenne man Marcel K.s Motiv nicht, allerdings könne man anhand seines Verhaltens vor, während und nach der Tat auf seine „niedere Gesinnung“ schließen.

Die Drohung, ihr das Baby aus dem Bauch zu treten, das Entsorgen der Leiche, die Lügen über das Verschwinden, das unmittelbare Anbandeln mit anderen Frauen, das Töten des Kätzchens – das alles zeigt niederste Absichten und dass er keinerlei Respekt für das Leben hat“, fasste Zahner zusammen.

Verteidiger fordert erneut Totschlag-Urteil

Anderer Meinung war Verteidiger Henning Stutz, der seine Argumentation aus dem ersten Prozess wiederholte und auf Totschlag plädierte. Mordmerkmale müssten genau nachgewiesen werden, die Rechtsprechung lege hier hohe Maßstäbe an. Heimtücke sei nicht erwiesen, da es dafür einen Vorsatz des Täters brauche, die Arglosigkeit auszunutzen. „Die Tat war aber nicht geplant. Irgendetwas muss spontan in diesem Streit passiert sein, das das Fass zum Überlaufen brachte“, so Stutz.

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Auch niedere Beweggründe seien nicht gegeben. Zwar sei das Marcel K.s Verhalten nach der Tat verwerflich und „unglücklich“. Allerdings sei es auch teilweise nachvollziehbar und man dürfe davon nicht auf niedere Beweggründe während der Tat schließen. „Ich fordere daher, dass das Strafmaß nicht über die 13 Jahre aus dem ersten Urteil hinaus geht„, schloss er.

Der auch am vierten Prozesstag kalt wirkende Marcel K. schloss sich dem Plädoyer an, verzichtete jedoch darauf, in seinem letzten Wort um Entschuldigung zu bitten oder ehrliche Reue zu zeigen – trotz expliziter Bitte darum von Gerhard Zahner. Es sagte lediglich, er habe die Tat weder geplant, noch gewollt.

Das Urteil soll am Dienstag, 22. Oktober, um 11 Uhr im Landgericht verkündet werden. Alle Informationen zum erneuten Prozess gibt es hier.