In skandinavischen Ländern wie Schweden kennt man sie längst und sie gehören in vielen Orten zum alltäglichen Stadtbild hinzu: Gebraucht-Kaufhäuser, auch Second-Hand-Läden genannt. Doch man muss dafür gar nicht unbedingt in den hohen Norden reisen. Denn auch die Stadt Stockach beheimatet ein solches Kaufhaus, in dem man Kurioses, Gebrauchtes, Antikes, also gespendete Waren aller Art zu günstigen Preisen erstehen kann: Gleis 4 heißt das Kaufhaus und es wird durch die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Stockach betrieben.
Leiterinnen achten auf Qualität der Waren
Was findet sich in einem solchen Kaufhaus? Die Frage lässt sich leicht beantworten. Im Grunde findet man dort nämlich alles, berichten Leiterin Monika Heinemann und ihre Stellvertreterin Kristin Malmann. Von Dekorationsobjekten, Lampen und Haushaltsgegenständen wie Töpfen, Pfannen, Geschirr und Besteck bis hin zu Bettwäsche, Kühlboxen und Bügelbrettern reicht das Sortiment. Auch Kleider in allen Größen, Schallplatten, Bücher, Spielwaren, Büroartikel oder sogar Möbel gibt es.
Die Qualität der Waren sei laut den beiden Leiterinnen gut. Denn sie würden nur Artikel annehmen, die funktionstüchtig und sauber sind. Das heißt aber nicht, dass Menschen dort nicht auch mal verschmutzte oder sogar verschimmelte Kleidung abzugeben versuchten. „Einmal war in einer Kinderhose sogar noch eine volle Windel drin“, erinnert sich Heinemann, die sich fragt, wie man auf die Idee komme, so etwas zu tun.
Das waren die kuriosesten Spenden im Gleis 4
Auch seien manche Dinge schlichtweg nicht mehr von Interesse, wie zum Beispiel alte „Reader‘s Digest“-Hefte. Andere Gaben seien hingegen nicht wieder verwendbar – wie zum Beispiel ein alter Vibrator, der auch schon mal in einer Abgabekiste gewesen sei und den man schnell entsorgt habe.
Das Kurioseste, das einmal jemand abgeben habe, sei ein Yoga-Meditationshocker gewesen, dessen Funktion sich den Mitarbeitenden erst nach eingehender Recherche erschlossen habe. Erstaunlicherweise sei dieses Objekt aber sogar relativ schnell wieder verkauft worden.
Spenden an die Ukraine und Ausflüge für Bedürftige
Wenn von bestimmten Dinge zu viele abgegeben werden, wie das zum Beispiel häufig bei Bettwäsche oder bei Kleidung der Fall sei, dann gehen die Dinge an die Mühlinger Ukraine-Hilfe, welche die Dinge mit privaten Transporten in die Ukraine bringe, berichtet Heinemann.
Große Einnahmen würden mit dem Kaufhaus nicht erwirtschaftet, erklärt Heinemann. Denn mit den geringen Einnahmen für die Waren müsse man zunächst Miete, Strom und weitere Nebenkosten zahlen. Bleibt dann noch etwas übrig, so plant die Awo Ausflüge für Bedürftige und Menschen mit kleinem Geldbeutel. Auf diese Weise habe man in der Vergangenheit zum Beispiel einen Ausflug mit Senioren zur Mainau und im vergangenen Jahr sogar einen Tagesausflug mit Kindern zum Europapark Rust machen können.
Jugendliche arbeiten hier Sozialstunden ab
Die acht im Kaufhaus mitarbeitenden Damen seien allesamt ehrenamtlich tätig, während die dort tätigen Männer, momentan sind es vier, pro Stunde vom Amt 1,50 Euro zusätzlich zu ihrem Bürgergeld erhielten. Es handle sich hierbei um Menschen, die aufgrund besonderer Umstände auf dem normalen Arbeitsmarkt nicht mehr Fuß fassen könnten und so eine Chance auf Wiedereingliederung bekämen.
Hin und wieder bekomme das Second-Hand-Kaufhaus auch Mitarbeiter über die Straffälligenhilfe vermittelt – also Menschen, die aufgrund einer Straftat wie dem Schwarzfahren einige Sozialstunden ableisten müssten. Mit solchen Personen habe man, so Heinemann, stets nur sehr gute Erfahrungen gemacht.
Allergiker können von Gebrauchtwaren profitieren
Zur Kundschaft im Gleis 4 zählten, so die Leiterinnen, nicht nur Bedürftige. Im Grunde kämen Menschen mit kleinen oder großen Geldbeuteln, arme wie reiche Menschen – und auch viele „Jäger und Sammler“, wie Monika Heinemann sie bezeichnet, die entweder ein Schnäppchen suchten nach besonderen Retro- oder Vintage-Artikeln Ausschau halten.
Über die gebrauchte Kleidung seien auch Allergiker besonders froh, die mit neuer Ware aus Kaufhäusern, die häufig chemisch behandelt sei, ihre liebe Not hätten. „Viele Menschen kommen auch aus Gründen der Nachhaltigkeit“, beschreibt Heinemann. Denn schließlich sei ein Second-Hand-Kaufhaus ein wichtiger Schritt, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. Und wer gezielt etwas sucht, könne im Laden sogar seine Telefonnummer hinterlassen und werde kontaktiert, sobald ein entsprechender Artikel eintrifft, was besonders Stammkunden nutzen.
Ramona Storz ist eine solche Stammkundin. Sie kommt nicht nur zum Kaufen, sondern auch zum Helfen. „Ich ordne und helfe gerne, weil ich dabei alles durchschauen kann“, sagt sie und erzählt, dass sie die Kinderverkaufsbörse in Neuhausen ob Eck organisiere und dafür auch häufig gute Sachen fände. Auch ihre zwölfjährige Tochter Denise-Mia ist begeistert vom Sortiment im Gleis 4 und erklärt: „Man findet immer wieder was und man weiß, dass man mit dem Kauf etwas Gutes tut.“
Fahrräder sind Mangelware
Wenn sich Monika Heinemann etwas wünschen dürfte, dann wären es noch mehr Kunden. Außerdem fände sie es gut, saisonale Dekoration oder Winterstiefel nicht erst nach dem jeweiligen Ereignis oder dem Ende der jeweiligen Jahreszeit zu erhalten. Und mehr Fahrräder könne sie immer gebrauchen.
Ein weiterer Wunsch von ihr ist, dass Stadt Stockach die Blumenkübel vor Gleis 4 an der Radolfzeller Straße bepflanzen würde. Sie habe das beim Stadtbauamt schon einmal angefragt, und man habe dort sogar zugestimmt und gesagt: „Ja, das können wir machen“. Dann habe sich jedoch nie wieder jemand bei ihr gemeldet.