In das ehemalige katholische Pfarrhaus in der Lehrenstraße soll bald wieder Leben einziehen. Das berichtet der Berufsmusiker Michael Stoll, der zusammen mit seiner Frau Brigitte das Anwesen vor drei Jahren erworben hat. Die Stolls wollen dem ehemaligen Pfarrhaus wieder einen Teil der Spiritualität wiedergeben, die im Laufe der Jahre nicht mehr greifbar geworden ist.
In Überlingen haben die Eheleute bereits das "Suso-Haus für neue Mystik und Dialog" aufgebaut. Das frühere Pfarrhaus soll ein weiterer Ort der Selbstfindung werden und wird von den Gründern als "Lebenskloster" bezeichnet.
Doch bevor es an die philosophisch mystische Arbeit auf den Spuren einer Hildegard von Bingen geht, muss das unter Denkmalschutz stehende Gebäude aus dem Jahr 1815 wieder auf Vordermann gebracht werden. Dafür rechnet Michael Stoll mit einem Mindestaufwand von 350 000 Euro. Geld, das er zum Großteil aus Spenden finanzieren möchte. Dabei ist dem Berufsmusiker und Musiklehrer deutlich ein tiefer Respekt vor dem Bauwerk und seiner über 200-jährigen Geschichte anzumerken. Michael Stoll hat sich intensiv mit der Historie beschäftigt: "Das Haus musste 1815 vom Fürstenhaus Hohenzollern-Sigmaringen als Ausgleich für die Aufhebung des Klosters Beuron gebaut werden."
Bei der Innenrenovierung wollen die Stolls möglichst nahe an den Urzustand von 1815 heran kommen. Das wird aus Sicht der neuen Besitzer dadurch erleichtert, dass vom kirchlichen Vorbesitzer nur das untere Stockwerk modernisiert wurde. Die übrigen Teile sind weitgehend im Originalzustand erhalten. Natürlich müssen bei aller Vorliebe für die Geschichte gewisse Zugeständnisse an die Moderne gemacht werden. Das betrifft beispielsweise den Dachbereich. Stoll: "Das Dach ist zwar dicht, aber nicht isoliert." Die gleiche Feststellung gilt natürlich auch für die Fenster. Die abnehmbaren Vorfenster, die früher im Winter zur Isolation vor die eigentlichen Fenster montiert wurden, sind noch vorhanden.
Wer das Haus besichtigt, macht eine mehrfache Zeitreise. Da ist das Untergeschoss, modernisiert in den 1970er Jahren. Noch immer versprühen die Neon-Deckenleuchten den Charme der damaligen Moderne. Hier gibt Michael Stoll schon Geigenunterricht. Eine moderne Küche und Sanitärräume sind in diesem Bereich ebenfalls vorhanden.
Beim Aufstieg schwindet der Eindruck von Moderne. Ausgetretene Stufen aus Holz zeigen, dass die Treppen in den letzten 200 Jahren häufig begangen worden sind. Die Räume im ersten Stock haben die Zeit nahezu unversehrt überstanden. In einem dieser Zimmer steht noch ein gemauerter Kachelofen. Stoll: "Den wollen wir natürlich erhalten." Seine Verbindung zum Kamin stellt ein merkwürdig gebogenes Ofenrohr da. Der Hausbesitzer: "Der Kaminfeger kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, weil er sich wenigstens auf Anhieb nicht erklären konnte, wieso dieses geringelte Ofenrohr jemals funktioniert hat."
Die Arbeiten, zumindest im Inneren, sollen dem Vernehmen nach bald in Angriff genommen werden.
Was die Stolls wollen
Es geht bei den Konzepten für das Suso-Haus und für das neue Lebenskloster in erster Linie nicht um eine religiöse Einrichtung, wie Michael Stoll betont. Im Vordergrund steht die Bewältigung eines der Hauptprobleme vieler Menschen. Sie sind nach den Beobachtungen von Stoll so auf ihr Leben, auf die Karriere, den Beruf, die Hobbys und die Medien fixiert, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die kleinen Dinge des Lebens zu entdecken. Durch das Erleben von Stille, Licht, Natur und Farben sollen die Sinne wieder für diese Kleinigkeiten, wie beispielsweise die Stimme eines Vogels oder die Schönheit einer Blume, geweckt werden. Durch die neue Nachdenklichkeit soll das innere Blickfeld über den Tellerrand des Alltags hinaus geschärft werden. (hps)