Überhaupt nicht provinziell wirkt heute die Stadt, wenn man auf sie zufährt. Industrieanlagen und Leuchtreklamen deuten auf wirtschaftliches Leben. Obertor und Jakobuskirche belegen die geschichtliche Vergangenheit. Es gibt Schulen, Einkaufszentren, eine gute Infrastruktur und das Steueraufkommen ist immens. Doch das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert galt Pfullendorf als „Armenhaus“, war wenig attraktiv und allgemein als schmutzig bekannt. Doch nach 1950 begann ein Aufschwung zum Industrie- und Garnisonsstandort, der bis heute angehalten hat. All das konnte man beim letzten Vortragsabend einer Reihe von Veranstaltungen zum 800-jährigen Stadtjubiläum erfahren. Kreisarchivar Edwin Ernst Weber gelang ein spannender Überblick vom 1800 bis zur Neuzeit, gespickt mit Zitaten von Zeitgenossen und dem Hinweis, dass die Pfullendorf stolz auf ihre Stadt sein könnten.

Das Fabrikgebäude der Firma Hermann Keinath (Herkei-Textilien) wurde mittlerweile abgerissen. Hier steht jetzt die Wohnanlage ...
Das Fabrikgebäude der Firma Hermann Keinath (Herkei-Textilien) wurde mittlerweile abgerissen. Hier steht jetzt die Wohnanlage „Wohnen am Stadtsee“. Auch viele andere Textilbetriebe sind aus der Stadt verschwunden. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Das Armenhaus von Baden

Die Vergleiche zu früher und heute lassen tief blicken. Vom reichsstädtischen Glanz war nach der Mediatisierung, also dem Anschluss an Baden im Jahr 1802, nicht mehr viel übriggeblieben. Wobei sich der Glanz mehr auf die Obrigkeit und das reiche Bürgertum bezogen haben. Knapp 1400 Einwohner lebten in der Stadt und der Vorstadt. Ernährt hat man sich hauptsächlich von Ackerbau und Viehzucht.

Verdienten Applaus einer begeisterten Zuhörerschaft gab es im voll besetzten historischen Ratssaal.
Verdienten Applaus einer begeisterten Zuhörerschaft gab es im voll besetzten historischen Ratssaal. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Kaum Gewerbe und eine hohe Verschuldung

Von Gewerbe war nicht viel zu sehen. Eine Zukunftsorientierung gab es nicht. Der badischen Obrigkeit fällt es schwer, geeignete Personen zu finden, die in der Lage sind, die neue Magistratsverfassung durchzusetzen. Schließlich übernimmt der frühere Bürgermeister Johann Georg Strobel im Alter von 74 Jahren noch einmal das städtische Spitzenamt. In einem Schreiben an die badische Obrigkeit beklagt er sich bitter über das Ratspersonal, das „bey den hierortigen angewöhnten meistens alten Gemütlichkeiten, Rücksichten, Privatinteressen und Chicanen“ die Reformbemühungen sabotiere. Er forderte die Einsetzung eines landesherrlichen Beamten. Der kam dann in Person des Obervogts Kasimir Walchner, der die Reformunfähigkeit der Stadt aus eigener Kraft bestätigte. In seinen sieben Jahren Amtszeit förderte er Schulbildung und Landwirtschaft und sorgte für einen Tilgungsplan der Verschuldung. Pfullendorf und sein ländlicher Amtsbezirk gehörten zu den Armenhäusern Badens. Nur St. Blasien war noch schlechter dran.

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Aufstieg beginnt in großen Schritten

Doch dann ging es aufwärts. 1873 wurde ein Wasserwerk in Betrieb genommen, ein Elektrizitätswerk sorgte für Strom. Für diese wichtigen Dinge stiftete das Spital das Geld. Denn im Gegensatz zur Stadt, verfügte diese Stiftung über einen reich gefüllten Geldbeutel, mit dem nicht nur das Gesundheits- und Sozialwesen finanziert, sondern auch der Anschluss an die Moderne möglich wurde. Nun gab es eine Kanalisation und ab 1904 sogar 14 Telefonanschlüsse. Die Eisenbahn sorgte für Reise- und Transportmöglichkeiten. Der dynamischste Wirtschaftszweig blieb lange die Viehzucht. Die Industrialisierung machte einen Bogen um Pfullendorf. Doch das sollte sich nach dem Zweiten Weltkrieg enorm ändern. Mitte der 1950er Jahre waren es Bürgermeister Leo Frank und sein Gemeinderat, die begannen, ein wirklich großes Rad zu drehen. Die weitere Geschichte ist bekannt: Die Kaserne wurde gebaut, Alno und Geberit kamen mit großer finanzieller Unterstützung durch die Stadt und schufen Arbeitsplätze. Es folgten viele andere Unternehmensgründungen und Ansiedlungen. Geblieben ist ein Wirtschaftsstandort, der sich noch immer weiterentwickelt. Es war wirklich „das Wunder von Pfullendorf“, wie Edwin Ernst Weber bestätigte.

Beurteilungen eines badischen Beamten

Dr. Joseph Kaiser war von 1849 bis 1867 Vorstand des Bezirksamtes Pfullendorf. Wie Edwin Ernst Weber berichtete, beurteilte er im Oktober 1851 die Stadt Pfullendorf als „unstreitig zu den schmutzigsten im ganzen Lande gehörig.“ Dabei würde Pfullendorf sogar von armen und unbedeutenden Dorfgemeinden wie Heiligenberg, Denkingen und Mimmenhausen übertroffen, „die in Beziehung auf Schönheit und Reinlichkeit ihrer Straßen, Brunnen und Plätze wahre Prachtstücke sind im Vergleiche zur hiesigen Stadt, der eins reichsfreien Gebieterin über viele Dorfgemeinden.“

Unrein seien die Brunnen in der Stadt gehalten und teilweise „wahre Kloaken“. Die Straßen seien in einem schlechten Zustand und durch „uneingewandete Dunghaufen und nicht abgedeckte Güllelöcher versperrt“. Zudem würden „Flüssigkeiten aus den Fenstern gegossen und Gegenstände auf die Straße geworfen“. Passanten liefen so Gefahr, tagsüber wie auch nachts, beschädigt oder besudelt zu werden. Anmerkung des Verfassers: Bei den Flüssigkeiten und Gegenständen dürfte es sich um menschliche Hinterlassenschaften gehandelt haben. Doch es gab auch Lob. 1852 erteilte Kaiser „mit Vergnügen“ seine Anerkennung für den musterhaften Zustand der Landwirtschaft und der Viehzucht in Pfullendorf. Die umfangreiche Armenunterstützung durch das Spital beurteilte der Bezirksamtmann als „Uebelstand“. Manche Familien würden „nicht heuslich leben, weil sie wissen, daß sie im Fall der Verarmung vom reichen hieisgen Spital Unterstützung erhalten werden“. Die Stadtbewohner seien aber „im Durchschnitte fleißig, häuslich, ruhig, gemüthlich und religiös“. (kf)