Sabine Naiemi

Nach fast dreieinhalb Jahren Projektdauer gaben kürzlich die Beteiligten des bundesweiten Projektes „Museum 4punkt0“ in einer zweitägigen Videofachkonferenz ihre Ergebnisse untereinander weiter. Das Fastnachtsmuseum Narrenschopf in Bad Dürrheim nimmt an diesem Projekt teil, aus dem das digitale Museum und das Eintauchen in Fastnachtsbräuche mittels VR-Brillen und der 360-Grad-Kuppel vor dem Museum resultieren – ein Alleinstellungsmerkmal für den Narrenschopf.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter Artur Fuss arbeitet an der Erstellung eines Filmbeitrags mit dem Fastnachtshistoriker Werner Metzger, ...
Der wissenschaftliche Mitarbeiter Artur Fuss arbeitet an der Erstellung eines Filmbeitrags mit dem Fastnachtshistoriker Werner Metzger, der auf der Narrenschopf-Seite online erscheinen soll. | Bild: Narrenschopf

Eigentlich wäre „Museum 4punkt0“ zum 31. März 2020 beendet worden. Dann kam aber die Idee auf, das Projekt als Leuchtturmprojekt im Rahmen der EU-Präsidentschaft von Deutschland zu präsentieren: So wurde im Juli dieses Jahres im Rahmen des Konjunkturpaketes vom Bund entschieden, das Projekt ein Jahr länger laufen zu lassen. Es sollen weitere Partner hinzukommen, doch das Ganze ist noch nicht in trockenen Tüchern.

Im Narrenschopf testen Gäste die VR-Brillen (von links): Ulrich Lössl, Walter Klumpp und der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei.
Im Narrenschopf testen Gäste die VR-Brillen (von links): Ulrich Lössl, Walter Klumpp und der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei. | Bild: Naiemi, Sabine

Organisiert wurde die Videokonferenz von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, welche die Projektleitung innehatte. „So um die 100 Teilnehmer hatte die Videokonferenz. Es war eher ein exklusives Fachpublikum“, berichtet Vera Jovic-Burger, die Projektkoordinatorin des Narrenschopfs. Sie kam zwar erst später dazu, wechselte von der Stadtverwaltung Bad Dürrheim in den Narrenschopf, hat aber museale Wurzeln. Es seien Museen darunter gewesen, die sehr interessiert an der Nachnutzung der verschiedenen entwickelten Projekte seien.

Ein Sprung ins kalte Wasser

Anfangs sei man schon sinngemäß ins kalte Wasser geworfen worden, erinnert sich Jovic-Burger an die Anfänge. „Jeder schaute sich mal um, was man so machen könnte. Jeder musste sich erstmal aufstellen, inklusive der Projektleitung.“ Dann habe jeder für sich mit Entwicklungen angefangen, geforscht, Prototypen für sich entwickelt. Einen regen Austausch habe es während der ganzen Zeit immer gegeben, so die Projektkoordinatorin. Dazu gehörten mehrmalige Treffen pro Jahr innerhalb des Verbundes zum Austausch mit dem Ergebnis einer starken Vernetzung über die Jahre hinweg.

Das 2016 an den Start gegangene Projekt „Museum 4punkt0“ wird von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin geleitet. Weitere der insgesamt sechs Partner sind etwa das Deutsche Museum in München und das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven, das Museum Senckenberg in Görlitz, das Fastnachtsmuseum Schloss Langenstein und eben auch der Narrenschopf.

Erstaunliche Erlebnisse

Auch das Deutsche Museum in München und das Senckenberg-Museum in Görlitz hätten VR-Brillen entwickelt, berichtet Jovic-Burger. Jedoch mit ganz anderen Technologien. So könne man in München zum Beispiel auf dem Mond landen, auf dem Mond spazieren gehen und auf dem Mond Golf spielen. Man hält tatsächlich die Hände so wie mit einem Golfschläger und schlägt den Ball.

In Görlitz hat der Blick durch die VR-Brille wiederum eine ganz andere Dimension. Man die Perspektive einer Assel ein und kriecht durch den Boden, trifft auf andere Insekten und sieht etwa wie sich ein riesiger Regenwurm an einem vorbeischlängelt. Jovic-Burger: „Das ist phantastisch.“

Fastnacht bleibt einzigartig

Der Narrenschopf ist jedoch das einzige Museum mit der Darstellung der Fastnachtsbräuche über die VR-Brille. In der 360-Grad-Ansicht wird genau das eingefangen, was die 2014 in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommene alemannischen Fastnacht ausmacht.

„Wenn man früher ins Museum ging, sah man eine klassische statische Ausstellung“, so die Projektkoordinatorin. „Man bekam Informationen, konnte Häser und Masken anschauen, aber es fehlte die Emotion. Jetzt mit diesen VR-Brillen oder auch in der Kuppel ist es möglich viel stärker einzutauchen.“ Das heißt: Der Besucher kann selber seinen Blickwinkel bestimmen, dadurch dass er die Brille aufhat. Figuren beobachten, von vorne und von hinten sehen, hat die Originalgeräusche, kann sogar einen anderen Blickwinkel einnehmen als ein Besucher eines Ereignisses. Zum Beispiel bietet der Blick durch die Kamera bei der legendären „Da Bach na Fahrt“ in Schramberg eine Sicht, die kein normaler Zuschauer je hat.

Der Narrenschopf ist auch digital erlebbar.
Der Narrenschopf ist auch digital erlebbar. | Bild: Sprich, Roland

Digitalisierung rettet Museum

„Wir denken, dass gerade jetzt im Hinblick auf 2021, wo alles abgesagt wurde, das ganze Thema für den Narrenschopf nochmal extrem an Aktualität gewinnt“, erklärt Vera Jovic-Burger. Über 20 fastnachtliche Bräuche seien im Verlauf der letzten drei Jahre an verschiedenen Orten gefilmt worden. Vieles davon wurde noch nicht der Öffentlichkeit gezeigt.

Wäre der Narrenschopf das klassische Museum wie zu früheren Zeiten, hätte man inzwischen komplett schließen müssen, wäre nicht mehr zu sehen gewesen. Jetzt durch die Digitalisierung im Rahmen von „4punkt0“ bleibt das Museum „sichtbar“, insbesondere durch die Internetseite www.-virtuelles-Fastnachtsmuseum.de.

Burger-Jovic: „Die Seite ist unglaublich mit Inhalten angefüttert und trägt die Handschrift von Professor Werner Mezger, der die Geschichte von vor Jahrhunderten bis heute zum gelebten Brauch in 15 unterschiedlichen Modulen darstellt.“ Wer tief eintauchen will in die Geschichte der Fastnacht verschiedener Länder wird fündig. Aber auch wer einfach nur mal kurz schauen möchte, um ein Gefühl von der Fastnacht zu bekommen, wird fündig.

Auch die Archivarin Ingeborg Rüth aktualisiert monatlich die Hingucker. Sie kramt Bilder aus dem Archiv, immer mit aktuellem Bezug und schreibt Anekdoten dazu – das sind Geschichten, die man sonst nie zu sehen bekommen würde. Diese Internetseite ist eine weitere Entwicklung des Projektes und helfe sehr dabei, sichtbar zu bleiben.

Veränderungen im Team

Nachdem das Fastnachtsmuseum Narrenschopf immer schon vor der Herausforderung seiner Finanzierbarkeit stand, wurden diese durch die Verlängerung des Projektes, was die Abdeckung von Personalkosten anging noch etwas schwieriger. Das war der Hintergrund vor dem VSAN-Präsident Roland Wehrle im Sommer im Kreistag den Antrag stellte, einen gewährten und bereits erhaltenen Investitionszuschuss von 50 000 Euro im Rahmen weiterer Entwicklungen vorrangig für Arbeitsentgelte verwenden zu dürfen. Eine Entscheidung darüber steht noch aus. Aus dem Projektteam sind inzwischen Jan Brunnenkant und Saray Paredes-Zavala ausgeschieden. Brunnenkant hat sich auf eine geplante Weltreise begeben. Paredes-Zavala hat quasi intern gewechselt. Sie arbeitet jetzt als Kulturbeauftragte der VSAN (Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte) an dem Projekt: Schwäbisch-alemannische Fastnacht – immaterielles Kulturerbe als Auftrag für die Zukunft. Gefördert wird dieses Projekt von der Kulturstiftung der Länder und dem Ministerium Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

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Gebeutelt durch Corona

Die Arbeiten des Narrenschopfs finden auch international Anklang und Interesse. So hätten bereits ein Museum aus Italien und eines aus Portugal Interesse signalisiert und Kontakt aufgenommen. Nichtsdestotrotz ist 2020 für das Fastnachtsmuseum Narrenschopf ein katastrophales Jahr. 2019 waren es zwischen 8000 und 10 000 Besucher, die der Narrenschopf verzeichnen konnte. Die Hauptbesucher sind Gruppen, Vereine, Seniorengruppen, Schulklassen – sogar aus Frankreich. „Die Zahlen 2020 werden furchtbar sein“, sagt Vera Jovic-Burger. Jetzt bleibe wieder nur die Sichtbarkeit im Netz und im Online-Shop gebe es nette Geschenke zu kaufen.

Das ist der Narrenschopf

  1. Das Fastnachtsmuseum Narrenschopf in Bad Dürrheim beschäftigt sich mit dem Brauchtum der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Der Narrenschopf wurde am 5. Mai 1973 eröffnet. In drei Kuppeln, ehemalige Solebehälter der ehemaligen Rottweiler Saline aus der Zeit um 1830, sind rund 400 lebensgroße Fastnachtsfiguren aus den acht Landschaften der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) zu sehen. Im Januar 2019 geschah etwas eigentlich Undenkbares: das Kölner Dreigestirn hielt Einzug in den Narrenschopf und ist seitdem fester Bestandteil der Ausstellung.
  2. Immaterielles Kulturerbe: Das Brauchtum der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, das seit Jahrhunderten zelebriert wird, wird 2014 ins bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Unesco aufgenommen.
  3. Vierte Kuppel: Eine zusätzliche Kuppel beherbergt ein 360-Grad-Kino, in dem die Besucher das fastnächtliche Treiben um sich herum dank modernster Technik hautnah erleben. In die Ausstellung integriert ist außerdem ein 3D-Kino. Besonders eindrücklich vermitteln die Virtual-Reality-Stationen im Museum das Brauchtum.
  4. Immer geöffnet: Durch das virtuelle Fastnachtsmuseum ist der Narrenschopf rund um die Uhr zugänglich: www.-virtuelles-Fastnachtsmuseum.de. Die Narrenschopf-App begleitet nicht nur als Audioguide während des Besuchs im Museum. Sie bietet auch so zahllreiche Informationen über die schwäbisch-alemannische Fastnacht.
  5. Light-Version: Die VR-Brillen gibt es auch als Light-Version zu kaufen (Cardboard), eine Linse, in die das Handy hineingesteckt wird.