Die Türen zum Zeppelin-Museum sind genauso zu wie die in Cafés an der fast leeren Uferpromenade, vielen Restaurants oder im Kino. Die Gäste in den Hotels kann man zählen. Seit Montag gilt ein Corona-Lockdown, der erneut einen Großteil des öffentlichen Lebens lahmlegt. So haben es die Regierungschefs von Bund und Ländern am vergangenen Mittwoch beschlossen. So schreibt es die neue Corona-Verordnung des Landes vor, hinter die sich am Freitag auch die Mehrheit des Landtags gestellt hat.
Doch das erneute Teil-Aus für Gastronomie, Kultur und öffentliches Leben bis Ende November stößt diesmal auf Widerstand vieler Rathauschefs. 35 (Ober)Bürgermeister aus Baden-Württemberg haben am vergangenen Donnerstag einen offenen Brief an den Ministerpräsidenten unterzeichnet. Dazu gehört auch Friedrichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand. Die Stadtoberhäupter appellieren in dem Schreiben an Winfried Kretschmann, „von gänzlich abstrakten Verboten Abstand zu nehmen“. Ungeachtet dessen setzte die Landesregierung die in Berlin vereinbarten Einschränkungen mit der neuen Corona-Verordnung genauso um.
Rathauschefs wollen „Leben in den Städten schützen“
In dem Brief, der unter der Überschrift „Das Leben in den Städten schützen“ steht, werden genau diese Maßnahmen als willkürlich kritisiert. „Wir fragen uns, nach welchen Kriterien die Bereiche auswählt wurden, die nun komplett geschlossen werden sollen“, heißt es in dem Schreiben. Theater, Kino, Gastronomie, Hotellerie und Cafés hätten gute Hygienekonzepte etabliert und seien als Treiber des Infektionsgeschehens von eher geringer Bedeutung.
Kunst und Kultur als nicht entbehrlich
„Es ist für uns nicht ersichtlich, dass durch den kompletten Lockdown dieser Bereiche das Tempo der Pandemie ausreichend gebremst werden könnte“, so die 35 Rathauschefs. Offenbar sei die Spitzenpolitik der Meinung, dass diese am ehesten entbehrlich seien. „Dieser Auffassung treten wir entgegen. Kunst, Kultur und Gastronomie machen das Leben in unseren Städten wesentlich aus. Sie einfach abzuschalten, gefährdet auf Dauer Bürgersinn, Zusammenhalt und Lebensgeist der Stadtgesellschaften“, monieren die Stadtoberhäupter.
Bezweifelt wird zudem, dass die Schließung bis Monatsende befristet bleibt. Vielmehr sei zu befürchten, dass die Pandemie durch die jetzigen Eingriffe zu wenig gebremst wird und der Teil-Lockdown bis zum Frühjahr verlängert werden muss. „Das hätte gravierende Strukturbrüche zur Folge.“
„Uns ist es wichtig, dass wir über den jetzigen zweiten Teil-Lockdown hinausblicken. Wir alle in der Politik und Gesellschaft müssen uns darauf einstellen, dass wir noch längere Zeit mit dem Virus leben müssen.“Andreas Brand, Oberbürgermeister von Friedrichshafen
In dem offenen Brief appellieren die Bürgermeister, die Beschlüsse nochmals auf den Prüfstand zu stellen und „von gänzlich abstrakten Verboten Abstand zu nehmen“. Gastronomie mit Decken oder Heizstrahlern an der frischen Luft beispielsweise ist nach Meinung der Rathauschefs „völlig unbedenklich“. Der Besuch einer Kunstausstellung oder einer Theatervorstellung könne durch weiter verschärfte Besuchergrenzen, Masken und Abstände sicher gestaltet werden.
Bei Winfried Kretschmann selbst stieß der Brief der Bürgermeister eher auf Unverständnis. In seiner Antwort an die Rathauschefs erläuterte er, dass „einschneidende Maßnahmen“ in bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nötig seien, um andere – wie Schulen oder Kitas – offen halten zu können.
OB Brand: Maßnahmen verständlich machen
Für Oberbürgermeister Andreas Brand bedeuten Fragen nach dem Sinn von Entscheidungen nicht, sie nicht befolgen zu wollen. Aber gerade jetzt sei es Aufgabe der Politik, verständlich zu machen, warum welche Entscheidungen getroffen wurden. „Nur so können wir die Bürgerinnen und Bürger auch überzeugen und mitnehmen“, begründet er seine Entscheidung, den vom Tübinger OB Boris Palmer initiierten Brief mit zu unterschreiben.
Er erklärt auf Anfrage unserer Zeitung, dass er genauso wie im Frühjahr hinter der „Notwendigkeit einschneidender und nützlicher Maßnahmen“ stehe. Den Unterzeichnenden sei es zudem wichtig, „dass wir über den jetzigen zweiten Teil-Lockdown hinausblicken“.
Im Frühjahr hatte das Rathaus allerdings noch mit einer eigenen Allgemeinverfügung unter anderem den Aufenthalt an der Uferpromenade untersagt, was auf teils heftige Kritik gestoßen war – im Nachgang auch bei einigen Gemeinderäten, die in die Entscheidung nicht eingebunden waren.
CDU-Fraktion regt Resolution an
Die Haltung des Häfler OB jetzt im Oktober hat die CDU-Fraktion dazu veranlasst, eine Resolution des Gemeinderats auf den Weg zu bringen. Am Montag stellte Fraktionschef Achim Brotzer einen entsprechenden Antrag. Der Rat soll in seiner nächsten Sitzung per Beschluss den Appell der 35 Stadtoberhäupter an die Landesregierung unterstützen. Als Begründung wird auf den Wortlaut des Schreibens verwiesen, „dessen Inhalt in überzeugender Weise für sich selbst spricht“.