Mit Mode hatte sie eigentlich nie viel am Hut, sagt Mareike Rademacher. Viel lieber hat sie gezeichnet und viel gemalt. Dass sie trotzdem irgendwann einmal in der Modebranche landen und damit ihren Lebensunterhalt verdienen würde – das hätte sie wohl früher auch nicht gedacht. „Auf die Idee, daraus beruflich etwas zu machen, haben mich erst meine Freunde gebracht“, erklärt Rademacher. Kauft sich jemand neue Klamotten, dann wird sie gefragt, ob sie mitkommen möchte. Sie scheint eine Begabung zu besitzen, das passende Outfit zusammenstellen zu können. Und irgendwann merkt sie das auch: „Ihr habt recht, habe ich mir dann gedacht.“
Heute hat Mareike Rademacher aus Unterbränd ihr eigenes Geschäft in Tuttlingen und Berlin, schneidert maßgefertigte Kleidungsstücke nach Wunsch, tüftelt an neuen Bekleidungsideen. Ihr Arbeiten sind auf Modeschauen zu bewundern, Models laufen auf Fashion Weeks damit. Ihre Arbeiten sind dabei keine Stücke von der Stange. Sie sollen außergewöhnlich sein. Besonders für Menschen, die Probleme haben, etwas zu finden, das ihnen steht und richtig passt.
Besondere Leidenschaft
Ihre besondere Leidenschaft gehört dabei dem Steampunk-Genre. Das lässt sie auch in ihre Mode einfließen. „Mit 13 bin ich zufällig auf einen viktorianischen Ball geraten. Ich habe diese Outfits gesehen und gefragt, was das denn ist.“ Steampunk – so die knappe Antwort. Für Mareike Rademacher wird es zur Passion. Und sie merkt mit 17, dass sie nicht mehr den konventionellen Weg gehen, die Schule abbrechen möchte. In Gesprächen kann ihr Vater sie überzeugen, doch noch die zwei bis drei Jahre bis zum Abitur zu machen. Danach stehe ihr ja die Welt offen.
„Ein Jahr später habe ich aber gemerkt, dass ich so nicht mehr weiter kann“, erklärt Rademacher. Die Kreativität wolle hinaus. Sie lässt sich zur Schneiderin ausbilden, meldet sich an der Modeschule in Sigmaringen an. Hier trifft sie jemanden, der später ein guter Freund werden sollte. Sie spricht ihn an: „Bitte sag mir, dass du weißt, was Steampunk ist.“ Aus dem Interesse wird ein Hobby. Das schlägt sich schließlich auch in der Kleidung nieder, die Rademacher herstellt: „Die Outfits wurden bestaunt.“ Und mancher fragt dann: „Kannst du sowas auch für mich machen?“ Schon auf der Modeschule meldet Rademacher einen Kleinstbetrieb an, macht schließlich ihren Schneidermeister über ein Angebot der Handwerkskammer Reutlingen. Da ist sie bereits Modedesignerin und Maßschneiderin.
Das Besondere an den Steampunk-Outfits?
Sie sind mit besonders viel Liebe fürs Detail und enormem Aufwand gestaltet. „Erst hat man mich da nicht so richtig ernst genommen“, dann kam die Modeschau bei Recycling Albstadt. Rademacher erschuf ein Kleid aus Spritzgussteilen, mit hölzernen Flügeln, die sich entfalten können. Das Projekt sei etwas chaotisch abgelaufen, habe aber Eindruck gemacht. Inspiration gab es dabei aus der Steampunkszene: „Dort tauschen sich alle aus, wie sie was gemacht haben.“ Besonders das Öffnen der Flügel sei schwierig gewesen: „Es war verrückt und ein Riesenprojekt“, lacht Rademacher. Es war das erste Mal, dass Leute aus der Modebranche sagten: „Fantastisch.“

Unterwäsche-Projekt
Rademacher nimmt an einen Design-Wettbewerb des Unterwäsche-Herstellers Speidel teil. Dafür schneidert sie ein Lederkorsett mit Spitze. Das kommt an, das Projekt geht viral und eine Firma aus Singapur meldet sich. Dort ist Steampunk wesentlich populärer. In Tuttlingen trifft Rademacher einen ehemaligen Geschäftspartner: „Ich wollte bei ihm nur Leder kaufen“, erklärt sie. Im Gespräch stellt sich raus, dass er schon immer von einer eigenen Bekleidungslinie geträumt hat. Die Ideen fügen sich zu einer gemeinsamen. Eigentlich wollte Rademacher ihr Kleinstgewerbe weiter betreiben: „Hopplahopp war ich in der Selbstständigkeit.“
Mode für Individualisten
Das Geschäft Marra-Design läuft unter der Oberzeichnung „Mode für Individualisten.“ „Im Endeffekt mache ich Kleider für Leute mit außergewöhnlichen Ideen.“ Für die Designerin ist es eine besondere Freude, wenn sie den Menschen hier helfen kann: „Zu mir kommt keiner, der nur ein T-Shirt will. Herren kommen etwa, wenn sie einen Frack wollen, bei Frauen sind es Korsetts oder komplette Kleider.
Maßanfertigung
Ein Kleidungsstück komplett aus dem Nichts zu erschaffen, das sei eine Sache, die auch etwas Zeit in Anspruch nehme: „Dafür kann man sicher drei Monate einplanen“, erklärt Rademacher. Vom Erstgespräch über die Beschaffung der Materialien bis hin zur Anprobe. „Das Teil soll ja nachher perfekt sitzen.“ Und was gefällt ihr bei dieser Arbeit am besten? „Wenn ich vollste Zufriedenheit und Glänzen in den Augen sehe.“ Die Leute seien immer unfassbar glücklich. „80 Prozent der Frauen stehen im Geschäft und sagen dann, dass sie nicht wussten, dass sie so schön aussehen könnten.“ Ein intimes Verhältnis, das sie mit den Kunden aufbaue. Die individuelle Schönheit hervorheben – das ist immer ein Ziel: „Jeder Mensch ist schön“, sagt Rademacher. Viele blieben mit der Kleidung nicht bei sich, sondern folgten dem, was der Trend vorgebe.
Corona
Die Krise sei an sich schlecht, für Mareike Rademacher habe es aber auch Gutes gegeben. In dieser Zeit hat sie mit befreundeten Marketing-Unternehmer ein weiteres Unternehmen in Berlin etabliert: „Es geht da um junge Mode im Highclass-Bereich.“ Oddline nennt sich die Firma. Auf der Fashionweek in Wien soll eine ganze Show mit Stücken von Oddline gezeigt werden. „Die Coronazeit wurde genutzt“, so Rademacher. „Ich habe meine Elf-Stunden-Tage.“ Maßanfertigungen, Planungen von Fashionweeks – und schließlich hat sie auch einen Azubi ausgebildet. „Ich kenne keinen Selbstständigen mit einem Acht-Stunden-Tag.“ Allerdings habe sie sich etwas ausgesucht, für das sie brenne.
Kraftpool Unterbränd
Auch wenn Mareike Rademacher viel beschäftigt und unterwegs ist, mindestens einmal im Monat ist sie in Unterbränd bei ihren Eltern: „Ich bin heimatverbunden. Es gibt nichts Besseres als auf dem Dorf aufzuwachsen.“ Hier könne sie ihre Batterien aufladen und jene Pfade gehen, die sie schon als Kind ging: „Das gibt Stabilität und ich würde nie tauschen wollen.“