Staufen bei Freiburg ist bundesweit bekannt. Mittlerweile leider weniger für die schöne Landschaft und die gute Küche, sondern für einen grauenvollen Kriminalfall, der gerade vor dem Freiburger Landgericht verhandelt wird. Dabei geht es um einen ehemaligen Betreuer von Pfadfindern, der sich wegen hundertfachen sexuellen Kindesmissbrauchs verantworten muss. Der 24-jährige Christian L. soll sich von Januar 2010 bis August 2018 an vier Jungen vergangen haben. Er war damals Leiter einer evangelischen Pfadfindergruppe. 330 sexuelle Übergriffe werden ihm zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft geht von möglichen weiteren Opfern aus.
Niemand hat etwas bemerkt?
Aber wie kann es passieren, dass so etwas über Jahre hinweg nicht auffällt oder registriert wird? Könnte es also jederzeit auch auf der Baar, in Donaueschingen passieren? Die erschreckende Antwort lautet: „Ja. Sexuelle Gewalt ist nicht örtlich bezogen, es gibt sie überall. Von acht Millionen Kindern in Deutschland erleben etwa eine Million sexuelle Gewalt“, erklärt Angela Donno. Sie ist Sozialpädagogin und Geschäftsführerin des Vereins Grauzone in Donaueschingen. Er beschäftigt sich mit Opfern und Betroffenen sexueller Gewalt, bietet für sie eine Anlaufstelle und hilft weiter. Wohin können sie sich wenden, was brauchen sie jetzt?

Nicht einfach aufzudecken
Worin besteht die Schwierigkeit, solche Fälle aufzudecken? „Selbst wenn zuständige Personen, Fachleute oder Menschen im näheren Sozialraum den Verdacht hegt, hier sei ein Fall von sexuellem Missbrauch, dann werden zuerst Hypothesen in den Raum gestellt. Alle Involvierten sind darauf angewiesen, dass darüber gesprochen wird“, sagt Donno.
Kinder sprechen nicht
Betroffene Kinder seien meist nicht in der Lage, darüber zu sprechen: „Sie können leicht manipuliert werden und können nicht unbedingt das benennen, was notwendig ist.“ Was bleibe, sei dann ein vager Verdachtsmoment. „Es ist auch die Frage, wie die Konsequenzen aussehen. Gerade im Familienbereich können die hart sein, das Kind könnte weg von den Eltern kommen. Das kann für eine Traumatisierung sorgen, besonders, wenn es zu Unrecht geschieht“, so Donno. „Außerdem wissen wir, dass Täter oftmals tiefgreifend manipulieren. Das reicht auch in andere Bereiche.“
Macht steht im Vordergrund
Hinter Kindesmissbrauch stecken zu 80 Prozent männliche Täter. Erstaunlicherweise die wenigsten davon tatsächlich auch Pädophile: „95 Prozent der Täter sind es nicht. Ihnen geht es dabei um Macht“, erklärt die Pädagogin. Oft sei es eine Vielzahl verschiedener Gewaltformen, die in die Machtstruktur hineingreife. Das Schwierige: „Die Opfer müssen meist allein aus der Situation hinauskommen.“
Auch hier bei uns
Auch im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt es solche Fälle. Mit rund 100 pro Jahr hat der Verein Grauzone zu tun. „Wer den ‚Tatort‘ schaut, der hat sicher das Bild von einem gruseligen Unbekannten im Kopf, der aus dem Gebüsch den Spielplatz beobachtet“, erklärt Donno. Gruselig ist dabei allerdings, dass die meisten Missbrauchsfälle im familiären Raum stattfinden: Sexualität ist fast für alle Menschen ein Thema, also ist es auch im familiären Raum naheliegend.“
Jahrelang von der Familie missbraucht
Das zeigt auch ein Fall, mit dem sich Grauzone beschäftigt hat: „Eine junge Frau aus den Niederlanden wurde von den Eltern über Jahre hinweg missbraucht. Mit 18 konnte sie nach Deutschland fliehen.“ Auch die Eltern seien selbst schon missbraucht worden. Eine Missbrauchs-Spur, die sich über Generationen zieht: „Oft stecken da auch ganze Organisationen dahinter.“ Ein Beispiel dafür war etwa der Fall des beglischen Kinderschänders Marc Dutroux. Bis in die Mitte der 1990er-Jahre hatte er mehrere Kinder und Jugendliche entführt, sexuell missbraucht und ermordet. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt und ist noch im Gefängnis. Besonderes Aufsehen erregte der Fall, da es Unstimmigkeiten bei den Gerichtsverhandlungen gegeben hatte: Zeugen verschwanden auf mysteriöse Art und Weise. 1996 demonstrierten 400 000 Belgier in Brüssel gegen das Vorgehen der Behörden in diesem Fall.
Die junge Frau habe sich im Urlaub mit einer deutschen Familie angefreundet und die Eltern haben ihr erlaubt, hierher zu kommen. Sie kehrte nicht nach Hause zurück. „Es ist unfassbar schrecklich, was sie erlebt hat. Sie wurde von ihren eigenen Eltern teilweise an andere Personen verkauft. Ihre Flucht geschah unter Lebensgefahr“, sagt Donno.
Gebrochene Biografien
Als Betroffener dann ins Leben zurück zu finden, das sei nicht einfach. „Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die Klienten fast immer gebrochene Biografien haben. Viele kommen auch nach Jahren immer wieder zu Beratungen zu uns.“ Grauzone biete dabei allerdings keine Psychotherapie. „Wir schauen auf die Lebenssituation, sind im Schwarzwald-Baar-Kreis mit den zuständigen Stellen vernetzt und prüfen, wo die Person Unterstützung braucht und wir Ressourcen finden können.“
Wie funktioniert Prävention gegen sexuelle Gewalt?
- Kein Küsschen: Die Enkelkinder verabschieden sich von den Großeltern und die fordern ein: „Gib mir noch ein Küsschen!“. „Auch wenn die Oma dem Kind nie etwas machen würde, wenn das Kind nicht will, dann muss es auch nicht. Man kann dann sagen: „Dann gib der Oma doch die Hand“, erklärt Angela Donno vom Verein Grauzone. Es handle sich ansonsten um eine Grenzverletzung: „Da fängt es an. Es ist wichtig, wenn die Kinder ein Bewusstsein dafür haben.“
- Schwimmbad: Bisher hat sich das Kind immer umziehen lassen, ohne das es in die Umkleide musste. Auf einmal will es das nicht mehr. „In dem Fall geht man dann zur Umkleide. Das ist ein sensibler Moment“, sagt Donno.
- In der Badewanne: Die Vermittlung sei vor allem über ein gutes Vorleben möglich. Sind die Kinder in der Badewanne und Verwandte sind zu Besuch, dann sollte nicht unbedingt jemand anderes einfach ins Bad gehen. Eine gesunde Intimität werde hierbei erlernt.
- Kontakt: Der Verein Grauzone befindet sich in der Donaueschinger Mühlenstraße 42. Er ist erreichbar unter 0771/4111 oder per Email unter info@grauzone-ev.de. Weiter Informationen gibt es auf der Homepage unter www.grauzone-ev.de