Die Baar verfügt über ein reiches und weitverzweigtes Kulturerbe – und das beleuchtet der SÜDKURIER in einer Serie anhand von fünf Beispielen. Als Zweites richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Baaremer Brotkultur. Sie ist regionaler Bestandteil der Deutschen Brotkultur, und diese wurde 2014 durch die nationale Unesco-Kommission in das bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe aufgenommen.

Das ist keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr beruht die Würdigung auf der einzigartigen Vielfalt der deutschen Brotsorten – bislang sind über 3000 namentlich erfasst. Und wie wird diese bemerkenswerte Besonderheit bewertet? Nüchterne Ernährungshistoriker beschreiben den Umstand zutreffend, aber emotionslos so: Brot ist für Deutsche der Inbegriff von Nahrung. Wer es poetischer und wärmer mag, kann sich an Jaroslav Seifert orientieren, dem Träger des Literaturnobelpreises von 1984: "Der Geruch des Brotes ist der Duft aller Düfte. Es ist der Urduft unseres irdischen Lebens, der Duft der Harmonie, des Friedens und der Heimat."

Gründe für die Brotvielfalt

Fragt man Bäckermeister Robert Schorp aus Döggingen, warum es in Deutschland solch eine Sortenvielfalt an Broten gibt, nennt er vier ausschlaggebende Punkte: die geologisch und klimatisch bedingte Rohstoffvielfalt, die historische Kleinstaaterei mit ihren zahllosen Abgrenzungsbemühungen nach außen, die zeitlich und inhaltlich straff geregelte Struktur der Ausbildung der Bäcker und nicht zuletzt deren Experimentierlust.

Bäckermeister Robert Schorp genießt seine frische knusprige Laugenbrezel – Inbegriff und Symbol der deutschen Brotkultur.
Bäckermeister Robert Schorp genießt seine frische knusprige Laugenbrezel – Inbegriff und Symbol der deutschen Brotkultur. | Bild: Gunter Faigle

Auf den verschiedenen landwirtschaftlich nutzbaren Kulturböden der Baar wachsen zum Beispiel Dinkel, Roggen sowie verschiedene Weizenarten, unter ihnen auch die selteneren Emmer und Einkorn. Bei Bäckermeister Joachim Schmid in Bräunlingen hat dies neben anderem zur Folge, dass sein Regelsortiment nicht weniger als 30 Brotsorten und 45 verschiedene Arten von Kleingebäck wie Wecken oder Hörnchen umfasst – unvorstellbar etwa für einen Franzosen, Italiener oder Engländer.

Wenn Sonja Metzger eine angeschnittene Schwarzwälder Kirschtorte aus der Kutmühle anbietet, läuft manch einem Kunden schon das Wasser im ...
Wenn Sonja Metzger eine angeschnittene Schwarzwälder Kirschtorte aus der Kutmühle anbietet, läuft manch einem Kunden schon das Wasser im Munde zusammen. | Bild: Gunter Faigle

Wer die Entwicklung genau verfolgen möchte, wie sich im Südwesten des heutigen Deutschland das Brotbacken von seinem Beginn an entwickelt hat, wird sich nicht leichttun. Drei Meilensteine aus der langen heimatlichen Zivilisationsgeschichte können allerdings beispielhaft den menschlichen Erfindungsreichtum deutlich machen, wenn es um Nahrungsmittel geht. Einen Anfang machten die Bewohner der Pfahlbauten am Bodensee vor etwa 4500 Jahren. Schon sie zerrieben Gerste und Weizen zwischen Steinen, vermengten dieses Mehl mit Wasser, gossen den Brei auf einen erhitzten Stein, und fertig war nach einigen Minuten das Fladenbrot.

Zwei frische Seelen präsentiert hier Bäckermeister Herbert Schorp.
Zwei frische Seelen präsentiert hier Bäckermeister Herbert Schorp. | Bild: Gunter Faigle

Später, vor gut 2000 Jahren, wurden die ersten Holzbacköfen nördlich der Alpen gebaut. Sie sind technisch bis heute weiterentwickelt worden. Seit 2005 bietet Martina Schnekenburger auf dem von ihrer Familie bewirtschafteten Bauernhof in Aasen selbst gebackenes Holzofenbrot zum Kauf an. Sie stützt sich dabei auf Rezepte ihrer Großmutter und Mutter. Ihren Backofen beheizt sie mit hartem Holz wie Buche oder Eiche, nutzt aber auch weicheres Nadelholz. Es soll sogar Menschen mit ausgeprägtem Geschmackssinn geben, die herausschmecken, wenn beim Backen unterschiedliche Hölzer verwendet werden.

Nach Großmutters und Mutters Familienrezepten backt Martina Schnekenburger (rechts) mit Unterstützung durch Angelika Erndle ihre ...
Nach Großmutters und Mutters Familienrezepten backt Martina Schnekenburger (rechts) mit Unterstützung durch Angelika Erndle ihre dreisträngigen Hefezöpfe. | Bild: Gunter Faigle

In die Gegenwart führt einen schließlich Joachim Schmid, der für seine gesunden Brote eine geniale Maschine nutzt: die Zentrofanmühle. Mit gleich drei dieser Mühlen vermahlt er in seiner Backstube das ganze Korn. Kein Keimling und kein Schalenanteil geht verloren – Vollkorn bleibt buchstäblich Voll-Korn. Das Getreide wird dabei so lange gemahlen, bis es eine staubfeine Konsistenz hat. Solches Mehl kommt ohne weitere Zusätze aus und kann sofort verarbeitet werden.

"Wissen, Können, Weitergeben" lauten die Grundbedingungen, nach denen immaterielles Kulturerbe bestimmt wird. In Sachen Brotkultur und deren Pflege stehen Menschen wie Robert Schorp, Joachim Schmid oder Martina Schnekenburger stellvertretend für ihren Baaremer Kollegenkreis. Ihre Beiträge zur professionellen Weiterbildung im Bäckerhandwerk und zur Pflege sinnvoller Traditionen sind gesellschaftlich unentbehrlich.

Die Freiburger Bäckerzunft stiftert um 1330 für das Münster der Stadt ein Glasfenster und verewigt sich dabei mit insgesamt drei fast ...
Die Freiburger Bäckerzunft stiftert um 1330 für das Münster der Stadt ein Glasfenster und verewigt sich dabei mit insgesamt drei fast identischen Brezeln. | Bild: Gunter Faigle

Beeindruckende Vielfalt und eine berühmte Spezialität

Dass die Baaremer Brotkultur voller Leben ist und womit sie für viel Genuss sorgt, kann man sich leicht vor Augen führen.

  • Unüberschaubare Brotsorten: Wer hierzulande in eine Bäckerei geht und Brot kaufen will, muss ziemlich genau wissen, was er essen möchte und wie das zudem heißt. Oder er steht etwas ratlos und durch die Fülle beeindruckt vor den Regalen und muss sich notgedrungen mithilfe seines Zeigefingers verständigen. Denn angeboten werden ihm nicht nur Bauernbrot, Dinkelflockenbrot, Einkornbrot, Leinsamenbrot, Roggenvollkornbrot, Sauerteigbrot, Walnussbrot oder Weizenbrot, sondern noch zig andere Sorten mit jeweils eigenen Namen, speziellen Teigen und variantenreichen Formen. Wer etwa einem Gast mit einer anderen Muttersprache als Deutsch dieses facettenreiche Spektrum erklären möchte, muss fast schon Dolmetscher sein.
  • Die ofenfrische Laugenbrezel: "Gelungen geschlungen" und möglichst frisch muss es sein, das auch auf der Baar beliebteste und bekannteste Kleingebäck. Der anfänglich etwa 60 Zentimeter lange und dann verdrillte Teigstrang einer Laugenbrezel bekommt bei handwerklichen Könnern im Idealfall außen eine knusprige Kruste und innen einen weichen Hefeteigkörper. Den sanft geschwollenen Brezelbauch lässt der Bäcker etwas aufspringen, die dünnen Teigärmchen gelingen ihm am besten, wenn sie kross aus dem Ofen kommen. Um die Frage, woher die Brezel stammt, rankt sich eine Reihe von Legenden. Als Bildzeichen der Bäcker ist die Brezel – durch die "dreimal die Sonne durchscheint" – schon seit wenigstens 700 Jahren in Gebrauch. Drei Brezeln zieren zum Beispiel im Freiburger Münster das vorletzte Glasfenster links, das die heimische Bäckerzunft um 1330 gestiftet hat.
  • Die schlichte Seele: Sie beschränkt sich auf das Wesentliche. Für eine Seele braucht es nur Grundzutaten – und Zeit. Sie kann schon gelingen, wenn bloß Weizenmehl, Wasser, Hefe und Salz vorhanden sind. Nicht schlecht sind zudem ein wenig Malz und Kümmel. Aber man muss den Teig unbedingt etwa vier Stunden ruhen lassen. Drei Qualitäten des Bäckers fordert die Seele: Erfahrung, Fingerfertigkeit und Zeitgefühl. Joachim Schmid sagt: "Die Hände sind mein wichtigstes Werkzeug – von der Teigverarbeitung bis zur perfekten Formung." Und Robert Schorp fügt hinzu: "Der Bäcker braucht ein Gefühl für die Parameter des Backens: die Mehle und Zutaten, die notwendigen Zeiten und die Temperaturen in den Kühlaggregaten, in der Backstube und im Backofen." Eine gute Seele zu backen, ist also doch eine Herausforderung, und Joachim Schmid weist auf eines hin: "Backen ist ein lebendiger Prozess, denn die Zutaten arbeiten miteinander."
  • Der dreisträngige Zopf: Jahrelange Routine wird erkennbar, wenn Martina Schnekenburger an ihren gesüßten Hefeteig Hand anlegt. Bei dem hat sie 160 Gramm Zucker auf ein Kilo Mehl aus der Getreidemühle von Wilhelm Strom im benachbarten Biesingen verarbeitet. Den Teig teilt sie zuerst in drei Teile auf, rollt diese zu Strängen und flicht daraus einen ebenmäßigen Zopf in einer Geschwindigkeit, dass man nur staunen kann. Vor dem Backen bestreicht sie ihr Backwerk noch mit Milch, damit es im Ofen eine schöne Bräunung bekommt. Und wie beim Brot baut sie auch hier ebenso wie bei ihrem verlockenden Nusszopf auf Backrezepte aus ihrer Baaremer Herkunftsfamilie.
  • Die Schwarzwälder Kirschtorte: Wenn man den Begriff der Baaremer Brotkultur großzügig etwas weiter fasst und auf die Backkultur ausdehnt, muss natürlich ein Gebäck erwähnt werden: die Schwarzwälder Kirschtorte. Diese etwa 100 Jahre alte Kreation hat zumeist mächtige Proportionen und ist weltweit die bekannteste deutsche Torte. Selbst zu Mao Tse-tungs Zeiten war sie im chinesischen Shanghai zu haben. Über einem dunklen Biskuitboden werden Schichten aufgebaut, die sich aus Kirschen, Sahne, Kirschwasser, Schokolade und eventuell Konfitüre zusammensetzen. Unverzichtbar ist dabei das Kirschwasser: Es muss in der Torte nach den Regeln der deutschen Bäcker und Konditoren "sensorisch gut wahrnehmbar" sein. Eine regionale Besonderheit ist das "Schwarzwälder Kirschtortenfestival" in Todtnau, das in diesem Jahr zum achten Mal stattgefunden hat. Aus 27 Teilnehmern wurde ein Gewinner gekürt, der die nach Aussehen, Handwerkskunst und Geschmack beste Kirschtorte präsentieren konnte. (gf)