Die Baar verfügt über ein reiches und weitverzweigtes Kulturerbe – und das beleuchtet der SÜDKURIER in einer Serie anhand von fünf Beispielen. Als Erstes richtet sich der Blick auf die Orgeln in den Dörfern der Baar.
Das hat einen guten Grund, denn Orgelbau und Orgelmusik sind im vergangenen Jahr von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt worden – eine Entscheidung von weltweiter Bedeutung. So wie zum Beispiel Yoga mit Indien oder die Rumba mit Kuba verbunden wird, so ist das nun mit dem Orgelbau und der Orgelmusik speziell mit Deutschland. Auch das nationale „Bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe“ dokumentiert den eminenten Stellenwert der Orgelkultur.

Die Wertschätzung des ausladenden Instrumentes sowie der auf ihm gespielten Musik sowie seiner Spieler erklärt sich aus einer ganzen Reihe von Faktoren. Diese treffen auch für die Orgeln in den Dörfern der Baar zu.
Diese Faktoren lassen sich auf folgenden allgemeinen Nenner bringen: Eine Orgel basiert auf einer außerordentlichen Fülle an menschlichem Wissen und Können. Wer sie baut oder spielt, muss sich im jeweils erforderlichen Umfang in der Beschaffenheit von Naturmaterialien wie Holz, Metall oder Leder auskennen.

Darüber hinaus gilt es, mit Handwerkstechniken vertraut zu sein, die teilweise über Jahrhunderte entwickelt worden sind. Ohne Kenntnis physikalischer Gesetze etwa aus der Mechanik oder Aerodynamik kommt man nicht weit. Wer sich bei relativ neuen Instrumenten zum Beispiel dem Einsatz von Elektronik verschließt, schränkt sich damit bewusst ein. Und wer nicht um die starke Wirkung von Musik im gottesdienstlichen oder konzertanten Rahmen weiß, kann die beeindruckend vielfältigen Möglichkeiten der Königin der Instrumente weder erschaffen noch nutzen.
Kleines Orgel-Einmaleins
In den katholischen Kirchen der Erzdiözese Freiburg stehen aktuell etwa 2400 Orgeln, in den Gotteshäusern der evangelischen Landeskirche in Baden sind es gut 1000. Diese Orgeldichte ist beträchtlich und davon ist die Baar nicht ausgenommen.
Wer sich Orgeln in katholischen Kirchen ausgewählter Dörfer der Baar bewusst als heimatliches Kulturerbe genauer ansehen möchte, sollte sich ein paar grundlegende Dinge vor Augen führen.
Zunächst einmal ist die Orgel nicht nur einfach ein Musikinstrument, sondern auch ein gut sichtbares, zum Kirchenbau gehörendes Kunstwerk. Im Kirchenschiff hat sie ihren unverrückbaren Platz – vergleichbar mit dem Kirchturm außen oder dem Altarraum innen. Noch eine Besonderheit: Ein Organist kann nach seinem Spiel das Instrument weder wegräumen noch mitnehmen, und zudem gehört es ihm ja auch gar nicht.

Prospekt nennt man die Schauseite der Orgel. Der Betrachter sieht dabei Orgelpfeifen, die dank ihrer Länge, ihres Volumens und ihrer farblichen Anmutung zur Geltung kommen. Bei fast allen älteren Instrumenten ist dabei die symmetrische Anordnung die Regel. Der sichtbare Teil des Orgelgehäuses, in dem die Pfeifen stehen, wird je nach Zeitgeschmack und zur Verfügung stehender Investitionssumme künstlerisch ausgestaltet oder schlicht gehalten.

Hat man in verschiedenen Kirchen von Aulfingen bis Hubertshofen die Gelegenheit, die Orgeln zu hören, wird bald deutlich: Jedes Instrument hat seinen eigenen, oftmals unverwechselbaren Klang. Das liegt an der Disposition der Orgeln, das heißt an der Anzahl und der Art ihrer Register.
Als Register wiederum wird eine Reihe von Pfeifen bezeichnet, die in gleicher Bauart hergestellt worden sind und Töne gleicher Klangfarbe abgeben. Ein Flötenregister hört sich also wie eine Holzflöte an, und wie ein Register namens Trompete klingt, kann man sich leicht vorstellen.

Kein Geheimnis ist es zwar, aber doch eine seltene Besonderheit: Eine Orgel wird mit Händen und Füßen gespielt. Die je nach Größe des Instrumentes verbauten und mit den Händen bespielten Klaviaturen werden Manuale genannt, die mit den Füßen bedienten Tasten heißen Pedal.
Schaut man einem Organisten bei seinem Spiel zu, wird einem schnell klar, dass das Orgelspiel besondere Anforderungen nicht nur an die Musikalität stellt. Vielmehr ist auch körperliche Koordinationsfähigkeit gefragt. Und diese Kombination kann ganz schön anstrengend sein.
Die SÜDKURIER-Serie
Fünf ganz unterschiedliche Bereiche stellt der SÜDKURIER in seiner Kulturerbe-Serie immer am ersten Dienstag im Monat vor. Es handelt sich zwar um ein ungemein weites Feld, aber seine Parzellen gehören doch zusammen.
- Orgeln in Dörfern der Baar: 7. August
- Die Baaremer Brotkultur: 4. September
- Märchen und die Kunst des Erzählens: 2. Oktober
- Faszination Karten spielen: 6. November
- Das Hebammenwesen und die natürliche Geburt: 4. Dezember
Profilierte Charaktere: Jede Orgel ist ein Unikat mit markanten Eigenschaften
Wer sich von Donaueschingen aus auf eine kleine, etwa 80 Kilometer lange Rundreise durch die Baar begibt, begegnet einem Stück facettenreichen Kulturerbes: neun ausgewählten dörflichen Orgeln.
- Die Betagte: Heidenhofen: 1733 ließ das Haus Fürstenberg in der neuen Donaueschinger Stadtkirche St. Johann durch einen Johann Conrad Speißegger eine Orgel aufstellen, die 52 Jahre später wieder abgebaut wurde und seit 1786 in der Heidenhofener Ortskirche St. Hilarius gespielt wird. Das Instrument hat acht Register, ein Manual und Pedal. Sehenswert ist vor allem der Prospekt: Sein Ornamentschnitzwerk steht für die große Bedeutung von optisch wirksamem Dekor im Barock.
- Die Funktionstüchtige: Aulfingen: Das muss man sich erst einmal vorstellen: Drei Jahre schon tobt der Erste Weltkrieg und die rund 400 Katholiken von Aulfingen lassen 1917 in ihre Kirche St. Nikolaus durch Voit & Söhne aus Durlach eine relativ stattliche Orgel einbauen. Der einst für die Windversorgung der Orgel eingesetzte Motor – ein sogenannter Langsamläufer – ist in seiner Einheit mit dem Gebläse wie ein seltener Oldtimer intakt und kann heute noch problemlos in Gang gesetzt werden.
- Die Repräsentative: Gutmadingen: Selbstbewusst nennen die Einwohner von Gutmadingen ihre Kirche St. Konrad einen Klassiker der Neugotik. Dieser Architekturstil des 19. Jahrhunderts favorisierte beim Bau von Gotteshäusern eine üppige Innenausstattung. Entsprechend ansehnlich ausgefallen ist der Prospekt der 1886 installierten zweimanualigen Orgel von Xaver Mönch aus Überlingen. Über die sichtbaren Pfeifen hinaus erheben sich hochragende Holzarbeiten.
- Die Hilfsbedürftige: Neudingen: Zurück auf das Jahr 1848 geht die von Martin Braun aus Hofen bei Spaichingen erbaute Orgel von St. Andreas in Neudingen. Ihre historische Substanz ist erheblich, aber der Zahn der Zeit hat an diesem Instrument mächtig genagt. Von außen sieht man das kaum, doch sind zum Erhalt dieses Kulturerbes eine behutsame Instandsetzung sowie eine gründliche Ausreinigung dringend notwendig. Eine Hoffnung richtet sich auf großzügige Spender.
- Die Junge: Fürstenberg: Instrumente der Waldkircher Orgelbauer Jäger & Brommer finden sich in China, Japan, Korea – und in der Kirche St. Maria in Fürstenberg. Erst 2002 eingeweiht und somit 16 Jahre jung, ist sie mit 15 Registern, zwei Manualen und Pedal gut ausgestattet. Im zeitgenössischen Orgelbau selten sind Inschriften auf dem Orgelgehäuse. Hier findet sich deutlich lesbar eine Verheißung aus dem Johannes-Evangelium: „Wer dieses Brot isst, wird ewig leben.“
- Die Elsässische: Hausen vor Wald: Der einst in Unterbaldingen arbeitende Orgelbauer Hans-Joachim Thölken hatte für sein 1991 eingeweihtes Instrument in der Kirche St. Peter und Paul in Hausen vor Wald einen ehrgeizigen Plan: Er wollte eine kleine „Barockorgel“ in der Art des im Elsass berühmt gewordenen Johann Andreas Silbermann einsetzen. Entstanden ist ein nie ganz vollendetes Werk mit französischen Registern. Hier steht Flûte für Flöte, Fourniture für Mixtur.
- Die Authentische: Döggingen: Ein unverfälschtes Original steht in der Kirche St. Mauritius in Döggingen. Die 1880 von Martin Braun & Sohn eingebaute Orgel ist trotz zweier Weltkriege und trotz einschneidender Entwicklungen im Orgelbau noch heute im Urzustand. Klanglich ist das deswegen interessant, weil Braun seine Orgeln ab 1860 kaum noch weiterentwickelt hat. In Döggingen ist es also möglich, einen Eindruck von elementaren Teilen des romantischen Klangideals zu bekommen.
- Die Unvergleichliche: Hubertshofen: Hubertshofen verfügt über eine absolute kulturgeschichtliche Rarität. Die Orgel in der Kirche St. Sebastian stammt aus der ehemaligen Konstanzer Synagoge und zählt zu den ganz wenigen Synagogenorgeln in Deutschland, die im Dritten Reich nicht zerstört worden sind. 1898 von Xaver Mönch in Überlingen für die jüdische Gemeinde Konstanz gebaut, nahm sie 25 Jahre später Sohn Otto Mönch wieder zurück und verkaufte sie 1924 nach Hubertshofen.
- Die Übersichtliche: Allmendshofen: In der Kirche St. Jakob in Allmendshofen steht seit 1977 die wohl kleinste Orgel der Baar. Sie kommt aus der Werkstatt Freiburger Orgelbau August Späth. Vier Register für ein Manual und Pedal reichen aus. Die linke Hälfte der Klaviatur – unterhalb des Tones C – kann mit anderen Registern gespielt werden als die rechte – ein kleines Beispiel dafür, dass eine Orgel nicht nur ein Musikinstrument ist, sondern immer auch eine ausgeklügelte Maschinerie.