Für eine Auswanderung braucht es vielerlei Eigenschaften. Aber mindestens Mut, Disziplin und Risikobereitschaft. Das alles hatte vor rund 25 Jahren Ingo Kurbjuhn, der aus Allmendshofen stammt und seit 1996 in Japan lebt. Dem SÜDKURIER erzählt er seine Geschichte.
Erste Begegnung in Geisingen
Der Anfang liegt auf der Baar: Im November 1993 lernt Kurbjuhn seine heutige Frau, eine Japanerin aus einfachen Verhältnissen, bei einem Kumpel in Geisingen kennen. Die beiden mögen sich auf Anhieb, treiben das Kennenlernen voran. „Neujahr 1994 hatten wir in Paris dann schon ein paar mehr bedeutende Tage“, erinnert sich der 52-Jährige mit einem Schmunzeln. Sie lädt ihn nach Japan ein, Kurbjuhn sagt sofort zu. Im Oktober 1994 reist er für zehn Tage ins Land der aufgehenden Sonne: „Es hat mir sehr gut gefallen, Japan hat eine ganz andere Kultur.“
Im Mai 1995 kommt sie dann für ein Jahr nach Deutschland, bevor der Allmendshofener im Sommer 1996 nach Japan geht. Mit Blick auf eine gemeinsame Zukunft will das Paar herausfinden, wo man sesshaft werden möchte. „So wie sie es ein Jahr in Deutschland probiert hat, wollte ich es ein Jahr in Japan probieren“, schildert Ingo Kurbjuhn. Problem sei damals der bürokratische Aufwand mit Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsbewilligung gewesen: „Damit ich langfristig in Japan bleibe, war es für mich Bedingung, dass ich einen Job suche und finde, um für den Lebensunterhalt zu sorgen.“
„Dadurch, dass ich so viele unterschiedliche Sachen gemacht habe, wurde ich sicherer in der Sprache“, sagt Ingo Kurbjuhn – hier während des Videogesprächs mit SÜDKURIER-Redakteur Julian Singler über seine Zeit als Lkw-Fahrer:
Angefangen als Lkw-Fahrer
Gesagt, getan. Kurbjuhn macht sich auf die Suche nach einer Arbeit: „Ich hatte damals den Lkw-Führerschein und dachte mir, dazu brauche ich nicht viel Japanisch reden. Ich konnte ja kein Wort.“ Die Jobsuche läuft recht zäh. Mit einem Visum darf er sich sechs Monate dort aufhalten. In dieser Zeit plant er, etwas zu finden. Mit einem Freund, der als Lastwagenfahrer arbeitet, fährt der Allmendshofener mit und lernt dessen Chef kennen. „Ihn habe ich gefragt, ob ich als Beifahrer ein bisschen mitfahren kann, damit ich zumindest die Straßen und die Gegend kennenlerne. Das war die Basis für eine Chance“, sagt Kurbjuhn.
Er bekommt das Okay: „Ich habe mich dann nicht nur dazugestellt, sondern mitgearbeitet. Da hat man gesehen, dass ich nicht gerade zwei linke Hände habe und ich durfte anfangen.“ Fortan transportiert der 52-Jährige sechs Jahre lang hauptsächlich Stahl, aus welchem die meisten Häuser in Japan gebaut sind, sowie Betonfertigteile. „Das hat richtig Spaß gemacht. Abends habe ich mich hingesetzt und mit einer Straßenkarte in Schriftzeichen gelernt, wo ich hinmuss, welche Route ich fahren muss“, blickt er zurück.

Hochzeit für gemeinsame Zukunft
Um professionell und auf Dauer fahren zu dürfen, braucht der Exil-Donaueschinger eine Aufenthaltsgenehmigung. Diese bekommt man entweder durch Heirat oder das Ausüben eines Jobs, der in Japan gefragt ist. „Als Lkw-Fahrer brauchten sie nicht unbedingt mich dazu, also gab es keine Chance, über die Firma ein Visum zu bekommen. Meine Frau und ich haben dann geheiratet, damit wir eine gemeinsame Zukunft in Japan haben.“
Beruflich geht es für Ingo Kurbjuhn im Management einer Großbäckerei weiter. Zwei Jahre macht er das, „dann war ich ein Jahr außer Gefecht, ich war arbeitslos“. Die Belastung wird immer größer, der engagierte Auswanderer kann schwer Nein sagen und gerät zunehmend an seine Grenzen: „Die Firma hat deutsche Bäckermeister nach Japan geholt, verzeichnete ein riesiges Wachstum von vier Filialen auf 24 und von 40 Mitarbeitern auf 450“, sagt er. „Das war eigentlich ein 24-Stunden-Job, am Ende war mir alles zu viel und ich musste eine Auszeit nehmen.“
Untätig ist er dennoch nicht. Kurbjuhn tingelt durch Japan und bietet Schokoladenkuchen an. Zu dieser Zeit ist er mit einer Importfirma-Chefin befreundet, die als Pionierin Wurst aus Deutschland nach Japan einführt. Mit ihr führt er den ersten Weihnachtsmarkt in der Inselnation durch, der von Deutschen organisiert wird: „Das war ein Riesenerfolg, wir sind mit dem Produzieren nicht mehr hinterhergekommen.“ Fahrende Händler aus Deutschland kommen, verkaufen gebrannte Mandeln, Wurst, Lebkuchen und Christstollen. Der Markt beliefert sogar das Konsulat in Osaka und die Botschaft in Tokio, erzählt Kurbjuhn. Später werden Wurst und gebrannte Mandeln auch bei Bierfestivals angeboten.
Bekannt mit Biergarten im Regen
Der Erfolg mündet in einen fünfmonatigen Biergarten am Hafen von Yokohama. „Am Anfang ist das mies gelaufen, es hat geregnet und die Überlegung stand im Raum, alles dicht zu machen“, so der Allmendshofener. Doch es kommen trotzdem Leute, Kurbjuhn betreibt im strömenden Regen den Biergarten – „für deutsche Verhältnisse undenkbar“. Und genau das macht das Geschäft bekannt, führt er aus: „Ein Radiosender war direkt dort ansässig und hat eine Serie mit dem Titel ‚Yokohama im Regen‘ gemacht. Es wurde über uns berichtet, quasi Werbung gemacht.“ In der Folge muss der Biergarten sogar mit Reservierungen arbeiten, weil so viele Menschen vorbeischauen möchten.

Lastwagenfahrer, Bäckerei-Manager, Gastronom: Was soll da noch kommen? Ingo Kurbjuhn findet ein neues Betätigungsfeld, macht abermals etwas ganz anderes. Der Kontakt mit einem Koi-Händler aus Blumberg, der sich zu dieser Zeit von seinem Lieferanten unabhängig machen will, kommt zustande. Dieser sucht einen Japanisch sprechenden Züchter, welcher ihn direkt beliefert. Kurbjuhn, der sich mittlerweile sicher in der Sprache fühlt, hat zunächst keine große Lust. Die kräftezehrende Biergarten-Saison mit reichlich Trubel hat Spuren hinterlassen. Und dazu hatte er ja bereits negative Erfahrungen mit Überbelastung gemacht.
Einstieg in den Koi-Handel
„Er hat nicht locker gelassen, also habe ich ihn direkt am Flughafen abgeholt und zum Züchter in Japan gefahren“, erzählt der 52-Jährige. „Da habe ich zum ersten Mal die Fische gesehen. Dass es Koi gibt, war mir bekannt. Dass sie teuer sind auch, aber mehr habe ich nicht gewusst.“ Wie er es bislang gewohnt war, arbeitet er sich wieder in die Thematik ein – zunächst „ohne blassen Schimmer“. Die Sache funktioniert gut, Kurbjuhn hat den Fuß in der Tür und arbeitet seit 15 Jahren bis heute in diesem Bereich – zu Beginn macht er nebenher noch Veranstaltungen, aber dann spezialisiert er sich komplett auf die Fische.

Um sorgenfrei leben zu können, reicht das aber nicht. Rund ein halbes Jahr arbeitet Kurbjuhn, der bei Koi-Shows als Wertungsrichter agiert, mit den Fischen, doch vier Monate bleiben Einnahmen aus, weil das Geschäft ruht. „2012 habe ich einen Fehler gemacht“, sagt er. Und ergänzt: „Normalerweise wird nur gegen Vorkasse geliefert, aber im Zuge der angespannten Lage wegen der Nuklearkatastrophe in Fukushima gab es eine Ausnahme.“ So kommt es dazu, dass eine Lieferung nicht bezahlt wird, was zu großen Existenzängsten beim Allmendshofener führt. Er spricht von einem Tief.
Diese Erfahrung veranlasst ihn dazu, neben den Fischen ein zweites Standbein aufbauen zu wollen – in Deutschland. Es kommt die Überlegung auf, mit der Familie vielleicht sogar zurückzuziehen, aber die Arbeitssuche gestaltet sich schwierig: „Alles, was ich in Japan gemacht habe, war ohne Zeugnisse oder Befähigungsnachweise. In Deutschland habe ich nichts gefunden, also musste ich selbst etwas machen.“
Nächstes Abenteuer: Taxiunternehmen
Ursprünglich will er sich im Bereich der erneuerbaren Energien selbstständig machen, „aber da hätte ich wieder von Null anfangen und Beziehungen aufbauen müssen“. Also sucht Ingo Kurbjuhn nach Alternativen: „Ich habe das Internet durchforstet und nach Taxiunternehmen gesucht, auch im Raum Donaueschingen, aber da waren die Ergebnisse nicht befriedigend.“ Die Suche wird bundesweit ausgeweitet, bis er in Niedersachsen fündig wird. Ein Taxiunternehmer bei Oldenburg wandert in die USA aus, Kurbjuhn kauft ihm das Geschäft ab. Sieben Jahre pendelt er jeweils im Wechsel mehrere Monate zwischen Deutschland und Japan. „2019 habe ich das Unternehmen verkauft, quasi gerade rechtzeitig vor Corona“, fügt er an.
Seit 1996 in Japan lebend hat der Allmendshofener Fuß gefasst. Wie ihn die Auswanderung verändert beziehungsweise bereichert hat? „Ich bin geduldiger und gelassener geworden, nehme alles nicht mehr auf tragische Weise ernst, bin nicht mehr so verbissen“, sagt er. Kurbjuhn habe viel Glück gehabt „und zur richtigen Zeit die richtigen Leute getroffen“. Gerade in jenen Situationen, in denen es ihm mental nicht so gut gegangen ist, in denen Selbstzweifel aufgekommen sind, haben ihm viele Menschen geholfen. „Jetzt ist die Zeit gekommen, wo man einen Teil davon zurückgeben kann. Damals war ich nur Empfänger, ich bin nach Japan mit nichts.“
Krisen gehören dazu
Das Leben in Asien sei neben all den tollen Momenten durchaus von einem Auf und Ab geprägt gewesen, „finanziell stand es manchmal auch auf der Kippe“. Privat habe es auch mal einen Streit mit seiner Frau gegeben: „Da sagte ich mir, ich habe keinen Bock mehr und haue jetzt ab. Ich war sogar schon in Osaka am Flughafen“, verrät der 52-Jährige. Doch auch diese Negativerfahrung überwindet er. „Bereut habe ich es nie.“