Homeoffice hat ja durchaus Vorteile: Der Arbeitsweg fällt weg, in der Regel können Arbeitnehmer etwas länger schlafen, und manche sind zuhause sogar produktiver als im Büro. Dem gegenüber steht aber unter anderem ein mögliches Verschmelzen von Arbeit und Privatleben. Oder auch vermehrte Rückenschmerzen? Dieser Vermutung möchte der SÜDKURIER etwas näher auf den Grund gehen. Und fragt deshalb bei Experten nach, welchen Einfluss mittlerweile weitverbreitetes Homeoffice tatsächlich hat.
Corona-Lockdown hat Auswirkungen
Orthopäde Dietmar Göbel aus Donaueschingen kann laut eigener Aussage nicht zielgenau testen, ob Beschwerden durch das Arbeiten zuhause auftreten. „Aber durch das Zuhausebleiben im Lockdown wird das schon massiv verstärkt“, sagt er. Generell sei es so, dass er seit geraumer Zeit praktisch keine Sportunfälle mehr behandeln müsse. Vereinzelt habe er mit Joggern oder Radfahrern zu tun, doch der fehlende Vereinssport mache sich bemerkbar. „Trotzdem haben wir nicht wirklich weniger Patienten, vielmehr hat sich die Art der Patienten massiv verändert“, schildert Göbel.

Viele Beschwerden seiner Patienten ließen sich auf das, wie er es nennt, Zivilisationsproblem Sitzen zurückführen. „Sicher geht dabei ein Teil, aber nicht alles, auf die Kappe des Homeoffice. Außer Frage steht trotzdem, dass Homeoffice Rückenprobleme macht“, sagt Göbel. Als Gründe dafür sieht der Mediziner die oft nicht idealen Rahmenbedingungen im Heimbüro: So habe nicht jeder Arbeitnehmer einen höhenverstellbaren Schreibtisch sowie einen bestmöglichen Bürostuhl zur Verfügung. Darüber hinaus spiele die Dauer des Sitzens vor dem Computer eine Rolle, die Höhe und Breite des Bildschirms, „und manche arbeiten sogar nur mit dem Laptop“.
Abgesehen von Arbeitstätigen, die zuhause wirken, bereitet Dietmar Göbel vor allem eine Altersgruppe Sorgen: die Jüngeren. „Unser Gefühl ist, dass angefangen von Jugendlichen, bis hin zu Senioren unter 65 Jahren ein viel höherer Anteil als früher Rücken-, Nacken- und Wirbelsäulenbeschwerden hat“, sagt er. „Selbst kurze Bewegungszeiträume, wie beispielsweise mit Kollegen mittags durch den Park zu laufen, fallen seit geraumer Zeit weg. Es muss nicht immer das Fitnessstudio sein.“ Man habe in Corona-Zeiten auch oft nicht den richtigen Antrieb, um rauszugehen. Deshalb würden solche Zivilisationskrankheiten deutlich mehr greifen.
Durch die Lockdown-Zeit erwartet Göbel beim einen oder anderen Übergewicht; das sei seit etwa zwölf Monaten in der Gesellschaft zu beobachten. „Gesamtorthopädisch nehmen wir an, dass bei der Jugendgeneration, die im besten motorischen Entwicklungsalter ist, durch fehlenden Schul- und Vereinssport Schwierigkeiten auftreten.“ In dieser Phase seien die Koordinationsbildung und -weiterentwicklung wichtig, „und das Lernen, dass Sport gut ist“, so der Mediziner. „Die nicht nur durch PC oder Playstation ausgelöste Fehlhaltung wieder zu korrigieren, wird für die junge Generation ganz bitter.“ Mit den Folgen seien Orthopäden lange beschäftigt, vermutet er.
Physiotherapeut pflichtet bei
Ähnliche Auswirkungen sieht auch Christian Kunz, Physiotherapeut in Donaueschingen. Er habe keine Zahlen, „aber was man auf jeden Fall merkt, ist dass die Leute durch Homeoffice mehr sitzen“. Sport sei nur eingeschränkt möglich, da Fitnessstudios seit November geschlossen sind. Allein Turnübungen zu machen – zuhause zwischen Sofa, Fernseher und Kindern im Heimunterricht – mache vor allem auf Dauer keinen Spaß. Darüber hinaus fehle der Austausch mit Kollegen, bei dem man im Büro womöglich auch ein paar Minuten laufe.
Kunz registriert bei seiner Arbeit und bei dem, was ihm von Patienten geschildert wird, eine Zunahme an Nacken- und Kreuzbeschwerden. „Das sieht man deutlich“, fasst der Physiotherapeut zusammen. „Es ist auch schwieriger, zuhause zu üben, wenn dort momentan die ganze Familie ist.“ Er empfiehlt allen im Homeoffice, jeweils nach zwei Stunden vom Bürostuhl aufzustehen, um in die Streckung zu kommen. Ein oder zwei Übungen durchzuführen, ginge schnell und sei nicht schwer. „Unser Alltag ist momentan eher rundsitzend, also sollten wir uns viel strecken und mit Blick auf unsere Wirbelsäule vorbeugen“, sagt der Experte. Auf lange Sicht solle man darauf achten, genügend Sportübungen durchzuführen – sei es im Fitnessstudio oder beim Joggen.
Diese Streckübungen können helfen und sind ganz einfach zuhause durchführbar: