Depressionen und Angststörungen sind Begleiterscheinungen der Corona-Krise. Und sie betreffen keineswegs nur mittlere und ältere Altersgruppen, sondern auch vermeintlich robusten jungen Erwachsenen. Das zeigt eine Studie, die als Momentaufnahme noch nicht abgeschlossen ist.

Studenten haben sich ihm anvertraut

Professor Kizilhan unterrichtet auch an der Dualen Hochschule (DUH) in Villingen-Schwenningen in der Fakultät für Sozialwesen. Der Kontakt zu seinen Studierenden war der Auslöser für die folgende Online-Erhebung.

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„Viele Studenten haben mich angerufen, weil es ihnen nicht gut ging“, erinnert er sich. Geschildert wurden ihm Schlafstörungen, Existenzängste oder Befürchtungen Eltern oder Großeltern durch die Pandemie zu verlieren.

Jan Ilhan Kizilhan wurde als Professor an der Dualen Hochschule in Villingen-Schwenningen von seinen Studenten auf deren Corona-bedingen ...
Jan Ilhan Kizilhan wurde als Professor an der Dualen Hochschule in Villingen-Schwenningen von seinen Studenten auf deren Corona-bedingen Ängste angesprochen. | Bild: Wursthorn, Jens

Geboren war die Idee zu einem Fragebogen. Die rund 30 Fragen basierten in modifizierter Form auf Erhebungen, die Kizilhan bereits in der Traumaforschung in Krisengebieten erstellt hatte. Geworben wurde auf den Internetseiten der DUH sowie der Universität Ulm und in sozialen Medien. Die Erhebung lief in zwei Wellen zwischen März und Juni 2020 und brachte rund 650 Erhebungsbögen in die Auswertung.

Zur Person

Die meisten Rückmelder waren Mitte 20, etwa 40 Prozent der Beteiligten waren Studierende, der Rest berufstätig, mit einem Anteil von vier Prozent waren nur wenige ältere Menschen an der Studie beteiligt.

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Bei 47 Prozent der Beteiligten sprachen die Antworten für das Vorliegen einer Depression, 32 Prozent leiden demnach unter einer Angststörung. In beiden Kategorien sind leichte Ausprägungen stärker vertreten, doch insgesamt sei das Ergebnis erschreckend hoch, aber auch normal: „Die Coronapandemie traf unvorbereitet und sorgte für einen plötzlichen Schnitt im Leben“, analysiert der Professor.

Berufstätige und Frauen stärker betroffen

In der Summe bündeln sich psychische Belastungen zu einem Anteil von 47 Prozent. Stärker als Studierende waren Berufstätige betroffen. „Da spielen Existenzängste eine Rolle, aber auch die Arbeit zuhause.“ Bei Frauen lägen die Belastungen über alle Felder hinweg rund zehn bis 15 Prozent höher.

Was der Fragebogen wissen möchte

Was folgt aus diesen Aussagen? „Da hat sich was entwickelt“ sagt der 53-jährige Wissenschaftler. Gegenüber vorliegenden ersten Statistiken aus China und Italien habe sich die psychische Betroffenheit in Deutschland bereits bis zum Sommer 2020 verstärkt. Dabei bleibe die Datenlage aber schwierig. Vorher-Nachher-Studien gebe es nicht, „wir haben lediglich den Querschnitt einer Gruppe, die uns sagt wie es sein könnte“, so Kizilhan – also keine Gültigkeit für ganz Deutschland.

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Unbenommen dessen hat der Professor eine Meinung zur Informationspolitik der Behörden in der Erhebungszeit. Mehr Informationen und Transparenz hätten die Bevölkerung besser vorbereitet, Orientierung, Strukturen und Perspektive geschaffen. Wo diese Sicherheit fehle, neigten weniger starke Persönlichkeiten in der Krise dazu, zusammenzubrechen.

Die Klinik am Vogelsang weist rund 100 Betten auf und liegt am Stadtrand von Donaueschingen oberhalb des Kreisklinikums.
Die Klinik am Vogelsang weist rund 100 Betten auf und liegt am Stadtrand von Donaueschingen oberhalb des Kreisklinikums. | Bild: Wursthorn, Jens

Allerdings sei der Mensch in der Lage, sich mittels Desensibilisierung an eine Krise zu gewöhnen. Im zweiten Halbjahr hätten die Leute akzeptiert, dass es sich bei der Pandemie nicht um eine Viruserkrankung handelt, die bestimmte Personengruppen betrifft. Gleichwohl werde sich die Medizin künftig mit Long-Covid befassen müssen: Körperliche und psychische Beschwerden, die Menschen ein Leben lang begleiten.

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Noch sei unklar, um welche Einschränkungen es sich handeln wird, aber für die Therapie ist das schon ein Auftrag: „Wir überlegen bereits, mit welchen neuen Behandlungsmodulen wir uns auf diesen Personenkreis einstellen“, spricht Kizilhan für seine Klinik.

Die Momentaufnahme aus der Studie soll jetzt verfeinert werden. Teilnehmer werden gebeten, erneut den Fragebogen auszufüllen. Auch weitere Interessenten können noch einsteigen. Die Erhebung beginnt im März, dann werden auch die Fragebogen zur Verfügung stehen. Wer Interesse hat kann sich an m.strobel@dhbw-vs.de schreiben.