Gerhard Dilger

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. In einer kleinen Serie berichtet der SÜDKURIER über Erinnerungen von Zeitzeugen. Heute schildert der Furtwanger Künstler Ernst Ganter eine Episode aus den letzten Kriegstagen.

Sein Erlebnis ist in der 2019 erschienen Firmenchronik der Firma Otto Ganter abgedruckt. In Furtwangen erlangte der 1991 verstorbene Künstler als Maler impressionistischer Schwarzwald-Landschaften Berühmtheit.

10 000 deutsche Soldaten in der Stadt

Wie im vorangegangen Teil der kleinen Serie zum Kriegsende bereits von Jenny Guttenberg geschildert, hielten sich in Furtwangen am 21. April 1945 rund 10 000 deutsche Soldaten auf. An diesem letzten Tag des Krieges hatte es in Furtwangen auch einzelne Schäden durch Tiefflieger gegeben, so kam es im Anwesen Foto-Maier in der Wilhelmstraße zu einem Dachstuhlbrand, der aber gelöscht werden konnte.

Das könnte Sie auch interessieren

Volkssturmabteilung und Flakstellung

Otto Ganter beschreibt, wie er bei der Rückkehr von den Löscharbeiten bei Foto-Maier in seiner Stube den einquartierten Stab einer Volkssturmabteilung vorfand. Die Mannschaften hatten die Werkstatt der Firma Otto Ganter in Beschlag genommen. „Auch am 22. April“, so schilderte es Ganter in seinen Aufzeichnungen, „zogen ununterbrochen deutsche Truppen zu Fuß durch den Ort in Richtung Donaueschingen“. Doch die größte Sorge entstand durch eine Flugabwehrabteilung, die mit ihrem Geschütz neben der Firma Ganter Stellung bezogen hatte. Dies hätte unweigerlich französische Luftangriffe nach sich gezogen, wenn die Flak zum Einsatz gekommen wäre.

Volkssturm zieht ab

Ernst Ganter 1986 beim Malen einer Kulisse für die Linacher Theaterspieler. Er schildert in der Serie Zeitzeugen eine Episode aus den ...
Ernst Ganter 1986 beim Malen einer Kulisse für die Linacher Theaterspieler. Er schildert in der Serie Zeitzeugen eine Episode aus den letzten Kriegstagen. Bild: Bernhard Dorer | Bild: Dilger

Die weiteren Ereignisse werden von Ernst Ganter ausführlich geschildert: „An diesem Tag erfuhren wir dann, die französischen Truppen seien bereits in Gütenbach. Wenn ich mich recht erinnere, war es auch am Dienstag, als der Volkssturm wohl in Richtung Donaueschingen weiterzog. Währenddessen hatte eine Flugabwehrabteilung auf der Wiese neben unserem Haus Stellung bezogen – eine neue Gefahrenquelle für uns und die ganze weitere Nachbarschaft, denn damit würde die Gefahr einer Bombardierung zunehmen.

Nachbarn bearbeiten Geschützmannschaft

Unsere Nachbarn bearbeiteten die Geschützmannschaft und baten, sie möge ihre Stellung aufgeben und über die Berge Richtung Elztal fliehen. Man versprach den Soldaten, einer Truppe aus etwa zehn Mann, sogar Zivilkleider, wenn sie ihre aussichtslose Stellung aufgeben würden. Auch mein Bruder (Karl Ganter, Anmerkung der Redaktion) nahm an den Verhandlungen teil und sagte mir am Abend, er werde die Truppe in der Nacht durch den Kappelewald und den Rohrhardsberg bis zum Hörnleberg führen, von wo die Soldaten zum Kaiserstuhl wollten, um die Entwicklung abzuwarten. Er bat mich, ihn zu begleiten. Ich überredete ihn jedoch, den nicht ganz ungefährlichen Weg mir zu überlassen, da er fünf Kinder habe und ich alleinstehend sei.

SS-Leute in der „Schwedenschanze“

So machten wir uns also auf den Weg, zunächst beim alten Krankenhaus den Meisterberg hoch, dann über die Katharinenhöhe und den Brücklirain in den Kapellewald. Mein Vorhaben, ein Nachtquartier zu finden, war nicht von Erfolg gekrönt. Weder im Wirtshaus ‚Zur Schwedenschanze‘ war es möglich – dort schliefen nach Aussagen des Wirtes lauter SS-Leute ihren Rausch aus – noch im Gfällhof konnten wir übernachten, denn ich erfuhr vom Wirt, dass dort ein deutscher Stab einquartiert sei, der die versprengten Truppenteile wieder an die Front bringen wollte. Das war nun nichts für unser Vorhaben, und so legten wir uns einfach im Freien zum Schlafen nieder.

Spannende Begegnung

Kurz vor der Kapelle auf dem Hörnleberg wurde es noch einmal spannend: Wir begegneten einem Trupp Infanteristen, die viele Auszeichnungen, besonders auch Nahkampfspangen, an ihren Uniformen trugen. Sie kamen aus der Gegenrichtung und gaben an, wieder an die Front zu wollen. Meine Begleiter waren zu Anfang zwar etwas unsicher, aber als die Infanteristen die angebotenen Zigaretten und Verpflegung gerne annahmen, legte sich die Nervosität.

Ernst Ganter (1904-1991) etwa im Jahr 1920.
Ernst Ganter (1904-1991) etwa im Jahr 1920. | Bild: Ganter, Repro Dilger

An dieser Stelle trennten sich unsere Wege. Die einen zogen weiter in Richtung Elztal, während die Infanteristen sich mir für ein Stück des Weges anschlossen. Nachdem wir uns oberhalb des Gfällhofes verabschiedet hatten, lief ich heimwärts. Schon fast im Ort angelangt, begegnete mir ein französisches Panzerspähfahrzeug.

Das könnte Sie auch interessieren

Einmarsch ohne Ausschreitungen

Zu Hause war alles beim Alten. Ich legte mich ins Bett, um von der anstrengenden Wanderung auszuruhen. Doch schon bald weckte mich der Ruf ‚Sie kommen!‘ Der Einmarsch selbst erfolgte dann ruhig und ohne Ausschreitungen. Zu verdanken ist dies wohl dem Umstand, dass es in Furtwangen einen französischen Kriegsgefangenen gab, der bei der Firma Moser arbeitete und von der Familie wie ein Sohn behandelt wurde. Dieser junge Mann erstattete auf dem Rathaus Bericht und sprach sich wohl für die Einwohner aus.“