Seit 33 Jahre ist Sigmund Vögtle für die SPD ohne Unterbrechung im Hüfinger Gemeinderat aktiv. Er ist dort die linke Stimme. Teilt gerne mal aus, ist aber auch bereit, Kritik anzunehmen. Doch das ist jetzt vorbei.

Nicht die Kritikbereitschaft, die wird er behalten, allerdings die Mitgliedschaft im Gemeinderat. Und nicht nur das: Sigmund Vögtle wird auch aus der SPD austreten. Aber warum das alles? Dafür ist ein Blick auf die Bundespolitik notwendig.

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„Ich habe mit dem Parteiaustritt noch abgewartet, bis der Bundestag und der Bundesrat über das 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr abgestimmt haben“, sagt Vögtle, der sich bereits an der Bezeichnung für das Geld stört: „Es sind Sonder-Schulden.“ Auf einmal sei irrwitzig viel Geld da, „das Jahrzehnte für Infrastruktur, Rente, Klima, Bildung, Kitas, Pflege, Bekämpfung von Kinderarmut und vielem mehr gefehlt hat.“

Warum der SPD-Austritt?

Vögtle stört sich hier am Verhalten der SPD: „Es gab so gut wie keinen Widerstand in der SPD-Fraktion und den SPD-regierten Bundesländern gegen eine Militarisierung der Politik und Gesellschaft. Und das erneut unter einer SPD-geführten Bundesregierung, wie schon im Jugoslawienkrieg/Kosovo und Afghanistan. Deshalb trete ich aus der SPD aus.“

Im linken Flügel

Vögtle wurde 1989 erstmals als damaliger SPD-Ortsvereinsvorsitzender in den Gemeinderat gewählt: „Ich habe immer zum linken Flügel der SPD gehört und wurde auch so identifiziert.“ Bereits 1976 wurde er Mitglied der SPD, bereits ein Jahr später engagierte er sich im Vorstand als Schriftführer. Schon einmal war er ausgetreten: „Wegen des Nato-Nachrüstungsdoppelbeschlusses bin ich 1982 aus der Partei ausgetreten. Ich habe bereits damals eine Militarisierung und Aufrüstung abgelehnt.“

1987 kehrt er in die Partei zurück, wird von 1988 bis 1995 Ortsvereinsvorsitzender. Nach einer Pause ist er das wieder von 2002 bis 2006. Zudem war Vögtle längere Zeit im Kreisvorstand der SPD aktiv und zehn Jahre als sachverständiger Bürger im Jugendhilfeausschuss des Kreistages.

Erfahrungen mit dem Militär

Die Entscheidung hat auch mit den Erfahrungen zu tun, die Vögtle mit dem Militär selbst gesammelt hat: „Ich habe 1969 den Wehrdienst verweigert. Grund war, dass sich die Bundeswehr überwiegend aus ehemaligen Nazi-Kriegsverbrechern rekrutierte. Zudem führte die Führungsmacht der Nato in Vietnam einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.“ Millionen von Toten, vor allem in der Zivilbevölkerung. „All dies geschah mit deutscher Zustimmung der Regierung Kiesinger“, so Vögtle.

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Vor der Verweigerung standen rund 3,5 Stunden Vernehmung vor dem Prüfungsausschuss – „Tribunal“, wie Vögtle sagt – danach wurde sein Gesuch anerkannt. Er leistete schließlich 18 Monate Zivildienst und arbeitete die ganze Zeit auf verschiedenen Stationen der Unikliniken Freiburg als Hilfspfleger: „Der Zivildienst war drei Monate länger, um die Kriegsdienstverweigerer zusätzlich zu bestrafen.“

Krieg und Lüge als Zwillinge

Die USA führten laut Vögtle später weitere „Angriffskriege“, zuletzt mit deutscher Unterstützung und sogar Beteiligung an „völkerrechtswidrige Angriffskriege“ in Afghanistan und dem Irak mit jeweils über 500.000 Toten. „Keinen der heute sich so mit der Ukraine solidarisierenden Bürger hat das alles damals interessiert oder er hat es wohlwollend toleriert. Kriegsverbrechen gehörten immer zum Krieg, der jede Moral auf beiden Seiten zerstört. Krieg und Lüge sind auch Zwillinge“, so Vögtle.

Deeskalation notwendig

Allerdings ist er davon überzeugt, dass Waffen keinen Frieden schaffen, „sie verlängern den Krieg. Außenpolitik und Diplomatie kann nicht auf Dauer von schweren und noch schwereren Waffen ersetzt werden.“ Man sollte sich laut Vögtle auch nicht jede Forderung des „begnadeten Schauspielers und Social Media-Alleskönners Selenskyj zu eigen machen. Statt Waffenlieferungen sind Deeskalation und Verhandlungen notwendig.“

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Natürlich sei Putin der Aggressor und der Angriff völkerrechtswidrig. Aber es gebe auch eine Vorgeschichte: „Deutschland ist nicht verpflichtet, sich vom Botschafter Melnik in einen dritten Weltkrieg hineinziehen zu lassen.“

Andere Mittel nutzen

Abschreckung verhindere für Vögtle keinen Krieg. Es gebe andere und wirkungsvollere Mittel einem Aggressor zu begegnen: „Soziale Verteidigung, ziviler Widerstand, nicht mit dem Besatzer zusammenarbeiten, Beschlagnahmung von Auslandsvermögen, Wirtschaftsboykott, Ölembargo ... aber wir kriegen nicht mal ein Tempolimit hin.“ Vögtle selbst ist in der Stadt meist mit dem Rad unterwegs, setzt sich auch im Rat dafür ein, dass Fußgänger und Radler mehr Platz bekommen.

Kein Geld zu verdienen

Ohne den Krieg „verdienen allerdings die Rüstungsindustrie und deren Aktionäre nicht Milliarden. Es wird dann auch nicht alles in Schutt und Asche zerbombt, so dass am Wiederaufbau – den wir bezahlen werden – nicht noch einmal verdient werden kann.“

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Die Ukraine werde als Vorzeigedemokratie hochstilisiert. Dabei sei sie eines der korruptesten Länder in Europa: „Präsident Selenskyj wurde 2021 in den Panamapapers erwähnt. Darauf fielen seine Zustimmungswerte dramatisch“, so Vögtle. Der Krieg bringe gar nichts: „Er verroht alles. Und alles wird in Schutt und Asche gelegt.“

Sigmund Vögtle, hier auf einem Bild von 2018, umgeben von dem Arbeitsgerät zur Pflege des Rasens beim FC Hüfingen. Dort ist er ...
Sigmund Vögtle, hier auf einem Bild von 2018, umgeben von dem Arbeitsgerät zur Pflege des Rasens beim FC Hüfingen. Dort ist er ehrenamtlicher Platzwart. | Bild: Simon, Guy

Und jetzt?

Konsequenterweise wolle Vögtle daher neben der SPD-Mitgliedschaft auch das Mandat im Gemeinderat niederlegen. Was er dann mit der freien Zeit anfängt? Da ist immer noch seine Arbeit als ehrenamtlicher Platzwart beim FC Hüfingen – und schließlich wolle er auch Radtouren mit seiner Frau unternehmen: „Ich habe keine Probleme damit, endlich Zeit zu haben. Ich bin kein Genussmensch, will aber auch mal Urlaub machen.“

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